KN: Landin, der Melsungen-Schreck
Kiel. Halloween-Special mit Gruselfaktor: Der THW Kiel setzt seine Siegesserie in der Handball-Bundesliga fort, besiegt die MT Melsungen am Donnerstagabend mit 38:26 (20:14). Sechs Partien in Folge haben die Zebras nun in der Liga gewonnen, sind wettbewerbsübergreifend seit zwölf Spielen ungeschlagen. Für Aufregung sorgt eine unberechtigte Rote Karte gegen THW-Kapitän Domagoj Duvnjak, der ab der fünften Minute zum Zuschauen verdammt ist.
Süßes für die Fans, Saures für die MT - Der THW gewinnt mit 38:26 und ist nun schon Zweiter
Tolle Bundesliga-Atmosphäre in der Sparkassen-Arena am Feiertag: Zunächst einmal gibt’s Süßes für die Fans. Nikola Bilyk, Niclas Ekberg, Harald Reinkind, Niklas Landin pariert gegen Nationalspieler Tobias Reichmann - nach 150 Sekunden steht es 3:0. Wird das wieder so ein Kantersieg gegen die Nordhessen? Ein 4:1 steht auf der Anzeigetafel (5.), als die Stimmung kippt und auch Elite-Schiedsrichter wie Lars Geipel und Marcus Helbig einmal völlig schief gewickelt sind. Sie zeigen Domagoj Duvnjak nach einem gewiss zeitstrafenwürdigen, aber nicht brutalen Foul an Julius Kühn die Rote Karte.
Kühn wälzt sich am Boden, Reichmann fordert lautstark Rot gegen den als überaus fair bekannten Kroaten, und Duvnjak muss auf die Tribüne. Wenn es um den Käpt’n geht, verstehen die Fans allerdings keinen Spaß. Jetzt gibt’s Saures! Fortan wird jede Ballberührung von Kühn mit ohrenbetäubenden Pfiffen begleitet, der Halblinke zuerst aus- und in Halbzeit zwei rausgepfiffen. Aber von dem roten Gruselschock müssen sich die Zebras erst einmal erholen. Melsungen liest die schwarz-weiße 3:2:1-Deckung - jetzt mit Hendrik Pekeler an der Spitze - und geht mit 6:5 (11.), 9:8 in Führung (14.). Der THW spielt in dieser Phase überhastet, muss sich sortieren.
Das gelingt Miha Zarabec auf der Spielmacherposition, die Zebras ziehen sich in die defensivere 6:0-Abwehrvariante zurück. Jetzt bilden Pavel Horak, Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek den puren Abwehrgigantismus, initiieren mit schnellem Verschieben, klugem Übergeben und viel Wucht eine Phase, in der der Rekordmeister seine ganze Bandbreite spielerischer Möglichkeiten auszuspielen weiß. Der vom frenetischen Publikum angefachte Gastgeber kommt ins Tempospiel, setzt mit Steals Nadelstiche, macht das Spiel vorne breit, schnell, hat mit Harald Reinkind einen ebenso gut aufgelegten Shooter wie punktgenauen Assist-Geber. Eben noch 10:10 (16.), plötzlich 15:11 (22.) und 20:14 zur Pause. Das Kollektiv gerät in Fahrt, Melsungen-Schreck Niklas Landin pariert allein bis zur Pause zehn Bälle (18 werden es insgesamt), Hendrik Pekeler macht ein furioses Spiel am Kreis.
"Nach der Roten Karte mussten wir das Spiel umdenken. Die Jungs sind zusammengerückt, hatten das Spiel nach einigen schnellen Toren schnell im Griff. Das hätte ich vorher so nicht geglaubt, wenn mir das jemand erzählt hätte", resümiert THW-Chefcoach Filip Jicha später glücklich. Nach der Pause fällt Melsungen "komplett auseinander" (MT-Geschäftsführer Axel Geerken). Frische Impulse von der Bank: Mangelware. Ein Aufbäumen: Fehlanzeige. Der THW hält Tempo und Kraft derweil unverändert hoch. Niklas Landin hält einen Ball nach dem anderen, bringt auch den weiter ausgepfiffenen Julius Kühn zur Verzweiflung und den auf der Tribüne mitfiebernden Domagoj Duvnjak zu permanentem Sonderapplaus.
Der hat seine Halloween-Freude an der Spiellaune seiner Mitspieler, sagt nach dem Schlusspfiff: "Ich habe Julius getroffen, aber die Rote Karte war ein bisschen viel. Zwei Minuten wären in Ordnung gewesen. Ich hatte nie das Gefühl, dass das Spiel danach kippen könnte. Die Jungs haben das überragend gemacht. Es war ein geiles Spiel und geile Stimmung, es hat Spaß gemacht, zuzusehen - auch wenn ich natürlich lieber gespielt hätte."
Beim 26:16 (39.) beträgt der Vorsprung zehn Tore, beim 36:21 (54.) sind es 15. Wird das wieder so ein Kantersieg gegen die Nordhessen wie bei den letzten beiden Auftritten 2018? Ja! "Das müssen wir ehrlich besprechen", sagt ein sichtlich geknickter MT-Coach Heiko Grimm. Gerade eben wurden seine Spieler nach allen Regeln der Kunst bis ins Mark erschüttert und schlichen später wie traurige Gespenster in die Nacht.
 (Von Tamo Schwarz und Merle Schaack aus den Kieler Nachrichten vom 01.11.2019, Foto: Sascha Klahn)