KN: Pokal phänomenal

EHF-Pokal

KN: Pokal phänomenal

Kiel. Triumph der Routine, Verbeugung vor einem ganz Großen, bewegende Momente: Der THW Kiel feierte am Sonnabend durch ein 26:22 (16:10) im Finale gegen die Füchse Berlin den vierten Titelgewinn im EHF-Cup und machte damit das Double aus Pokal und EHF-Cup perfekt. Das an zwei Tagen fantastische Kieler Publikum feierte seine Zebras und sich selbst. Die Sparkassen-Arena kochte.

Der THW Kiel sichert sich in einem fantastischen Final Four zum vierten Mal den EHF-Cup

"Alfred! Alfred!"-Rufe - das Publikum verneigt sich vor seinem Trainer, der gerade seinen 20. Titel mit dem Rekordmeister gewonnen hat. Und der Trainer verneigt sich vor seinem Publikum. Gislason macht vier tiefe Verbeugungen, krönt damit diese elf Jahre währende Liebesbeziehung zwischen Fans und lebender Trainerlegende. Kein Dramaturg hätte diese Geschichte besser erdenken können. Kein Champions-League-Final-Four hätte möglich gemacht, was die 10 285 am Sonnabend erlebten.

Siegerehrung: Niklas Landin und Lukas Nilsson tränken ihren Coach in Sektfontänen. Gislason stemmt den Pokal in die Luft, reicht ihn an Andreas Wolff weiter. Erst Erleichterung, dann bricht sich ungetrübte Freude Bahn nach 60 zuerst anspruchsvollen, mitreißenden, in der zweiten Halbzeit rustikalen, von Kampf geprägten Finalminuten, die in der Erkenntnis münden, dass dieser vierte EHF-Cup-Triumph auch ein Triumph der Routine, der Handballweisheit ist. Steffen Weinhold, Niclas Ekberg und allen voran Domagoj Duvnjak heißen die Kieler Protagonisten des Erfolges. 

Der 32-jährige Weinhold steht in den ersten 30 Minuten für den nicht zu bändigenden Willen, Niclas Ekberg für den Spielwitz, Miha Zarabec und Domagoj Duvnjak ziehen die Fäden. Aber: Alles ist Abwehr. In diesem Spiel ist alles drin, was ein Handballspiel braucht. Die Szene des Spiels: Duvnjak - zuvor mit zwei Prachtwürfen in den Winkel - mit dem Steal in der offensiven Deckung, Nikola Bilyk im Bodenkampf, der Ball kommt zu Harald Reinkind - 16:10 zur Pause. 

Doch Berlin lässt den Kieler Sechs-Tore-Vorsprung binnen acht Minuten auf drei Tore Differenz (17:20/42.) zusammenschmelzen. Andreas Wolff - eingewechselt - ist zur Stelle. Er hält die wichtigen Bälle, gegen Zachariassen (45.), gegen Drux (47.), gegen Lindberg (50.). Der THW ist jetzt permanent in Unterzahl. Kampf. Ein bisschen Krampf. Aber Wolff lässt nichts anbrennen, bleibt bis zum 22:18 (52.) zehn Minuten lang ohne Gegentor. Die Arena feiert, jubelt, kreischt.

"Diese Atmosphäre habe ich seit der Saison 2013/2014, als wir mit zwei Toren Vorsprung vor den Löwen Meister wurden, in der Ostseehalle - Entschuldigung! Sparkassen-Arena - nicht mehr erlebt", sagt Alfred Gislason. "Ich glaube, dieser Titel ist eine ganz gute Entschädigung für unsere Fans in einer Saison, in der wir nicht in der Champions League gespielt haben", ergänzt Patrick Wiencek. Taktische Kniffe, tolle Emotionen, Silvio Heinevetter wird aus-, dann wieder eingewechselt, zieht den Kielern fast den Zahn. Füchse-Coach Velimir Petkovic zetert auf der Bank, fordert eine Rote Karte gegen Niklas Landin, der aus dem Tor stürmt, fast mit Bjarki Mar Elisson kollidiert. Petkovic ist nach Abpfiff schnell besänftigt: "Wir haben gegen eine bessere Mannschaft verloren, und es fällt mir leichter, weil wir gegen Alfred verloren haben. Ich gratuliere ihm von Herzen, er ist einer der ganz Großen unserer Zunft." Nationalspieler Paul Drux ist am Boden zerstört: "Es fühlt sich so beschissen an, bei der Siegerehrung zugucken zu müssen."

Lukas Nilsson setzt Magnus Landin in Szene, Nilsson auf Pekeler, 24:19 (55.), das Spiel ist entschieden, die Fans singen: "Oh, wie ist das schön!" Ist es auch. Für die Fans, den Trainer, die Mannschaft. Glückseligkeit. Jahrhunderthandballer Magnus Wislander trägt in weißen Handschuhen den Pokal in die Arena. Funken sprühen, Sektfontänen spritzen. Zum ersten Mal seit 2007 feiert der THW Kiel einen internationalen Titel im eigenen Wohnzimmer. "Es ist schön für Alfred, dass er in seiner Halle noch einmal so einen Pokal in die Luft stemmen darf", sagt Steffen Weinhold. Die Fans haben den "Wir sind Kiel"-Slogan auf eine neue Stufe gehoben. Würde nicht "Wir sind Handball" viel besser passen?

(Von Merle Schaack und Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 20.05.2019, Foto: Sascha Klahn)