Mit Leidenschaft und Kampf: THW ringt Barcelona nieder
Elektrisierende Stimmung von der weißen Wand
Zauber-Start der Zebras
Die Zebras sogen die Atmosphäre förmlich auf und legten einen Zauber-Start hin: Vor allem Marko Vujin war von Beginn an heiß gelaufen. Vujins 1:0 von der halblinken Position konterte Barca mit der einzigen Führung durch Jallouz, dann jagte der Linkshänder einen Hüftwurf in die Maschen, Steffen Weinhold legte nach einem Ballgewinn der Abwehr nach, ehe Vujin auch zum 4:2 traf. Runde Dahmke holte einen Siebenmeter heraus, die Fans gaben mit stehenden Ovationen Mut, und Vujin verwandelte sicher zum 5:2 (8.). Die Blau-Roten konterten, bestraften jeden Kieler Fehler sofort. Offenbar beeindruckte die Atmosphäre den sonst so abgebrühten Rekordchampion aber doch, nach Niclas Ekbergs 7:4 passte Dika Mem ins Nirgendwo, was erneut Ekberg mit einem fantastischen Dreher zum 8:4 nutzte - Xavier Pascual zog den grünen Karton, die Fans hielt es nicht mehr auf den Sitzen.
Jicha ärgert Kiel
Eine Zwangspause, die den THW Kiel aber nur kurzfristig stoppte, weil Nikola Bilyk trotz seiner schmerzhaften Ellenbogenverletzung auf die Zähne biss und mit Sorhaindo am Arm noch den Pass auf Vujin spielen konnte: 10:6 (19.). Die Schwarz-Weißen machten aber weiterhin auch Fehler, sodass Barcelona zu vielen leichten Gegenstoßtreffern kam. Vor allem Ex-Zebra Filip Jicha hatte die Spielzüge des THW offenbar genauestens studiert, traf mit seinen Steals und Gegenstößen seine ehemaligen Mitspieler ins Mark. Die aber schüttelten sich kurz, kämpften in der Abwehr weiter verbissen um jeden Ball und nutzten ihre Chancen: Dahmke angelte sich artistisch einen Abpraller vom Block und netzte zum 12:10 ein, doch Jicha verkürzte. Weinhold setzte sich durch, doch Jicha traf zum 15:15-Ausgleich, ehe Vujin mit seinem sechsten Treffer den Schlusspunkt unter eine intensive erste Halbzeit setzte.
THW bleibt am Drücker
Der Linkshänder war es auch, der die zweite Hälfte mit einem krachenden Wurf eröffnete. Rivera antwortete mit einem Siebenmeter, bei dem dem starken Niklas Landin nur ein Hauch zur Parade fehlte. Lackovic bediente kurz darauf den starken Patrick Wiencek, der per Heber zum 18:16 traf, ehe Lukas Nilsson mit einem furiosen Pass auf Niclas Ekberg das 19:16 einläutete. Ärgerlich, dass die THW-Abwehr bei Syprzaks direkt verwandeltem Freiwurf einen Moment lang nicht auf der Höhe war. Barca-Keeper Perez de Vargas, der mit einem frisch operierten Finger spielte, vereitelte in der Folge einige Kieler Chancen - der turmhohe Favorit ließ sich nicht abschütteln, auch wenn der THW wie nach Vujins Traum-Anspiel auf Wiencek und Vujins verwandeltem Siebenmeter, zuvor hatte Morros Rune Dahmke bei einem Gegenstoß böse abgeräumt, dagegen hielt: 23:19, eine Viertelstunde vor Schluss war der THW am Drücker.
Entscheidung am Samstag
Die Entscheidung über den Einzug ins VELUX EHF Final4 fällt am kommenden Samstag um 18:30 Uhr im legendären Palau Blaugrana: Mehr als 150 Kieler Fans werden ihre Mannschaft in die Mittelmeer-Metropole begleiten. Sky Sport überträgt live aus dem Palau Blaugrana. Allerdings haben die "Zebras" zuvor noch eine richtig hohe Hürde zu überspringen: Während Barcelona sechs Tage Zeit hat, sich von dem kräftezehrenden Spiel zu erholen und sich auf das Rückspiel vorzubereiten, müssen die Kieler am Mittwoch zunächst ein eminent wichtiges Bundesliga-Spiel bei Frisch Auf Göppingen bestreiten, ehe sie direkt aus Süddeutschland nach Barcelona fliegen werden. In dieser Woche müssen die Kieler also noch zweimal 60 Minuten Einsatz, zweimal 60 Minuten Leidenschaft und zweimal 60 Minuten Kampf abrufen, um in Göppingen und dann in Barcelona dagegen halten zu können. Noch ein Schritt bis Köln: Auf geht's, Kiel!
Zebras legen vor
Zwei unglückliche Aktionen von Wiencek vereitelten allerdings einen Sturmlauf: Erst verpasste er im Gegenstoß das 24:19, dann kassierte er bei Jallouz' Treffer eine Zeitstrafe. Diese nutzte Barca durch Sorhaindos Wurf aufs leere Tore, der vom Innenpfosten ins Netz trudelte, zum 21:23. Wieder legten die Zebras den Schalter um, Ekberg und Weinholds Fackel brachten sie mit 25:21 in Führung (49.). Doch der kraftraubende Kampf zeigte Wirkung: Perez de Vargas hielt einen Vujin-Siebenmeter, ehe der überragende Torschütze blitzschnell reagierte: Nach einem Pass ins Aus wollte die Barca-Bank den Ball nicht freigeben, Wiencek erkämpfte ihn sich im Tumult, bediente Vujin, der die wild protestierenden Spanier zum 26:22 überrumpelte.
Rot für Toft Hansen
Es folgte die Szene, die den grandios kämpfenden Mittelblock der Kieler auseinander riss: Jallouz' Stürmerfoul wurde nicht geahndet, Blazenko Lackovic stoppte das ehemalige Zebra auf rustikale Art, doch das Schiedsrichtergespann schickte Rene Toft Hansen mit der roten Karte vom Feld. Die folgende blaue Karte, die in der Bundesliga eine automatische Sperre anzeigt, hat in der Königsklasse eine andere Wirkung: Nach jeder direkten roten Karte muss laut Schiedsrichter-Anweisung der blaue Karton gezückt werden, um im Nachgang über eine mögliche, wenngleich in diesem Fall nicht unbedingt zu erwartende, Sperre zu verhandeln. Für das Hinspiel hatte entfaltete diese Entscheidung aber schnell Wirkung: Die Überzahl-Situation und die kleinen Lücken im Abwehrverbund nutzte Barcelona zum 24:26, und hätte Landin nicht den Syprzak-Gegenstoß entschärft, die Spanier wären dem THW noch dichter auf die Pelle gerückt.
Knapper Sieg
So aber pushten die Kieler Fans, die es längst nicht mehr auf den Sitzen hielt, ihre Mannschaft zum finalen Schlussspurt: Bilyk setzte sich zum 27:24 durch, was Tomas mit einem seiner unwiderstehlichen Dreher an der Grenze des Regelbuches beantwortete, Rune Dahmke jagte bei angezeigtem Zeitspiel den Ball in die Maschen, ehe Entrerrios das 26:28 erzielte. Mehr als zwei Minuten waren da noch zu spielen, in denen erst Brozovic und dann Morros eine Zeitstrafe erhielten, Nilssons Pass aber im Aus landete. Barca konnte die letzten 70 Sekunden herunterspielen, ohne durch einen erhobenen Arm unter Druck gesetzt zu werden. Doch mit unglaublicher Leidenschaft und riesigem Einsatz verhinderte die Zebraherde einen weiteren Barcelona-Treffer, um sich dann nach 60 richtig harten Minuten ausgiebig bei ihren Fans für die "Weiße Wand 2.0" zu bedanken.