sh:z-Interview mit Thorsten Storm
Kiel. Am Dienstag spielt der THW Kiel in Neumünster gegen die SG Flensburg-Handewitt. Vor dem einzig wahren Nord-Derby, bei dem es im Rahmen des „sh:z-Sportsommers“ um den „Flens-Cup“ geht, sprachen Jürgen Muhl und Holger Loose mit THW-Geschäftsführer Thorsten Storm über die vergangene Spielzeit, die Erwartungen an die kommende Saison und die Herausforderungen des Handballs.
„Spiele oder Titel zu gewinnen, ist nicht selbstverständlich“
sh:z: Herr Storm, wie war der Urlaub?
Thorsten Storm: Der Urlaub kommt erst noch. Zunächst stand für alle hier viel Arbeit und die Vorbereitung auf die neue Saison an. Mitte August geht’s dann mit der Familie an die Nordsee.
Apropos Urlaub: Der ist ja seit ein paar Tagen für Ihre Spieler vorbei...
Die Vorbereitung läuft. Anders als im letzten Jahr (Olympische Spiele) sind alle Spieler von Anfang an mit dabei.
Beste Voraussetzung für eine erfolgreiche neue Saison, oder?
Wichtig ist, dass unsere Spieler im Gegensatz zum vergangenen Olympia-Sommer überhaupt Urlaub hatten. Diese Pause trägt zu einer guten Grundstimmung bei und tut den Jungs sehr gut.
Lassen Sie uns noch einmal kurz auf die abgelaufene Spielzeit zurückblicken. Es ist längst nicht alles so gelaufen, wie man es sich normalerweise beim THW vorstellt. Klare Niederlagen in der Champions League, viel Krampf in der Bundesliga. Sie und Ihr Trainer haben das mit dem personellen Umbruch erklärt. Ist der jetzt abgeschlossen?
Natürlich gab es diese Spiele, die wie verloren haben und bei denen unser Auftritt wirklich nicht OK war. Als ich hier angetreten bin, wussten wir, dass die nächsten zwei Jahre sehr holprig werden, weil wir die komplette Mannschaft samt Führungsspielern ausgetauscht haben. Aber wir haben zuletzt mit dem Pokalsieg ein erstes Zeichen gesetzt. Dennoch wissen alle hier: In diesem Jahr muss mehr kommen. Dafür tritt der THW Kiel an. Allerdings ist es für uns nicht selbstverständlich, dass wir Spiele oder Titel gewinnen. Der Handball in Europa hat sich verändert. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei anderen europäischen Spitzenclubs haben heute eine andere Dimension als noch vor ein paar Jahren.
„Andi ist einfach ein überragender Torhüter“
Das erfolgsverwöhnte Publikum in Kiel war nicht immer glücklich. Selbst der Trainer und der Manager wurden zum Teil hart kritisiert. Prallt das an einem ab, oder macht sich auch ein THW-Manager schon mal Sorgen um seinen Job?
Wir sind alle Profis. Kritik gehört dazu und war berechtigt. In einigen Heimspielen oder auch im Champions-League-Spiel in Paris – da darf man sich nicht so präsentieren. Als THW Kiel müssen wir uns alle drei Tage den hohen Ansprüchen stellen. Das gilt für den Trainer, für die Spieler und für mich.
Zum Ende der Saison gab es dann auch noch das Wolff-Theater (Anm. der Redaktion: Torwart Andreas Wolff hatte öffentlich seine Unzufriedenheit in Kiel zu Ausdruck gebracht und ein Angebot auf Vertragsverlängerung ausgeschlagen.) Alles ausgestanden?
Zunächst vorweg: Andi Wolff hat hier eine tolle erste Saison gespielt und ist die erhoffte große Verstärkung. Er ist ein echtes Trainingstier und einfach ein überragender Torhüter mit einem Drei-Jahres-Vertrag beim THW Kiel. Wir konzentrieren uns jetzt alle wieder auf den Sport, und wir würden uns freuen, wenn Andi möglichst lange für den THW Kiel im Tor steht.
Aber eine Vertragsverlängerung hat es noch nicht gegeben?
Wir haben vorzeitig versucht, eine Lösung zu finden, die auch für uns wirtschaftlich denkbar und machbar ist. Es gab keine Einigung. Das gibt es aber überall im Profisport. Andi Wolff hat hier sehr frühzeitig unterschrieben. Damals war er einer von zwei Torhütern in Wetzlar und noch nicht der Europameister und Weltklassetorhüter. Natürlich weckt seine enorme sportliche Entwicklung auch Begehrlichkeiten auf anderer Ebene - das ist auch legitim und gerechtfertigt. Aber alles ist immer ein Geben und Nehmen. Andi ist ein toller Sportler, und ich freue mich, dass er für den THW spielt.
„Champions League ist für uns überlebenswichtig“
Neue Saison, neues Glück: Auf was dürfen sich die Zebra-Fans für die kommende Spielzeit freuen?
Erst einmal auf eine Mannschaft, die bei Alfred Gislason eine gesamte Vorbereitung „genießen" darf. Es sind alle Leistungsträger wie zum Beispiel Niklas Landin, Patrick Wiencek oder Domagoj Duvnjak langfristig unter Vertrag. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich. Ich glaube, dass wir eine angriffslustige Mannschaft sehen werden, eine Mannschaft, die brennt. Und ich denke, das ist auch das, worauf sich die Fans am meisten freuen.
Die Wild-Card für die Champions League beschert dem THW wieder lukrative internationale Gegner, aber auch einen randvollen Terminkalender, der den Kieler aber auch Flensburger und Mannheimer Spielern fast schon Unmenschliches abverlangt. Wie lange geht das noch gut? Und wie sehr hilft es, dass auch in der Bundesliga künftig 16 statt 14 Spieler eingesetzt werden dürfen?
Wir sind natürlich erst einmal sehr froh, dass endlich Vernunft eingekehrt ist und auch in der Bundesliga mit 16 Spielern agiert werden darf. Das hilft den Trainern bei der Dosierung im Wettkampf. Das hilft vor allem den Top-Spielern, die alle Wettbewerbe bis zum Ende spielen und auch in der Nationalmannschaft stark belastet sind. Andererseits verdienen wir mit der Teilnahme in allen Wettbewerben unser Geld. Ein THW Kiel ohne Champions League wäre in dieser Größenordnung fast nicht denkbar. Die Champions League ist für uns überlebenswichtig.
Im vergangenen Final Four der Champions League in Köln stand erstmals keine deutsche Mannschaft. Ist die Bundesliga überhaupt noch die stärkste Liga der Welt?
Gerade weil die Bundesliga die stärkste nationale Liga ist, hat diesmal keiner am Final Four teilgenommen. Denn man muss durch diese Bundesliga erst einmal durchkommen. Und dabei lässt man enorm viel Kraft. Drei Tage bevor wir in Barcelona zum Viertelfinal-Rückspiel antreten, müssen wir auf dem Weg dorthin noch ein schweres Bundesligaspiel in Göppingen bestreiten. Da ist der Akku in Barcelona schon vor dem Anpfiff halb leer. Dagegen hat Barcelona sich das Spiel schön im Fernsehen angeguckt und entspannt auf uns gewartet.
„Das Derby ist Prestige“
Zurück zur Vorbereitung: Am Dienstag kommt es in Neumünster mit dem ewigen Handball-Klassiker THW gegen Flensburg zum ersten echten Härtest. Welchen Stellenwert hat die Partie?
Wenn diese beiden Mannschaften aufeinandertreffen, hat es immer einen großen Stellenwert, egal zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Anlass. Das ist Prestige. Wir sind sehr froh, dass der sh:z dieses Spiel auf die Beine stellt – und das in Neumünster, an einem idealen Ort, zentral mitten in Schleswig-Holstein. Ich hoffe, dass dieses Spiel, wenn es denn gut angenommen wird, sogar zu einer Tradition werden kann. Das passt in das Handball-Bundesland Schleswig-Holstein.
Sehen die Zuschauer dabei den neuen THW, sprich auch die Neuzugänge Ole Rahmel, Miha Zarabec und Emil Frend Öfors?
Wir kommen mit der gesamten Mannschaft. Auch unsere verletzten Spieler wie Kapitän Domagoj Duvnjak oder Raul Santos lassen sich das Nordderby natürlich nicht entgehen und werden in Neumünster fleißig Autogramme schreiben.
„Konkurrenz belebt das Geschäft“
Abschließend noch eine Frage zur neuen sportlichen Situation in Kiel. Mit dem Aufstieg der Fußballer von Holstein Kiel gibt es jetzt ein zweites sportliches Schwergewicht in der Landeshauptstadt. Konkurrenz für den THW?
Der Zweitliga-Aufstieg von Holstein Kiel ist hochverdient und freut alle Fußballfans in Schleswig-Holstein und natürlich auch uns. Trotz der Euphorie um die Fußballer haben wir wieder alle Dauerkarten verkauft, und der Handball-Fan geht weiterhin zum THW Kiel. Aber wenn in einer mittelgroßen Stadt wie Kiel vorher Sponsorengelder von sagen wir vier Millionen Euro zur Verfügung standen, dann sind jetzt nicht auf einmal acht Millionen da, weil Holstein auch vier braucht. Früher gab es in Kiel nur den THW, und die Werbepartner hatten eigentlich vor Ort nur diese eine Wahl. Dennoch: Konkurrenz belebt das Geschäft. Gerade weil Fußball größer ist als Handball, müssen wir uns als internationaler Spitzen-Handballclub nun in ganz Deutschland schneller bewegen. Das machen wir seit zwei Jahren.
(Das Interview führten Jürgen Muhl und Holger Loose, aus dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag sh:z vom 29.07.2017, Foto: Archiv/Sascha Klahn)