KN: Disco! Drama! Derby!
Flensburg. Was für ein Spiel, was für eine Kieler Energieleistung: Der THW gewinnt bei der SG Flensburg-Handewitt mit 33:30 (16:15, siehe THW-Spielbericht). In einer insgesamt starken Mannschaft überragen einige: Die Protagonisten des Derbysieges heißen Christian Dissinger, Lukas Nilsson und Andreas Wolff.
THW Kiel gewinnt 95. Landesduell
Der Tag des 95. Nordderbys der beiden schleswig-holsteinischen Rivalen beginnt für den THW Kiel mit einer Hiobsbotschaft. In den kommenden zwei bis drei Wochen müssen die Zebras auf Youngster Nikola Bilyk verzichten. Der Österreicher, seit Dienstag 21 Jahre alt, hatte sich am Vortag im Training einen Teilriss der Außenbänder im linken Sprunggelenk zugezogen. Da Domagoj Duvnjak noch nicht wieder an Bord ist, ist die Auswahl an Akteuren, die THW-Coach Alfred Gislason für den linken Rückraum zur Verfügung stehen, überschaubar. "Daumendrücken!", postet Bilyk am Nachmittag auf seiner Facebook-Seite mit einem Bild, das ihn mit dick verbundenem Fuß zeigt.
Es hilft. Der im Fehlstart in dieser Saison sehr erprobte THW ist sofort im Derby-Modus: Steal René Toft Hansen, Block, Steal Christian Zeitz - nach drei Gegenstößen liegen die in Schmähgesängen und Pfeifkonzert geduschten Gäste mit 3:0 vorn (3.). Gislason hat sich für Lukas Nilsson in der Mitte und Christian Dissinger auf Halblinks entschieden. Das zündet. "Disco" Dissinger ist "on fire", doch anfangs stellen sich schnell wieder so manche Leiden des Turnvereins Hassee-Winterbek ein. Bis zum 8:5 (11.) gelingt der SG ein 8:2-Run, weil der Gegner in der Zuschauerrolle eher nur dabei als mittendrin ist. Das Umschaltspiel krankt, und im Positionsspiel stocken dynamisch-explosive Abläufe immer dann, wenn der Serbe Marko Vujin auf Halbrechts an den Ball kommt.
Derby! Disco! Fehlt nur noch das Drama! Als das Nordduell so richtig Fahrt aufnimmt, Andreas Wolff sich sofort nach seiner Einwechslung mit einer Parade gegen Thomas Mogensen im Geschehen anmeldet und Gislason eine 5:1-Deckungsvariante mit Sebastian Firnhaber an der Spitze probiert, bringen die serbischen Schiedsrichter die Arena gegen sich auf, zeigen Tobias Karlsson nach einer ungestümen, aber kaum rot-würdigen Aktion gegen Dissinger die Rote Karte (16.). Das schwächt die Flensburger so richtig, aus einem 11:9 (15.) wird ein 11:12 (21.). Fortan zeigt sich Lukas Nilsson treffsicher und mit viel Übersicht, gibt Rune Dahmke - an den Kreis einlaufend - einen Zwitter aus Langstreckenläufer und unermüdlichem Ackergaul, sperrt und reißt im Nahkampf mit Rasmus Lauge und Co. Räume für seine Mitspieler. Dazu hat der THW mit Andreas Wolff - seit der 13. Minute für Niklas Landin - auch eine "phänomenale" (Gislason) Torwartleistung. Gleich zwei Siebenmeter kauft Wolff Kentin Mahé und Lauge ab. Zur Pause führt Kiel mit 16:15.
Nach dem Seitenwechsel geht der Derbykampf weiter, SG und THW bearbeiten sich unerbittlich. Nilsson macht die wichtigen Tore, auch wenn es spielerisch mal nicht so einfach ist, die Brechstange gebraucht wird. Daneben ist nun auch der rechte Rückraum mit Christian Zeitz offensiv gefährlich, weil der Routinier wie immer ein gutes Spiel in gewohnter Anti-Zeitz-Atmosphäre macht. Alle profitieren von der Arbeit der Kieler Kreisläufer René Toft Hansen und vor allem Patrick Wiencek, der Räume freisperrt, dass es eine helle Freude ist.
Beim 19:19 (37.) und 23:23 (43.) steht es remis, doch eine SG-Führung wird es nicht mehr geben. Flensburg hat Probleme mit der Kieler Deckung, und kommt doch mal was durch, ist da ja immer noch Wolff, der sich ins Unermessliche steigert. In der 44. hält er Strafwurf Nummer drei, insgesamt sammelt der Nationalkeeper 17 Paraden. Dissinger trifft sieben Minuten vor dem Ende bei drohendem Zeitspiel zum 28:27, wenige Augenblicke später erreicht Wolff das nächste Level: Nachdem er Mahé den zweiten und der SG insgesamt den vierten Strafwurf vermiest, lässt der Riese einen Urschrei los, ballt die Fäuste gen Himmel.
Die Flensburger verzweifeln an Wolff, und pünktlich in der Schlussminute erreicht diese Verzweiflung ihren Höhepunkt. Der kleine Funken Hoffnung der SG verglimmt binnen 60 Sekunden, Hampus Wanne trifft den Pfosten, Wolff kauft Wanne einen Gegenstoß ab, Sebastian Firnhaber blockt Mahé. Die Kieler indes bleiben cool. Zeitz trifft vier Mal, Ekberg auch - sogar aus dem Rückraum. Dissinger krönt eine überragende Leistung mit sieben Toren, Nilsson mit sechs. Zahlen zum Kieler 33:30, das mit der Schlusssirene der bärenstarke Wiencek per Heber perfekt macht. Und die "Hölle Nord" verstummen lässt.
(Von Tamo Schwarz und Niklas Schomburg, aus den Kieler Nachrichten vom 30.11.2017, Foto: Sascha Klahn)