KN: Lucky Gisli: Nicht mehr nur “der Sohn von …”

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KN: Lucky Gisli: Nicht mehr nur "der Sohn von ..."

Herzogenaurach. Meistens lacht Gisli. Ein Sprint bei 36 Grad - Gisli lacht. Bankdrücken im Gym - Gisli lacht. Falsch abgebogen beim Warmlaufen - Gisli grinst. Das (etwas chaotische) Nesthäkchen der Zebraherde des THW Kiel heißt Gisli Thorgeir Kristjánsson. Gisli, der sympathische Junge aus Island, der nicht mehr nur "der Sohn von ..." sein möchte.

Nesthäkchen: THW-Neuzugang Kristjánsson

Die Arme leicht abgespreizt wie bei Lucky Luke, wenn der dem Sonnenuntergang entgegen reitet. Dazu eine blonde Locke, die ins Gesicht ragt. So könnte man Gisli gut erkennen nachts auf dem brodelnden Laugavegur in Reykjavík oder nach der Party am Hot-Dog-Stand "Bæjarins Beztu Pylsur", an dem schon Bill Clinton angestanden hat. Da kommt er her: geboren in Reykjavík, aufgewachsen in Hafnarfjördur, Abitur im Sommer an der ältesten und bestrenommierten Privatschule des Landes "Verzlunarskóli Íslands" in 103 Reykjavík. Da kommt er her: aus diesem 350 000-Einwohner-Land, in dem jeder jeden kennt. "Ich habe so viele Freunde, die vermisse ich schon sehr", sagt Gisli.

Mit 16 musste er sich entscheiden.

Gisli Thorgeir Kristjansson lauscht den Anweisungen von Alfred Gislason

Gisli ist keiner von denen, die in der Dunkelheit ihres Landes Bandleader, Aquarellmaler oder schwermütig werden. Gisli ist Sportler. Und - damit muss am besten gleich am Anfang dieser Geschichte einmal aufgeräumt werden - er ist natürlich auch "der Sohn von ...". Nur eben nicht von irgendwem. Denn Gislis Eltern kennt in diesem kleinen Inselstaat jeder. Das wirft lange Schatten für den Lucky Luke, mittleres von drei Kindern. Das erzeugt Druck. Denn Papa Kristján Arason ist eine Handball-Legende, die in 245 Länderspielen 1123 Tore erzielte - drittbester Wert aller Zeiten. Arason spielte zehn Jahre lang mit THW-Coach Alfred Gislason ("Gisli ist schon sehr weit für sein Alter") zusammen, wurde mit dem VfL Gummersbach deutscher Meister (1988). Star der Familie ist jedoch die Mama: Thorgerdur Katrín Gunnarsdóttir. Nicht wegen eines Länderspiels, sondern weil sie Bildungsministerin und Ministerin für Fischerei und Landwirtschaft war, Vorsitzende der liberalen Partei Viðreisn ist und ganz nebenbei auch noch aussieht wie ein Ex-Model. "Jeder kennt Mama. Ich bin so stolz auf sie, sie ist unglaublich. Über Politik reden wir aber kaum, auch wenn ich natürlich meine Meinung habe." Mitten im Wahlkampf ließ sich Gunnarsdóttir das Länderspiel-Debüt ihres Sohnes gegen Schweden am 26. Oktober nicht entgehen, hinterher gab’s ganz bodenständig Pizza.

Aus dem "Sohn von ..." wurde also zuerst der Handball-Jungstar Gisli und dann der Handballer, der zum THW Kiel wechselt und in die Fußstapfen von Aron Palmarsson tritt. "Ein großer Schritt, ein Kindheitstraum. Als ich ein Kind war, war Aron auf dem Sprung zu den Männern, hat nebenbei in der Arena gejobbt. Als er nach Kiel ging, wusste ich: Das will ich auch, ich wollte so sein wie er", sagt der Youngster, der im Trainingslager mit seiner leicht chaotischen Art gute Laune verbreitet und trotzdem voll akzeptiert ist. Das Zimmer teilt sich Kristjánsson mit Superstar Domagoj Duvnjak ("Ich kann es kaum glauben, wir sind Roomies"). "Niemand behandelt mich von oben herab, keiner ist arrogant."

Bleibt abzuwarten, ob sich Duvnjak auf lange Sicht für Gislis Gewohnheiten begeistern kann. "Game of Thrones" ist seine Lieblingsserie, Kaleo ("Way Down We Go") die aktuell favorisierte (isländische) Band. Wahrscheinlicher ist, dass Netflix und Co. erst zum Einsatz kommen, wenn Vielschläfer Duvnjak im Reich der Träume weilt. Alternativ steht Gisli auch noch auf isländische Krimis. Aktuell liegt Arnaldur Indridasons "Myrká" (Frevelopfer) auf dem Nachttisch. Mit der Sprache hapert es noch, immer wieder leistet Alfred Gislason in der gemeinsamen Muttersprache Hilfestellung. Übrigens: Es ist ein Glücksfall, dass Gisli überhaupt in Kiel ist. "Als ich 16 war, musste ich mich entscheiden." Entscheiden? Bis zur U 17 war der Supersportler auch noch Fußball-Nationalspieler. "Die Atmosphäre beim Handball hat den Ausschlag gegeben: mehr Spaß, mehr Kontakt, keine sinnlosen Sprints in jedem Spiel." Club-Champion im Keilir Golf Club war das Multitalent (Handicap 11) ganz nebenbei auch noch. Jetzt ist er Handballer, hat das angedachte Studium (Financial Engineering) erst einmal zum Plan B gemacht. Die von Emil Frend Öfors übernommene Wohnung in der Nähe der Kieler Uni hat noch einen Schönheitsfehler: Freundin Rannveig Bjarnadóttir ist noch nicht da. "Sie spielt Fußball, hat noch Saison. Sie kommt im September nach." Wenn Gisli von der Nationalspielerin erzählt, ist es wieder da - das Grinsen.

Jeder kennt Gislis Eltern. "Das war für mich nie ein Problem." Dann ist das Gespräch zu Ende, die Sonne geht unter. "Glückwunsch nachträglich!" Am Montag hat Gisli seinen 19. Geburtstag gefeiert. Der THW-Spieler, nicht "der Sohn von ...". Er grinst und dreht sich um. Mit abgespreizten Armen - wie bei Lucky Luke.

(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 02.08.2018, Fotos: Sascha Klahn)