Riesen-Energieleistung: THW Kiel gewinnt Viertelfinal-Hinspiel
Der Titelverteidiger THW Kiel hat mit einer Riesen-Energieleistung das Viertelfinal-Hinspiel der EHF Champions League gegen den französischen Titelträger Paris Saint-Germain in der Wunderino Arena verdient mit 31:29 (14:15) gewonnen. Allerdings benötigten die Kieler nach dem Kraftakt in Berlin drei Tage zuvor eine grandiose Leistungssteigerung im zweiten Durchgang, um die französische Weltauswahl in die Knie zu zwingen. Überragender Mann auf dem Feld war Linkshänder Harald Reinkind, der zehn Tore erzielte. Dicker Wermutstropfen: Patrick Wiencek schied nach einem unglücklichen Zusammenprall mit PSG-Spielmacher Luc Steins mit Verdacht auf einen Wadenbeinbruch aus. Am Donnerstag soll eine Untersuchung Klarheit über die Schwere der Verletzung ergeben.
Kieler Fehlstart
Kaum ein Durchkommen: Mit einer knüppelharten Abwehr stellte sich Paris in Kiel vor
Wie erwartet, fehlte beim THW Rückraum-Ass Sander Sagosen. Der Norweger, der im vergangenen Sommer als Königstransfer von Paris nach Kiel gewechselt war, fällt weiterhin mit einem fiebrigen Infekt aus. Angeschlagen war zudem Steffen Weinhold, der erst zum Einsatz kam, als Wiencek nach 32 Minuten das Feld verlassen musste. Paris musste auf den ehemaligen Kieler Nikola Karabatic verzichten, der eine Kreuzbandverletzung auskuriert. Der "Kampf der Giganten" zwischen dem Titelverteidiger und dem letztjährigen Königsklassen-Dritten begann ohne großes Abtasten. Der Trainer der Franzosen, Raul Gonzales, setzte von Beginn an auf eine offensive 5:1-Deckung, und lag damit zunächst goldrichtig. Kiels Angreifer hatten Probleme mit dem vorgezogenen Abwehrmann, zumeist war dies Benoit Kounkoud. So leisteten sich die Zebras in einer hektischen Anfangsphase Fehler über Fehler, die Paris gnadenlos bestrafte. Kounkoud, Hansen, der 2,14-Meter-Riese Kristopans und Nahi brachten die Gäste schon nach fünf Minuten mit 4:1 in Front.
Pekeler früh doppelt belastet
Hendrik Pekeler bekam früh zwei Zeitstrafen aufgebrummt
Zur Hektik trugen allerdings auch zumindest fragwürdige Entscheidungen der beiden kroatischen Schiedsrichter Gubica und Milosevic bei. Die Unparteiischen drückten auf Pariser Seite oft beide Augen zu, wenn die knüppelharte PSG-Deckung zur Sache ging. Kiels Abwehrchef Hendrik Pekeler landete hingegen wegen Haltens schon nach zwei Minuten auf der "Strafbank", wenig später gab es für den Kieler Abwehrchef die zweite Zeitstrafe für eine normale Abwehraktion. Eine deutliche Schwächung für die Zebras, denn fortan musste der vielleicht beste Verteidiger Europas in der Defensive passen, um nicht eine frühe Disqualifikation zu riskieren. Seine Teamkollegen reagierten auf die frühe Schwächung mit Unsicherheit, mussten sich erst neu finden.
Duvnjak wird zum Antreiber
Ging voran: Domagoj Duvnjak erzielte fünf Treffer
So nahm das Kieler Spiel nur langsam Fahrt auf, Torhüter Niklas Landin verhinderte in dieser Phase mit einigen Glanztaten, dass die Gäste nicht weiter enteilten. Und doch lag Paris in der 21. Minute beim 12:8 schon mit vier Toren vorn, Remili war erneut Torschütze. Doch jetzt ging der lang erhoffte Ruck durchs Kieler Team, Antreiber war vor allem Domagoj Duvnjak, der sich mehrfach gegen die kompakte Gästedeckung durchtankte und auch emotional zum Leader avancierte. "Dule" feuerte sich selbst und seine Mitspieler immer wieder an, der THW wachte auf. Mit einem 4:0-Lauf durch Niclas Ekberg, Harald Reinkind, Duvnjak und Patrick Wiencek glichen die Kieler in der 27. Minute zum 12:12 aus. Hansen ließ Saint-Germain bis wenige Sekunden vor dem Halbzeitpfiff noch einmal auf 13:15 enteilen, doch quasi mit dem Pausenpfiff wuchtete Harald Reinkind den Ball zum 14:15-Halbzeitstand ins Pariser Tor - es war sein siebter Treffer in der ersten Hälfte.
Wiencek muss verletzt passen
Schied in der 32. Minute mit Verdacht auf eine Knieverletzung aus: Patrick Wiencek
Hendrik Pekeler glich in der 33. Minute zum 15:15 aus, zuvor hatten die Kieler Verletzung von Wiencek zu verdauen: Steins war dem THW-Kapitän ungestüm in die Beine gerutscht, der sofort mit Schmerz verzerrtem Gesicht liegen blieb und wenig später auf Harald Reinkind und Mannschaftsarzt Dr. Detlev Brandecker gestützt das Feld verlassen musste. Die Pariser nutzten eine Überzahl, um wieder mit zwei Toren in Führung zu gehen. In der Abwehr füllte dann Pavel Horak die Lücke aus, die die Verletzung von Wiencek ab der 32. Minute riss. Der Tscheche machte einen guten Job, half mit jeder Minute mehr, die gefürchtete Pariser Tormaschine zu bremsen. Horak war es auch, der mit einem Steal und dem Pass auf Magnus Landin das 19:20 einleitete. Während Steins für das Beinstellen gegen Horak eine Zwei-Minuten-Strafe erhielt, blieb Remilis Ellenbogenscheck aus vollem Lauf gegen Landin ungesühnt. Und doch war dies ein erneuter Weckruf.
THW dreht die Partie
Magnus Landin traf trotz Remilis Ellenbogencheck zum 19:20.
Kurz darauf glich Duvnjak aus - wenig später ging der THW Kiel zum ersten Mal in Führung. Und das mit einem Kunststück à la Niklas Landin: Zunächst stoppte er Dylan Nahis Wurfversuch von Außen, fing gar den Ball, ein Blick nach vorn und schon schickte Kiels Welthandballer den Ball auf die lange Reise ins leere Pariser Gehäuse. 23:22 für den THW! 13 Minuten vor dem Ende hatten die Zebras diesem packenden Spiel eine Wende gegeben - und sie legten nach. Bis zum 25:25 (53.) blieb die Partie offen, dann folgte der 3:0-Lauf, der das Spiel entschied: Hendrik Pekeler netzte ein prima Anspiel von Harald Reinkind ein, Niclas Ekberg traf nach frechem Ballklau, und Harald Reinkind traf mit seinem zehnten Tor schließlich zum 28:25. Ärgerlich: Beim Stand von 31:28 in der 59. Minute hielt Vincent Gerad einen Wurf von Magnus Landin, der dabei allerdings Siebenmeterreif abgeräumt worden war. Ein Pfiff blieb allerdings aus, Syprzak warf auf der gegenüberliegenden Seite zum Endstand ein. Und dennoch: Dieses 31:29 war angesichts des Spielverlaufs ein klasse Resultat, dass sich die Zebras mit einer neuerlichen Energieleistung verdient hatten.
Samstag gegen Balingen
Das Rückspiel findet am kommenden Mittwoch (18:45 Uhr, live bei DAZN) in der französischen Hauptstadt statt. Da an diesem Tag Lockerungen der Corona-Beschränkungen in Frankreich in Kraft treten, wird PSG auf die Unterstützung von 800 Zuschauern in der Halle bauen können. Doch das ist für die Zebras alles erst einmal Zukunftsmusik: Denn zuvor muss der THW Kiel in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga am Samstag um zwei wichtige Zähler kämpfen - und das gegen einen unangenehm zu spielenden Gegner. HBW Balingen-Weilstetten, das zuletzt mit drei ungeschlagenen Spielen in Folge und dem Auswärtssieg in Magdeburg einen Riesen-Schritt in Richtung Klassenerhalt gemacht hat, gastiert ab 18:30 Uhr in der Wunderino Arena. Sky überträgt live, das schwarz-weiße Heimspiel-TV geht um 17:30 Uhr auf Sendung. Weiter geht's gegen Balingen, Kiel!
EHF Champions League, Viertelfinale: THW Kiel - Paris Saint-Germain: 31:29 (14:153
THW Kiel: N. Landin (1.-60., 10 Paraden, 1 Tor), Quenstedt (1 Siebenmeter, keine Parade); Ehrig (n.e.), Duvnjak (5), Reinkind (10), M. Landin (2), Sunnefeldt, Weinhold, Wiencek (1), Ekberg (5/3), Ciudad, Dahmke (n.e.), Zarabec (3), Voigt (n.e.), Horak. Pekeler (4); Trainer: Jicha
Paris Saint-Germain: Gerad (1.-16., 49.-60., 4 Paraden), Genty (16.-49., 6 Paraden); Steins (4), Keita, Kristopans (1), Konkoud (2), Sole, Toft Hansen, Remili (4), Grebille, Syprzak (3), L. Karabatic (1), Morros, Hansen (6/5), Prandi, Nahi (8); Trainer: Gonzalez
Schiedsrichter: Matija Gubica / Boris Milosevic (CRO)
Zeitstrafen: THW: 4 (2x Pekeler (3., 10.), Weinhold (33.), Horak (52.)) / PSG: 5 (Kristopans (26.), Karabatic (36.), Steins (42.), 2x Remili (47., 58.))
Siebenmeter: THW: 3/3 / PSG: 5/5
Spielfilm: 0:1, 1.1, 1:4 (4.), 4:4 (8.), 6:6, 6:9 (13.), 8:10 (15.), 8:12 (21.), 12:12 (27.), 12:14 (28.), 13:15 (30.), 14:15;
15:15, 15:17 (35.), 18:20 (40.), 20:20 (43.), 21:22, 23:22 (48.), 25:25 (52.), 28:25 (55.), 30:27 (57.), 31:28 (58.), 31:29.
Zuschauer: keine (Wunderino Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel
THW-Trainer Filip Jicha: Das heute war eine richtige Schlacht. Und wir erwarten in einer Woche in Paris wieder einen Riesen-Kampf. Heute sind wir nicht so ins Spiel gekommen, wie ich es erwartet hatte. Wir haben jede Menge einfache Fehler gemacht, und das war der Grund, warum wir die komlette erste Halbzeit einem Rückstand hinterher gelaufen sind. Dann sind wir ins Spiel gekommen, haben besser verteidigt. Unglücklicherweise haben wir dann Patrick verloren. Aber mir hat gefallen, was für ein Ruck dann durch meine Mannschaft gegangen ist. Ärgerlich fand ich dann die letzten zwei Minuten - die hätten wir viel besser spielen müssen.
PSG-Trainer Raul Gonzalez: Glückwunsch an den THW Kiel zum Sieg in dieser ersten Halbzeit. Wir sind klasse in die Partie gekommen, haben sehr gut verteidigt und unsere Chancen genutzt. In der zweiten Halbzeit ist Kiel dann besser und besser geworden - das hat uns nicht verwundert, schließlich haben wir gegen den Titelverteidiger gespielt. Dann war es schwierig für uns und wir haben dieses Spiel verloren. Aber es ist erst Halbzeit - jetzt muss Kiel zu uns kommen. Dieses Viertelfinale ist wie ein Finale.
THW-Linskaußen Magnus Landin: Es ist eine Ehre, ein Viertelfinale gegen Paris spielen zu können. Jetzt sind die ersten 60 von 120 Minuten um. Wir hatten heute anfangs große Probleme, Paris hat das 5-1 in der Abwehr sehr gut gespielt und ist dadurch zu vielen Gegenstößen gekommen. Dann sind wir zurück in die Partie gekommen, und am Ende hätten wir ein besseres Resultat herausholen müssen.
PSG-Kreisläufer Kamil Syprzak: Dieses Viertelfinale ist noch lange nicht zu Ende. Um ehrlich zu sein: Jetzt freuen wir uns richtig auf unser Heimspiel, das wahrscheinlich mit Zuschauern ausgetragen wird. Unsere Fans können uns im Rückspiel richtig helfen. Heute haben wir in der zweiten Halbzeit angefangen, Fehler in der Abwehr und im Angriff zu machen. Wir haben zwar offensiv ein gutes 7-6 gespielt, hatten dann aber Probleme mit den Wechseln.
THW-Toptorschütze Harald Reinkind: Wir sind schlecht ins Spiel gekommen, haben in der ersten Halbzeit zuviele Fehler gemacht. Dann hat Filip in der Halbzeitansprache gesagt, dass wir uns auf unser Spiel besinnen sollen. Das haben wir dann gemacht.