Unfassbares Rückspiel-Drama: Der THW Kiel fährt im Juni zum EHF Final4 in Köln!
Am 18. Und 19. Juni steigt in Köln das jährliche große Handballfest, das EHF Final4 in der Lanxess-Arena. Der THW Kiel ist dabei, gewann am Donnerstagabend in der Wunderino Arena das Viertelfinal-Rückspiel gegen Paris Saint-Germain nach einem unfassbaren Drama mit 33:32 (17:19) Toren. Im Hinspiel hatten sich die Teams mit 30:30 getrennt. Es war ein hochklassiges Handballspiel von zwei großartigen Mannschaften, das wohl keiner der Anwesenden jemals vergessen wird. Dramatik pur in diesem Handball-Spektakel bis zur Schlusssekunde, in der THW-Torhüter Niklas Landin den letzten Flachwurf des Holländers Luc Steins unschädlich machte, den Ball festhielt und damit die Halle und 10 000 frenetische THW-Fans in einen Rausch versetzte. Draußen trommelte der Regen aufs Dach, drinnen feierten völlig begeisterte THW-Fans lautstark ihre Handball-Helden.
Hendrik Pekeler verletzt sich schwer
Die Kieler machten damit ihre achte Teilnahme in Köln perfekt, bilden zusammen mit Kielce, Veszprem und Barcelona ein großartiges Quartett, haben aber auch einen großen Verlust zu beklagen: Hendrik Pekeler, einer der besten Abwehrspieler der Welt, schrie in der 25. Minute laut auf, fasste sich nach einem Zweikampf am eigenen Kreis mit PSG-Star Nedim Remili an den linken Fuß und humpelte schließlich mit Hilfe von Physiotherapeut Christian Steen und Trainer Filip Jicha vom Feld. Die traurige Diagnose der Mannschaftsärzte: Kiels Kreisläufer erlitt einen Achillessehnenriss, wird mit dieser schweren Verletzung viele Monate ausfallen.
Patrick Wiencek "Man of the match"
Seine Mannschaft warf sich nach dem Halbzeitrückstand auch für "Peke" mit noch mehr Elan ins Zeug, kämpfte um jeden Ball und bog das Spiel mit einer unfassbaren Energieleistung noch herum. Zum "Man of the Match" wählte die Jury völlig zu Recht Patrick Wiencek, der nicht nur sechsmal sehenswert für die Kieler ins Schwarze traf, sondern kämpferisches Vorbild für sein Team war, seine Mitspieler mitriss, die Fans pushte und großen Anteil an diesem Sieg im Handballdrama gegen Paris hatte. Der ehemalige Kieler in Reihen der Gäste, Nikola Karabatic, zeigte sich nach dem Schlusspfiff schwer enttäuscht. "Wir haben vor dieser tollen Kulisse ein großes Spiel abgeliefert", erklärte der PSG-Kapitän, "waren in der ersten Halbzeit die bessere Mannschaft, doch dann warfen uns Fehler zu Beginn der zweiten Halbzeit zurück. Wir haben uns trotzdem mit großer Moral herangekämpft, dann aber mit der letzten Aktion des Spiels alles aus der Hand gegeben. Es ist sehr hart, das Final4 zu verpassen."
Gäste erwischen den besseren Start
Der Spielbeginn war ein Spiegelbild des Hinspiels, die Gäste hatten den besseren Start: In der französischen Hauptstadt waren es die Kieler, in der unfassbaren Atmosphäre der Wunderino Arena trumpften Karabatic und Co auf. Nach Remilis 1:0 und dem Ausgleich von Hendrik Pekeler lag Paris nach sechs Minuten mit 4:1 Toren vorn, profitierte dabei von Fehlern im Kieler Angriff, die Nikola Karabatic und Remili jeweils mit Treffern ins leere THW-Tor bestraften. Pech hatte zudem Niclas Ekberg, der sich gleich zu Beginn im Zweikampf mit dem rüde einsteigenden Steins verletzte, selbst seine Spezialität, die Strafwürfe, an Magnus Landin abtrat. Kiels Linksaußen stellte sich, verwandelte beide Strafwürfe im ersten Abschnitt sicher gegen den starken Gerard im Tor der Franzosen und behielt auch in der zweiten Halbzeit die Nerven bei zwei weiteren Würfen von der Siebenmeterlinie. Mit 7/4 Treffern und einer eiskalten, hundertprozentigen Quote war Magnus Landin nicht nur bester Torschütze seiner Mannschaft, sondern auch einer der Sieggaranten - denn auch in der Abwehr stopfte Landin auf schnellen Beinen gleich mehrere Lücken. Auf dem Feld wurde Ekberg von seinem jungen Rechtsaußen-Kollegen Sven Ehrig gut vertreten, zweimal traf Ehrig, bevor er dem Routinier Ekberg später wieder Platz machte.
Halbzeit-Führung für PSG
Kounkoud legte in der zehnten Minute auf 6:3 für Paris vor. Dass die Gäste nicht davonzogen, daran hatte Patrick Wiencek mit seinem Doppelschlag in der zwölften Minute großen Anteil, seine Tore vom Kreis lösten auch die anfängliche Anspannung, holten auch die Fans noch mehr ins Spiel und rissen sie von den Sitzen. Fortan ging es eng zu, die Franzosen lagen jeweils ein, zwei Tore vorn, vor allem tat sich die THW-Abwehr schwer mit Remili, der in der 21. Minute sein fünftes Tor erzielte, insgesamt achtmal für Paris traf. Nikola Karabatic legte dann in der 21. Minute beim 14:11 erneut drei Tore zwischen Paris und Kiel. Als Kounkoud dann das "Kunststück" fertigbrachte, den Ball aus 15 Metern nicht im leeren Kieler Tor unterzubringen, ging ein erneuter Ruck durchs THW-Spiel, Magnus Landin und Patrick Wiencek verkürzten auf 13:14, und als Patrick Wiencek wenig später nach einem Rückhand-Zauberanspiel von Miha Zarabec auf 17:18 verkürzte, schien die erste Kieler Führung nur eine Frage der Zeit. Doch Paris konterte, ging durch Prandis Tor mit der 19:17-Führung in die Halbzeitpause - wieder eine Analogie zum Hinspiel, in dem die Kieler als Gäste nach 30 Minuten mit zwei Treffern vorn gelegen hatten.
Zebras kämpfen wie Löwen
Aus der Kabine kehrte - wie schon in Paris - ein völlig aufgedrehter THW Kiel aufs Parkett zurück. In der Abwehr kämpften die Zebras wie die Löwen, Zarabec veredelte eine großartige Landin-Parade gegen Grebille im Gegenstoß zum 18:19, Bruder Magnus Landin blieb cool und erzielte das 19:19 in der 35. Minute. Die erste Kieler Führung erzielte unter dem ohrenbetäubendem Jubel der "weißen Wand" Sander Sagosen zum 21:20. Es war zugleich der Start in die beste THW-Zeit im Angriff. Magnus Landin traf per Siebenmeter, Harald Reinkind zweimal mit Krachern aus dem Rückraum: 24:21 für Kiel, Paris wackelte, die Halle bebte. Weil Niklas Landin wichtige Bälle unschädlich machte, vorne Harald Reinkind, Miha Zarabec oder Rune Dahmke großartige Treffer erzielten, blieb der THW vorn. Aber entschieden war trotzdem noch gar nichts: Ausgerechnet PSG-Torhüter Gerard brachte die Gäste mit seinem Treffer ins leere Tor in der 53. Minute auf 29:30 und ein Tor Differenz heran. Der Krimi strebte seinem Hitchcok-Finale entgegen, und als Steins zwei Minuten vor dem Schlusspfiff auf 31:31 ausglich, hätten die Pariser das Ticket für Köln aufgrund der auswärts mehr erzielten Tore gezogen.
Dramatische Schlussminuten
Jetzt wurde jede Aktion zu einem Matchwinner, der erneut eiskalt verwandelte Siebenmeter von Magnus Landin und der Kracher von Steffen Weinhold nach der Glanzparade von Niklas Landin gegen Remili sorgten für das 33:31 nach 59 Minuten und acht Sekunden. Eine Entscheidung für den THW Kiel mit seiner "weißen Wand"? Nein. Nikola Karabatic brachte Paris im Schlussspurt heran, dann verloren die Kieler bei direkter Manndeckung den Ball nach Zeitspiel, Patrick Wiencek musste zudem mit einer Zeitstrafe gehen. Vier Sekunden Restspielzeit standen auf der Uhr, Niklas Landin wurde zum Helden gegen Steins: Das Tor nach Köln war offen: Paris weinte, Kiel jubelte, feierte, sang "Viva Colonia" und "Oh wie ist das schön" - das Happyend eines denkwürdigen, 120-Minuten dauernden "Kampfes der Giganten"!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
EHF Champions League, Viertelfinal-Rückspiel: THW Kiel - Paris Saint-Germain: 33:32 (17:19)
THW Kiel: N. Landin (1.-19., 25.-60., 9 Paraden), Quenstedt (19.-25., 1 Parade); Ehrig (2), Duvnjak (2), Sagosen (3), Reinkind (6), M. Landin (7/4), Weinhold (1), Wiencek (6), Ekberg, Ciudad (n.e.), Dahmke (1), Zarabec (4), Horak, Bilyk (n.e.), Pekeler (1); Trainer: Jicha
Paris Saint-Germain: Gerad (1.-60., 15 Paraden, 1 Tor), Genty (1 Siebenmeter, keine Parade); Steins (2), N’Tanzi, Keita, Kristopans, Kounkoud (1), Sole (1), Toft Hansen, Remili (8), Grebille (3), L. Karabatic (2), Syprzak (6/3), N. Karabatic (5), Prandi (3), Loredon; Trainer: Gonzales
Schiedsrichter: Slave Nikolov / Giorgji Nachevski (MKD)
Zeitstrafen: THW: 4 (Weinhold (21.), Sagosen (23.), Duvnjak (40.), Wiencek (60.)) / PSG: 7 (2x Steins (7., 23.), 2x Syprzak (23., 25.), L. Karabatic (24.), N. Karabatic (38.), Kristopans (43.))
Siebenmeter: THW: 4/4 / PSG: 3/3
Spielfilm: 0:1, 1:1, 1:4 (5.), 3:6 (11.), 5:6 (12.), 11:12 (20.), 11:14 (21.), 13:14, 16:17 (26.), 17:19;
19:19 (34.), 19:20, 21:20 (38.), 24:21 (41.), 27:24 (45.), 27:26 (47.), 30:28 (51.), 31:29, 31:31 (57.), 33:31 (59.), 33:32 (60.).
Zuschauer: 10.000 (Wunderino Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin sehr glücklich und stolz auf meine Mannschaft. Es ist schwer, dieses Spiel in Worte zu fassen. Dieses Duell war absolute Werbung für den Handball. Zwei großartige Mannschaften, großartige Spieler und ein denkwürdiges Match über 20 Minuten. Wir waren ein wenig nervös, deswegen lagen wir beinahe 40 Minuten immer hinten. Aber wir haben einen kleinen Lauf bekommen, haben unsere Abwehr stabilisiert und hatten Niklas Landin, der uns mit seinen Paraden geholfen hat. Wir haben dann auch ohne Hendrik Pekeler für Hendrik Pekeler gespielt. Ich wünsche ihm nur das Beste und eine baldige Genesung. Jetzt haben wir zum zweiten Mal in drei Jahren das EHF Final4 in Köln erreicht, das ist für eine Mannschaft aus der Handball-Bundesliga nicht selbstverständlich. Wir werden in Köln unser Bestes geben, um den deutschen Handball dort bestmöglich zu repräsentieren. Ein besonderer Dank geht heute an unsere Fans: In Paris war die Stimmung schon außergewöhnlich, aber das heute war noch einmal mehr. Unsere Fans haben uns gepushed, das war für uns alle eine magische Nacht.
PSG-Trainer Raul Gonzales: Glückwunsch an den THW Kiel, der eine starke Saison spielt. Wir sind in der Abwehr und im Angriff gut in die Partie gekommen, haben dann in der zweiten Halbzeit ein paar Fehler im Angriff gemacht, die für Kiel zum Vorteil wurden. Aber wir haben nie aufgegeben und hatten am Ende sogar die Chance, es nach Köln zu schaffen mit dem letzten Wurf. Jetzt wünschen ich dem THW Kiel viel Glück für das EHF Final4.
THW-Torhüter Niklas Landin: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Gerade fühle ich mich sehr leer und gleichzeitig auch unglaublich glücklich, dass wir es wieder nach Köln geschafft haben - und dieses Mal endlich wieder vor Zuschauern dort spielen werden. Es war heute wieder ein unfassbar hartes und intensives Spiel. Das 7-6 war erneut ein Erfolgsrezept, aber das macht dich als Abwehrspieler und auch als Torhüter vollkommen fertig. Danke an unsere großartigen Fans, die uns heute sehr geholfen haben!
PSG-Kreisläufer Luka Karabatic: Es war ein richtig hartes Spiel mit einer unglaublichen Intensität. Keiner hat zurückgesteckt, und dennoch stehen wir jetzt mit leeren Händen da. Wir haben von der ersten Minute bis zum Schlusspfiff gekämpft, sind sogar noch einmal zurückgekommen und hatten mit dem letzten Wurf die Chance auf Köln. Das wir diese nicht genutzt haben, ist sehr frustrierend - aber so ist der Sport.