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ZEBRA: Steffen Weinhold – Mann mit Weitblick

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ZEBRA: Steffen Weinhold - Mann mit Weitblick

Steffen Weinhold ist vielseitig. Im Januar wurde er mit der deutschen Nationalmannschaft Europameister, als ihn eine schwere Verletzung zurückwarf. Abseits des Handballfeldes steht er kurz vor dem Master-Abschluss in seinem Studium der Sportökonomie. Viel zu erzählen also. ZEBRA traf ihn dafür an seinem Lieblingsort im Schrevenpark.

"Müll wegbringen ist genauso ätzend wie vorher"

ZEBRA: Steffen, was hat sich für Dich seit dem Europameistertitel verändert? Steffen Weinhold: Nichts. Gar nichts? Werdet Ihr nicht anders wahrgenommen und seid für die Öffentlichkeit deutlich interessanter? Es gab seitdem vielleicht ein paar Anfragen mehr, insbesondere natürlich unmittelbar nach dem Titelgewinn. Aber da ich mich noch während des Turniers verletzt hatte, war ich anschließend bei den ganzen Feierlichkeiten schon nicht mehr dabei. Meine Konzentration galt stattdessen der Reha und dem Aufbautraining. Es hört sich vielleicht komisch an, aber der EM-Titel war einfach sehr schnell wieder sehr weit weg. Um zügig wieder gesund zu werden, hatte ich mir bereits neue Ziele gesetzt. Trotzdem ist es natürlich immer wieder schön, daran zurückzudenken, die Momente noch einmal Revue passieren zu lassen. Aber im Alltag hat sich nichts geändert: Den Müll wegbringen und Wäsche waschen ist immer noch genauso ätzend wie vorher auch.

Uni und Spitzensportler? "Voraussetzungen sind eher schlecht"

Momente der Ruhe: Steffen Weinhold genießt diese im SchrevenparkIm Studium warst Du auf Dich allein gestellt. War das anders? Ja, aber ich hatte zum Glück noch zwei, drei Ansprechpartner. Meinen Bachelor habe ich bereits zu Großwallstadt-Zeiten gemacht. Damals habe ich noch mit anderen Sportlern zusammen studiert, und man hat sich regelmäßig getroffen und kennengelernt. Anschließend konnten wir uns auch von zu Hause aus austauschen. Bei meiner Master-Arbeit war ich relativ auf mich allein gestellt, das finde ich schade. Aber die Voraussetzungen, die es in dieser Hinsicht für Spitzensportler in Deutschland gibt, sind leider ziemlich schlecht. Ich hatte mich vorher intensiv damit beschäftigt und mit vielen Universitäten gesprochen, aber die meisten Fern-Unis lassen ihre Klausuren immer am Wochenende schreiben oder haben dann Präsenzphasen, zu denen man anwesend sein muss. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man dann aufgrund seines Sports verhindert ist, liegt bei 95 Prozent. Und wenn man fragt, was in solch einem Fall wäre, heißt es immer nur: "Ja, dann können Sie es ja im nächsten Semester machen." Aber da sieht unser Spielplan auch nicht anders aus. Dementsprechend schade ist es, dass es da nur wenig Konzepte und nur eine geringe Auswahl an Studiengängen für Sportler gibt. Daran könnte man noch arbeiten.

"Weiß jetzt nicht, was mir der Master-Titel später bringen wird"

Bist Du im Studium genauso ehrgeizig wie im Handball? Nee. Ich weiß jetzt noch gar nicht, was mir dieser Master-Titel später einmal bringen wird, ob ich davon später überhaupt irgendetwas in Anspruch nehmen werde. Letztlich ist es für mich einfach ein Stück weit Unabhängigkeit. Wenn ich mal nicht mehr Handball spielen werde, habe ich wenigstens einen Abschluss. Natürlich wird es auch nicht so leicht sein, sich mit 35 Jahren und ohne Berufserfahrung irgendwo zu bewerben, wenn die andere Mitbewerber erst 22 Jahre alt sind. Mit welcher vernünftigen Begründung sollte jemand dann mich nehmen? Anders herum gibt er mir vielleicht die Möglichkeit, auch unabhängig von dem, was ich im Handball gemacht habe, eine Chance zu bekommen. Möchtest Du unabhängig vom Handball beurteilt werden? Das weiß ich nicht. Aber das macht mich in meinem Gefühl auf jeden Fall freier. Vielleicht möchte ich auch im Handball bleiben. Grundsätzlich im Sport zu bleiben, wäre in jedem Fall reizvoll. Ich liebe es, Handball zu spielen, und das, was ich gerade tue. Aber wenn ich das 15 oder 20 Jahre lang getan habe, dann ist es einfach auch interessant, noch mal etwas neues kennenzulernen und zu erfahren. Die Frage ist natürlich immer, ob man das dann auch tatsächlich durchzieht. Jetzt denke ich: Wenn ich irgendwann mit dem Handball fertig bin, steht eine einjährige Weltreise ganz oben auf meiner Prioritätenliste. Danach suche ich mir dann neue Ziele und Aufgaben. Aber wenn man vielleicht mal Kinder hat, dann möchte man ihnen auch eine gewisse Sicherheit garantieren und ihnen etwas bieten. Vielleicht ist es irgendwann einmal auch für mich sicherer, im Handball zu bleiben, auch wenn etwas Neues sicher sehr reizvoll wäre.

Steffen Weinholds Lieblingsort: der Schrevenpark

Steffen Weinhold ist schon immer sehr naturverbunden gewesen. So tourte er mit einem VW-Bus durch Norwegen, erklomm zu Fuß den Kilimandscharo und durchstreifte den Dschungel von Brasilien. Wenn es ihn in Kiel ins Grüne zieht, dann oft in den Schrevenpark im Stadtteil Schreventeich. Und das gleich aus mehreren Gründen. Zum einen wohnt Weinhold unweit von hier in einer Altbauwohnung mitten in Kiel, zum anderen könne man hier herzlich abschalten. Der große Teich mitten im Park ist im Übrigen natürlichen Ursprungs und wurde durch die Eiszeiten geformt. Da der Teich vormals weit außerhalb der Stadt lag und im Besitz des ortsansässigen Grafen war, wurde er deshalb im Volksmund "des Grafen Teich" genannt, was im Plattdeutschen "s grefens diek" lautet - die Buchstaben wurden verschliffen, bis der heutige Name "Schreventeich" entstanden war. Heute ist er Namensgeber des gesamten Stadtteils.

"Es ist etwas Besonderes, Kapitän zu sein"

Steffen Weinhold und Rune Dahmke feierten im Januar den EM-TitelLenkst Du Dich vielleicht auch bewusst vom Handball ab und beschäftigst Dich stattdessen viel mit anderen Dingen? Natürlich ist es wichtig, sich mit dem Handball zu beschäftigen, solche Momente zu genießen und aufzuarbeiten, um daraus zu lernen. Aber insgesamt ist es meiner Meinung nach ebenso wichtig, einen gewissen Abstand zu haben. So etwas hilft, Titel wie diesen als Momentaufnahme zu sehen und sie im Gesamtkontext vernünftig einzuordnen. Und wo ordnest Du diesen EM-Titel ein? Als Handballer bedeutet er mir natürlich ziemlich viel. Ein schöner Titel und sicherlich auch etwas Besonderes. Aber wenn man es mit Abstand betrachtet, dann weiß man auch, dass die EM einfach nur ein Turnier ist, welches wir gewonnen haben. Nicht viel mehr.  Wie stolz hat es Dich gemacht, dass Du Kapitän der EM-Mannschaft warst? Es ist schon etwas Besonderes, Kapitän einer Mannschaft zu sein. Aber jeder hatte seine Aufgaben auf dem Spielfeld, und in erster Linie war es wichtig, die erst einmal zu erfüllen, damit wir alle gemeinsam erfolgreich sein konnten. Das stand im Vordergrund. Verantwortung übernommen hättest Du eh… Das hat ja nicht so viel mit der Rolle des Kapitäns zu tun, wenn man im Spiel Verantwortung übernimmt. Das kann letztlich in jedem Spiel ein anderer sein, der ein Spiel vielleicht sogar entscheidet.

"Die Welt dieser Tage ist ein großer Patient"

Welche Werte sind Dir in Deinem Leben als Nicht-Handballer wichtig? Ich mache mir Gedanken darüber, was sonst noch auf der Welt passiert. Wenn man es so will, dann ist die Welt dieser Tage ein ziemlich großer Patient. Ob man ökologisch und nachhaltig leben möchte, Regionalismus statt Globalismus, ob man sich sozial seinem Nächsten gegenüber verhält - da gibt es viele kleine Dinge, die man selbst tun kann. Sich Gedanken zu machen, halte ich für wichtig. Und wenn man das macht, dann ist die Einordnung von solch einem Titel wieder klein. Andersherum ist es aber auch so, dass mir alles andere egal ist, wenn ich in diesen besonderen sportlichen Moment lebe: bei einem Turnier wie der Europameisterschaft, vor einem Spiel wie zuletzt in Barcelona und jetzt demnächst wieder beim Final4 in Köln. Dann lebe ich nur für dieses eine Spiel, das ich unbedingt gewinnen will.Dann ist es das Wichtigste auf der Welt. Und so muss es als Sportler ja auch sein. Wie hat Dich der Sport in den vergangenen Jahren geprägt, und was nimmst Du von dort mit hinüber in Dein anderes Leben. Du beendest offensichtlich ziemlich locker nebenbei gerade Dein Master-Studium… Ich bin jetzt fast 30, andere schreiben ihre Master-Arbeit mit 22. Aber man übernimmt sicher eine gewisse Zielstrebigkeit, insbesondere wenn Du in der Gruppe einen Erfolg erreichen möchtest. Wenn alle gemeinsam für ein Ziel arbeiten, dann kann man auch Dinge erreichen, die man vorher nicht für möglich gehalten hat. Das haben wir bei der EM gesehen. Solche Momente helfen im späteren Leben, Dinge umzusetzen, die man sonst vielleicht nicht bewerkstelligen würde.

"Nehme mir ungewollt Auszeiten"

Du bist es seit Jahren gewohnt, tagtäglich in einer Mannschaft zu sein. Kannst Du denn überhaupt alleine sein? Das würde ich schon sagen. Ich habe auch mal fünf Jahre lang alleine gelebt. Vielleicht ist das Bild allerdings etwas verwässert, da man immer weiß, dass jetzt wieder fünf Tage am Stück folgen, an denen man mit allen zusammen ist. Wenn dieses Alleinesein wirklich kontinuierlich wäre, wäre das sicher noch einmal etwas anderes. Vielleicht unterschätzt man einfach auch oft, was so ein Mannschaftsleben einem tatsächlich gibt. Wir sind füreinander da, das ist viel wert. Auch wenn man das mitunter viel zu wenig wertschätzt, weil es so normal für einen ist. Nimmst Du Dir bewusst Auszeiten? Ja durchaus. Ich versuche bewusst, den wechselnden Rhythmus aus Spannung und Entspannung einzuhalten. Auch wenn ich mir momentan ungewollt Auszeiten nehme… Wie sehr schmerzt das? Du willst natürlich spielen. Aber anders herum ist es so, dass ich in neun Jahren Bundesliga relativ gut davongekommen bin. (Aus dem Arena-Magazin "ZEBRA" zum Heimspiel gegen die SG Flensburg-Handewitt)