KN: Jetzt beginnt das Zittern ums Achtelfinale
Kiel. Was für ein Rückschlag: Nach wochenlangem Aufwärtstrend ist der THW Kiel am Sonntagnachmittag unsanft auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Nach dem 26:29 (15:14) gegen den slowenischen Meister RK Celje in der Handball-Champions-League rutschen die Zebras auf den vorletzten Tabellenplatz der Gruppe B ab und müssen nun ernsthaft um den Einzug ins Achtelfinale der Königsklasse bangen.
Bittere Niederlage
Es ist ein verschenkter Sieg an diesem trüben Sonntag, an dem sich die Situation beim deutschen Rekordmeister schlagartig wieder verfinstert. Es ist eines dieser Spiele, in dem eine Niederlage für den THW Kiel 50 Minuten lang kaum denkbar scheint. THW-Coach Alfred Gislason zeigt sich nach der Partie zerknirscht. "21 Fehlwürfe", lautet seine knappe Antwort auf die erste Frage nach den Ursachen. 21 stete, zermürbende Fehlwürfe in einem Duell zwischen den Kielern im Aufwind und einem slowenischen Meister, der sich mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren und einer Handvoll Teenagern jugendlich durch die Beletage des kontinentalen Handballs forscht. Die Rollen sind klar verteilt, und so geht es dann auch los. Die Zebras müssen Steffen Weinhold (Muskelfaserriss) ersetzen, spielen zunächst mit Christian Zeitz in der Abwehr und Marko Vujin im Angriff auf der Linkshänderposition. Wie ein aufgezogener Duracell-Hase tritt Miha Zarabec gegen seine alten Kollegen auf. Will der 1,78 Meter große Spielmacher den Gegner gleich ganz allein überrollen? Kiel führt mit 7:4 (12.), leistet sich fortan eine Reihe ausgelassener Chancen. Nikola Bilyk hat einen gebrauchten Tag, trifft das leere Tor nicht (13.), scheitert an Urban Lesjak im RK-Tor (15.). Und plötzlich steht es 7:7 (16.).
Ein Muster, das sich wiederholen wird. Mehrmals setzt sich der Gastgeber in der mit 8700 Zuschauern nicht ausverkauften Sparkassen-Arena auf drei Tore ab, führt mit 11:8 (21.), 14:11 (28.) und lässt sich immer wieder einfangen. Zarabec' Angriffsspiel wird zusehends monotoner, leicht auszurechnen. Später übernimmt Bilyk den Aufbau. Lukas Nilsson kommt auf Halblinks, Gislason stellt die Abwehr vor der Pause von einer 6:0- auf eine offensive 3:2:1-Formation um. Insgesamt: Luft nach oben, der Achtelfinaleinzug ist kein Selbstgänger. "Eines der schlechtesten Spiele der Saison", sagt THW-Torwart Niklas Landin, der stark anfängt, einen Siebenmeter pariert, dann kaum noch eine Hand an den Ball bekommt und nach der Pause auf der Bank Platz nehmen muss.
Der Wechsel zwischen den Pfosten ist nicht der einzige mit Beginn der zweiten 30 Minuten. Als beste Entscheidung Gislasons entpuppt sich, Christian Zeitz jetzt auch im Angriff aufzubieten. Der 37-Jährige erzielt vier der ersten fünf Kieler Tore nach der Pause, stellt mit einem eleganten Wackler zum 20:17 (40.) den alten Vorsprung wieder her, leistet sich insgesamt auch „krasse Fehler“ (Gislason), avanciert allerdings zum Leuchtturm in der über dem Europaplatz hereinbrechenden sportlichen Finsternis. Als Celje, in dessen Reihen mit Rückraum-Youngster Jaka Malus ein 21-Jähriger überragt, nicht nur plötzlich zusehends ins Tempogegenstoß-Spiel kommt, zudem mit Ex-Zebra Igor Anic und Kristian Beciri gleich zwei treffsichere Abnehmer zahlloser Zuspiele an den Kreis hat und zum 21:21 ausgleicht (45.), ist es wieder Zeitz, der sich mit dem 22:21 (46.) aufbäumt. Es bleibt die letzte Führung der Kieler.
Celje liegt beim 22:23 (49.) erstmals vorn, und jetzt bricht alles auseinander: Christian Dissinger weit drüber (50.), Rune Dahmke scheitert an Lesjak (51./52.), und Andreas Wolff kann ebenso wenig reüssieren wie Niklas Landin. Als David Razgor zum 25:23 für Celje trifft (52.), liegt der deutsche Nationalkeeper längst früh geschlagen am Boden - sinnbildlich. Gislason tauscht beide Außen aus, stellt noch einmal auf 3:2:1 um, doch vorne läuft sich Zarabec fest, wirft Bilyk noch einmal drüber und Lukas Nilsson, der bislang eine enttäuschende Saison spielt, beim Stande von 26:28 (59.) den letzten, alles entscheidenden Ball in Überzahl ins Nirgendwo. Malus macht im Gegenzug das 26:29, die Schiedsrichter pfeifen ab, die Kieler Fans quittieren den Nachmittag mit einem Pfeifkonzert. "Kiel ist meine zweite Heimat. Es gibt Tage, an denen alles klappt. Heute war so ein Tag", sagt ein strahlender Igor Anic nach der erfolgreichen Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte. Bei den Zebras sitzt der Schock tief. Die Qualifikation für das Achtelfinale in der Champions League ist an diesem Sonntag ernsthaft in Gefahr geraten.
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 13.11.2017, Foto: Sascha Klahn)