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KN: Der doppelte Weinhold

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KN: Der doppelte Weinhold

Kiel. An dem Mann mit Gipsarm, Adidas-Shirt und Marque-Noir-Cap im Kieler Schrevenpark lässt sich die gesamte Saison des Handball-Dinos THW Kiel wunderbar nachzeichnen. Auf, ab. Ausgeknockt, wieder da. Der Mann ist Steffen Weinhold, und eigentlich hätte der 29-Jährige allen Grund, schlecht gelaunt zu sein: gerade zurückgekämpft, Hand gebrochen, Final Four in der Champions League in Gefahr. Hat er aber nicht. Angenehmer könnten zwei Stunden kaum sein. Fast so, als würde man sich mit zwei Steffen Weinholds treffen.

Krankenbesuch: Der Linkshänder zwischen Reha und Master-Studium

Schrevenpark, grüne Lunge mitten in der Stadt. Hier passt Weinhold perfekt hin, lebt zusammen mit Freundin Ina in einer schönen Altbauwohnung. Die Begrüßung mittels Fußmatte lässt keine Zweifel: "Fürth - Wir sind erstklassig". Da wurde der Linkshänder geboren, ging in Oberasbach zur Schule. In der Küche gibt’s Buttermilch. "Gut für den Heilungsprozess", sagt Weinhold, den seine Familie und die Mitspieler "Raffi" nennen. Gar nicht so einfach, die Milchdose zu öffnen mit Gips. "Alles im Alltag dauert länger, ich muss früher aufstehen. Spülmaschine ein- und ausräumen geht, aber beim Pullover anziehen wird es schon schwierig. Gut, dass es jetzt so warm ist. Und Wäsche waschen, aufhängen, legen?" Weinhold lacht. Dabei ist seine Saison gar nicht zum Lachen. Alles begann schon im Trainingslager in Herzogenaurach mit einer Ellenbogen-Blessur. Im Januar spielte er als Kapitän der deutschen Gold-Mannschaft eine phänomenale Europameisterschaft. Beim 30:29 gegen Russland zog er sich einen Muskelbündel-Teilabriss im Adduktorenbereich zu, zehn Wochen Zwangspause, aber Weinhold kämpfte sich zurück. Dann trat ihm Raul Entrerrios im Viertelfinal-Hinspiel gegen den FC Barcelona auf die Hand und brach den Mittelhandknochen. Weinhold bleibt gelassen: "Ich war in den letzten neun Bundesliga-Saisons wenig verletzt. Das kann gern wieder so werden in den nächsten neun." Jetzt mit der Verletzung komme sein Alltag einem "normalen Arbeitsleben" nahe: "Reha, Training, Behandlungen - ein Acht- bis Neun-Stunden-Tag von Montag bis Freitag, keine Spiele, am Wochenende frei. So etwas kennt man als Sportler sonst kaum. Leider ist man nicht so nah bei der Mannschaft." Ungewohnte Freiräume. Nach zwei Wochen scherzte Ina, dass Steffen gern schnell wieder gesund werden könne. Zeit für Kochen, Essengehen, Freunde, Reisen im Sommer findet das Paar auch sonst. Zeit für sein Sportökonomie-Studium an der Fern-Uni Koblenz findet Weinhold sonst weniger. Mit (oder ohne) Gips setzte er sich "immer mal abends drei, vier Stunden" hin. Fränkisches Understatement: Die Masterarbeit ist mittlerweile eingereicht. Der doppelte Weinhold ist eben nicht nur Handballer, sondern (demnächst) auch Sportökonom. Auf dem Weg durch den Schrevenpark zum Café "Bakeliet" geht's um den Handballer. Den mit dem "größten Ziel", den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Der "nicht jede Woche Kontakt" zu Bundestrainer Dagur Sigurdsson brauche (aber schon einen Anruf bekommen hat), sondern einfach "schnell gesund und bereit" werden will. Der glücklich ist, in der Stadt zu wohnen, zum Heimspiel laufen zu können. Der unbedingt dabei sein will in Köln beim Final Four. Für die Fahrt dahin werden 512 Seiten von Oliver Bottinis "Ein paar Tage Licht" reichen. Viel Schatten in der Saison des doppelten Steffen Weinhold, und am Ende immer wieder mehr als ein paar Tage Licht. Kaum zu glauben, dass dieser unglaubliche Teamplayer keine wichtige Rolle beim großen Showdown in der Champions League spielen soll. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 10.05.2016, Foto: Sascha Klahn)