KN-Interview: "Der Handball steht am Scheideweg"
Ex-Nationalspieler wünscht sich eine gute WM als Balsam auf die Wunden
Die WM überträgt nur Bezahl-Sender Sky. Ein Problem? Die WM-Quali nicht zu schaffen, dann auf ominöse Weise eine Wildcard zu erhalten, den Fernsehvertrag trotzdem nicht zustande zu bekommen und erstmals nicht vor einem Millionen-Publikum zu spielen – das ist traurig für meinen Sport. Aber es ist nicht der Super-GAU, weil Sky eingesprungen ist. Sie haben ein tolles Expertenteam, bringen Handball fantastisch rüber. Es ist nun mal eine weltweite Entwicklung, dass man für Sportsendungen zahlen muss. Wie wichtig ist die WM für den DHB? Der Handball steht am Scheideweg, eine erfolgreiche WM wäre Balsam auf die Wunden. Wir brauchen jede positive Schlagzeile. Drei der letzten vier Turniere haben wir nicht erreicht, für den weltgrößten Handballverband ist das eine Katastrophe. Wir müssen Katar als Chance begreifen und beweisen, dass wir die Teilnahme sportlich verdient haben. Was erwarten Sie von Katar? Ich fahre mit zwiespältigen Gefühlen und viel Respekt hin. Wir haben Regeln zu befolgen, die wir aus Europa nicht kennen, und man braucht für alles eine Drehgenehmigung. Ich bin gespannt, ob sich Katar weltoffen und tolerant präsentiert. Wann wäre die WM ein Erfolg? Das Problem früherer Turniere war, dass die Mannschaft mit der Angst hinfuhr: Hoffentlich verkacken wir nicht. Das darf nicht die Herangehensweise sein. Das Team muss Selbstvertrauen und Siegermentalität entwickeln. Das geht nicht auf Knopfdruck, das muss man sich in der Vorbereitung und im Turnier erarbeiten – und dann, nur intern in der Kabine, sagen: Jungs, wir holen eine Medaille. Das mag unrealistisch sein, aber wer nicht träumt und sich keine hohen Ziele stellt, erreicht nichts. Hat Deutschland Weltklasse-Spieler? Uwe Gensheimer ist vielleicht der beste Linksaußen der Welt. Mit ihm und Patrick Groetzki haben wir eine super Flügelzange und drei Torhüter, die auf Weltniveau halten können. Der Rückraum muss als Ganzes funktionieren. Steffen Weinhold ist für mich der Leader. Aber niemand kann dort allein Spiele entscheiden, das geht nur im Verbund. Und mit einer starken Abwehr. Vorne helfen eine klare Linie, wenig Fehler und ein schnelles Zusammenspiel. Wir haben keinen Nikola Karabatic (Barcelona, d. Red.) oder Mikkel Hansen (Paris, d. Red.). Paul Drux kann mal einer werden, aber man darf ihm nicht zu viel aufbürden. Der Junge ist 19, soll das Gesicht der WM 2019 im eigenen Land werden. Wir haben kein Weltklasse-Team, aber eine gute Mannschaft. (Mit Stefan Kretzschmar sprachen Frank Schober und Steffen Enigk, aus den Kieler Nachrichten vom 12.1.2015)