Heute vor zehn Jahren: Der THW Kiel feiert die perfekte 68:0-Saison mit vier Titeln!
Die Geschichte des THW Kiel ist gepflastert mit Rekorden. Doch ein bestimmtes Datum wird für immer tief im Gedächtnis der Handball-Fans verankert bleiben und in der Historie des Sports für alle Zeiten ein eigenes Kapitel behalten: Am 2. Juni 2012 feierte der THW Kiel mit zehntausenden Fans in der heutigen Wunderino Arena und auf dem Rathausplatz die perfekte 68:0-Saison mit insgesamt vier Titeln und der bisher einzigen Spielzeit ohne Punktverlust im deutschen Männerhandball.
Kiel feiert die "Überflieger"
Es war eine Party, wie es sie selbst beim THW Kiel nicht häufig gab: Rund 20.000 Fans warteten nach dem vollendenten 68:0-Meisterstück auf dem Rathausplatz auf ihre Helden, die sich in Fliegerkombis warfen, die Pilotenbrillen aufsetzten und als "Überflieger" in die Nacht starteten. Der Autokorso von der Arena zum Feier-Areal dauerte wesentlich länger, als man gewöhnlich zu Fuß für die wenigen hundert Meter Strecke benötigt, und über dem Rathausplatz kreiste der Hubschrauber des damals in Holtenau beheimateten MFG 5 – mit einer gigantischen THW-Fahne unter dem Rumpf. Die Handball-Hauptstadt huldigte bis tief in die Nacht ihren Helden, die wahrlich Historisches vollbracht hatten
Handball am Rande der Perfektion
Handball am Rande der Perfektion – das hatten die Zebras um Cheftrainer Alfred Gislason in den Monaten zuvor gezeigt. Die Saison startete mit Anlaufschwierigkeiten, aber auch dem ersten Titel: Mit 24:23 gewannen Kapitän Marcus Ahlm & Co. in München gegen den HSV Hamburg den Supercup. Während das Team in dieser Partie noch mit angezogener Handbremse zu spielen schien, ließen es die Zebras kurz darauf krachen. Zum Liga-Auftakt wurde die SG Flensburg-Handewitt mit 35:21 aus der Kieler Arena gefegt (siehe Spielbericht im THW-Archiv), Kim Andersson erzielte elf Treffer. In der EHF Champions League gab es hingegen einen frühen Dämpfer: Im ersten Königsklassen-Heimspiel der Saison unterlag man Anfang Oktober Montpellier HB mit 23:24 – es sollte die einzige Niederlage der Zebras in allen Wettbewerben der gesamten Spielzeit bleiben. Ende Mai feierte man in Köln nach einem 25:24 gegen die Füchse Berlin im Halbfinale durch einen überragenden 26:21-Erfolg gegen die spanische "Millionenmannschaft" BM Ciudad Real den dritten Champions-League-Erfolg. Zuvor hatten die Zebras im April bereits beim Final Four in Hamburg triumphiert: Im Finale wurde die SG Flensburg-Handewitt auch dank elf Treffer des heutigen THW-Trainers Filip Jicha mit 33:31 geschlagen.
Der lange Weg zur Handball-Geschichte
Nach Titel Nummer zwei und drei der Spielzeit wollten die Zebras natürlich auch in der Meisterschaft weiter glänzen. Und das taten sie auch, wenngleich es nach etlichen deutlichen Siegen auch in einigen Partien extrem spannend zuging. So gewannen die Kieler in Berlin knapp mit 33:32 – 20:0 Punkte. Kurz vor der Winterpause leistete der VfL Gummersbach beim 28:25-THW-Erfolg in der Kölner Lanxess Arena bis zur Schlussminute erbitterten Widerstand - 36:0 Punkte. Der Neustart verlief dann perfekt, wie ein Uhrwerk spulten die Zebras ihr Programm ab, während in der Mannschaft und in Kiel die "Zu-Null-Euphorie" stieg. Beim 27:19-Erfolg in Melsungen zeigten die schwarz-weißen Fans stolz ihre "50:0"-Schilder, und mit jeder weiteren Partie rückte die im deutschen Handball nicht für möglich gehaltene perfekte Saison näher. In Hamburg gewann man 38:34 - 60:0 Punkte. Eng wurde es gegen Lübbecke - am Ende gewann der THW 27:24: 64:0 Punkte.
Eine Saison, die nie vergessen werden wird
Nach dem Auswärtssieg in Hildesheim konnte sich die Kieler Mannschaft dann im abschließenden Heimspiel gegen den VfL Gummersbach krönen - doch auch der Druck war gigantisch. Der schien die Zebras bis zur Pause (18:16) zu blockieren, dann brachen alle Dämme: 21 Treffer erzielte der THW nach dem Wechsel und ließ nur 13 Gegentreffer zu. Das 39:29 war der Auftakt zur Party und Höhepunkt einer Saison, die man in Kiel nie vergessen wird: Mit elf Punkten Vorsprung auf Flensburg holten sich die Kieler damals ihre 17. Meisterschaft, erzielten in 34 Partien 1107 Treffer (im Schnitt 32,55 Tore pro Partie) und schlossen die Spielzeit mit einer Tor-Differenz von 298 ab. Gern hätte Gislason die "300" noch geknackt, damit einen weiteren "Rekord für die Ewigkeit" geholt und wollte dafür seinen frühzeitig ausgewechselten Kapitän Marcus Ahlm wieder aufs Feld schicken - doch der Schwede rebellierte wohl das einzige Mal in seiner langen Karriere, wie Gislason später lachend zugab: "Er hat mich fassungslos angeschaut und nur 'Trainer, jetzt reicht's' gesagt." Und selbst der erfolgshungrige Gislason hatte ein Einsehen, denn durch die vier Titel dieser perfekten Saison hatte sich der THW Kiel längst "unsterblich" gemacht, wie der Spiegel nach dem 68:0 titelte.
Bis heute im deutschen Männer-Handball einmalig
"Ich bin unendlich stolz auf diese Mannschaft. Die Null ist ein Riesenbonus für die Karriere jedes einzelnen Spielers. Das ist ein Rekord, der eingeholt, aber nicht mehr übertroffen werden kann", sagte Gislason. Und Kim Andersson ergänzte: "Ich glaube, es wird lange dauern, bis irgendjemand das wieder schafft." Er sollte Recht behalten: Bis heute ist es keiner Mannschaft in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga mehr gelungen, eine Saison ohne Minuspunkt abzuschließen. Und es sollte zehn Jahre dauern, bis bei den Frauen die SG BBM Bietigheim ein ähnliches Kunststück wiederholen konnte: Die Mannschaft von Trainer Markus Gaugisch gewann in der gerade zu Ende gegangenen Saison den Super-Cup, Pokal, den EHF-Pokal und mit 52:0 Punkten die Deutsche Meisterschaft...
Fotos: Sascha Klahn
Die Mannschaft, die für den THW Kiel die perfekte Saison absolvierte:
Tor: Thierry Omeyer (34 Bundesliga-Spiele 2011/2012, 349/18 Paraden), Andreas Palicka (34, 167/14 Paraden)
Rückraum: Filip Jicha (34 Bundesliga-Spiele, 208/28 Tore), Daniel Kubes (33, 24/1), Momir Ilic (34, 183/93), Daniel Narcisse (32, 85), Aron Palmarsson (29, 45), Kim Andersson (33, 135), Christian Zeitz (29, 76)
Außen: Dominik Klein (34, 89/1), Henrik Lundström (27, 36), Christian Sprenger (32, 79), Tobias Reichmann (27, 37), Jannick Boldt (1, 2)
Kreis: Marcus Ahlm (32, 105), Milutin Dragicevic (15, 5)
Trainer: Alfred Gislason
Geschäftsführung: Sabine Holdorf-Schust, Klaus Elwardt
Staff: Oliver Thormählen, Michael Menzel, Harald Stenzel
Medizinischer Stab: Dr. Detlev Brandecker, Dr. Frank Pries, Uwe Brandenburg, Dennis Missling, Bastian Brandenburg, Maik Bolte, Jan Bock