
Zebras mit Riesen-Willen und großer Moral zum Unentschieden in Hannover
Der THW Kiel hat auch in seinem letzten Auswärtsspiel der Saison einen Riesen-Willen und eine große Moral gezeigt: Zwischenzeitlich lagen die von bisher 52 Saisonspielen in dezimierter Besetzung gezeichneten Zebras bei der TSV Hannover-Burgdorf mit fünf Toren hinten, kämpften sich nach dem14:17 zur Pause wieder in die Partie und hatten am Ende sogar noch die Chance auf den Sieg. Eine Fehlentscheidung der Referees in den Schlusssekunden ebnete den Gastgebern letztlich den Weg zum am Ende gerechten 29:29-Unentschieden. Beide Teams boten in der mit 9900 Zuschauern komplett ausverkauften ZAG-Arena lieferten sich einen Kampf auf Biegen und Brechen, der den Namen Spitzenpartie in jeder Beziehung verdient hatte.
Angeblicher Schrittfehler entscheidet Partie

Steinhauser verwandelte den Siebenmeter
Am Ende dieser irren Partie haderten die Kieler in den Schlusssekunden mit den Top-Schiedsrichtern Robert Schulze/Tobias Tönnies. Zehn Sekunden vor dem Ende hatten sie bei THW-Führung und Ballbesitz Schrittfehler gegen Elias Ellefsen á Skipagötu gepfiffen und den Niedersachsen so den Weg zum Siebenmeter geebnet. Eine klare Fehlentscheidung, die die Zebras um den doppelten Punkte-Lohn für ihre Energieleistung brachte. Denn TSV-Kapitän Steinhauser verwandelte nach der Schlusssirene diesen Strafwurf zum 29:29. Hannover jubelte. die Kieler waren stolz auf die grandiose Aufholjagd und trotzdem enttäuscht, dass sie sich nicht mit zwei Zählern dafür belohnen konnten. Bester THW-Torschütze war einmal mehr Emil Madsen, der neunmal traf, sich auch von einigen Fehlwürfen in der ersten Halbzeit nicht von seinem Weg abbringen ließ.
Magnus Landin durchbricht Strafwurf-Bann
Magnus Landin kam seinem dänischen Landsmann mit sieben Treffern am nächsten: Der THW-Linksaußen hatte das Zittern von der Siebenmeterlinie durchbrochen, nachdem zuvor Bence Imre (2) und Lukas Zerbe dreimal am guten Birlehm gescheitert waren. Landin brachte alle vier folgenden Siebenmeter eiskalt im TSV-Tor unter. Der sechsfacher Torschütze der Zebras, Lukas Zerbe, nach der emotionsgeladenen, hochklassigen Partie: "Wir wollten beide Punkte mit nach Kiel nehmen, haben in der ersten Halbzeit aber zuviele einfache Tore kassiert. Das wurde in der zweiten Halbzeit viel besser. Wir haben uns Tor um Tor herangesaugt, sind in Führung gegangen. Das ist die Mentalität, die meine Mannschaft auszeichnet, die uns stark macht."
Dahmke und Pekeler wieder dabei
Es war die finale Saison-Auswärtsfahrt für den THW Kiel, und die zuletzt verletzungsbedingt fehlenden Rune Dahmke und Hendrik Pekeler waren mit an Bord von "KI-EL 1". Beide kamen in der ZAG-Arena auch zum Einsatz, halfen, den Punktgewinn mit zu sichern. Verzichten mussten die Kieler dagegen erneut auf Harald Reinkind (Mittelhandbruch) und Henri Pabst (Prellung der Mittelhand). Hart lasteten aber die anstrengenden vergangenen Monate, Wochen und Tage auf den Schultern. Die mit vielen Spielern durch Olympia seit zwei Jahren ohne Pause durchspielenden Zebras hatten schwere Beine, das fünfte Spiel in zwölf Tagen hatte die Akkus der Kieler komplett geleert.
Hannover zieht auf fünf Tore davon
Hannover zeigte sich als guter Gastgeber, verabschiedete Kreisläufer-Legende Patrick Wiencek vor der Partie mit einem Geschenk und großem Jubel der Fans. Auf dem Spielfeld verteilte die TSV dann keine Geschenke mehr, setzte die Kieler Abwehr unter Dauerdruck. Hanne erzielte die 1:0-Führung, Patrick Winecek war erneut Premierenschütze beim THW Kiel. Fischer brachte Hannover erneut in Front, Eric Johansson glich aus. Aber die Gastgeber zogen weiterhin ein gefälliges Tempospiel auf, legten durch Uscins und Büchner das 4:2 vor. Die Zebras konterten mit Madsen und Landin, dann übernahmen die Niedersachsen das Kommando, weil die Zebras mit ihrer Abschlussquote zu kämpfen hatten: Joel Birlehm hielt in der ersten Halbzeit elf Bälle auf, darunter die Siebenmeter. Die erste Drei-Tore-Führung für Hannover fiel nach zehn Minuten, als Lukas Stutzke per Tempogegenstoß nach einem schwarz-weißen Fehlpass traf. Vier vor stand es fünf Minuten später, die ZAG-Arena bebte. Per Doppelschlag brachte Madsen seine Farben wieder auf Tuchfühlung. Doch zweimal Steinhauser und Büchner, der nach einem erneuten technischen Fehler der Zebras ins leere Kieler Tor traf, erhöhten in der 20. Minute auf 13:8.
Zebras kommen gut aus der Kabine
Filip Jicha reagierte, nahm bereits die zweite Auszeit, und versuchte, Ruhe ins Spiel zu bringen, die Sinne seiner Mannen zu schärfen. Es gelang, wenn auch zaghaft. "Skippy" traf mit sehenswertem Unterarm-Wurf, Landin traf zweimal sicher: In der 26. Minute hatten sich die Zebras auf 13:16 herangearbeitet, Domagoj Duvnjak war dann kurz vor dem Pausenpfiff zur Stelle, erzielte den 14:17-Halbzeitstand. Die Kabinenzeit war gute Zebrazeit, jedenfalls präsentierten sich Johansson, Madsen Duvnjak und Co. in den zweiten 30 Minuten deutlich aggressiver, strotzten plötzlich vor Selbstbewusstsein. Pech hatte allerdings gleich zu Beginn Winecek, der nach einem Block in der Abwehr auf dem Fuß eines Gegenspielers umknickte, liegenblieb und behandelt werden musste. "Piet" kam später wieder aufs Spielfeld zurück, kämpfte aber sichtlich mit seiner Fußverletzung.
THW Kiel übernimmt das Ruder
Dennoch: Die Kieler übernahmen die Spielführung, ackerten in der Abwehr, jetzt zumeist in defensiver 6:0-Formation. Und sie kämpften sich Tor um Tor heran - zweimal Madsen und dreimal Zerbe: In der 38. Minute war beim 18:19 alles wieder offen. Fischer und Kulesh brachte den Gastgeber in der 40. Minute wieder mit 21:19 nach vorn, doch die Zebras schlugen zurück: Pekeler und Zerbe - nach grandiosem 20-Meter-Diagonal-Pass von Madsen - glichen zum 21:21 aus. Die Kieler schnupperten jetzt mehrfach an der eigenen Führung, vor allem, weil Andreas Wolff zum starken Rückhalt avancierte. Die rund 100 THW-Fans, darunter auch ein Teil des THW-Geschäftsstellen-Teams, das die Mannschaft unterstützte, mussten aber bis zur 51. Minute warten, ehe Eric Johansson den Ball zur ersten Führung (25:24) in die Maschen jagte.
Dramatische Schlussphase
Und Hannover? Hatte ebenfalls Antworten, zauberte einen 3:0-Lauf aus dem Hut, lag nach 54 Minuten wieder mit 27:25 in Front. Die letzten Minuten waren dann nichts für Zuschauer mit schwachen Nerven, aber zeigten die große Moral, die in der Zebraherde herrscht: Madsen verkürzte, Kulesh erhöhte auf 28:26. Dann war die Zeit für einen 3:0-Lauf der Zebras gekommen: Wolff parierte gegen Fischer, Steinhauser, hielt den Siebenmeter von Uscins. Vorne netzten Madsen und Zerbe ein. THW-Kapitän Domagoj Duvnjak setzte dann den genialen Plan um, per 3:2:1-Deckung zu stören. Es klappte: "Dule" selbst klaute den Ball, schickte Madsen auf die Reise: Der Däne traf zum umjubelten 29:28. der Kieler Sieg auf der Zielgeraden war in Reichweite. Wolff stoppte Steinhauser, doch dann wurde sich bei Elias Ellefsen á Skipagötus Slalom durch die offene Deckung genau in dem Moment verzählt, als der Färinger den Pass auf seinen durchstartenden Nebenmann spielte. Der Rest ist bekannt - das erste Unentschieder der Zebras in dieser DAIKIN HBL-Saison zeigte trotz allem, aus welchem Holz diese Kieler Mannschaft von Trainer Filip Jicha geschnitzt ist.
Saisonende am kommenden Sonntag in der Wunderino Arena
Mit Spiel 53 endet am kommenden Sonntag die Saison 2024/2025. Ein letztes Mal wird die aktuelle Zebraherde also gemeinsam gegen den ThSV Eisenach auf Punktejagd gehen. Anwurf in der Wunderino Arena, für die es nur noch Restkarten in der THW-FANWELT, online unter www.thw-tickets.de und im offiziellen Zweitmarkt von Fans für Fans gibt, ist um 15 Uhr. Nach der Partie sagt Kiel dann "Auf Wiedersehen" zu Tomas Mrkva, Henri Pabst und Linus Kutz, die den THW Kiel verlassen. Sein letztes Pflichtspiel bestreitet indes Kapitän Patrick Wiencek, der aber erst am 25. Juli mit "Ahoi Patrick!" (Tickets) offiziell verabschiedet wird. "Jetzt wollen wir gegen Eisenach gewinnen, für 'Piet' Wiencek unbedingt noch zwei Punkte zu seinem Abschied holen“, so Lukas Zerbe. Natürlich wird Kapitän Domagoj Duvnjak das letzte Wort der Saison an die vielen Fans in der "weißen Wand" richten, und dann freuen sich alle Kieler auf den Saisonausklang. Dieser findet – mit Unterstützung der Förde Sparkasse - am Pfingstmontag ab 11:30 Uhr in der Forstbaumschule statt. Weiter geht’s Sonntag gegen Eisenach, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Jan Guenther/TSV Hannover-Burgdorf
DAIKIN Handball-Bundesliga, 33. Spieltag: TSV Hannover-Burgdorf - THW Kiel 29:29 (17:14)
TSV Hannover-Burgdorf: Gade (48.-60. und 1 Siebenmeter, 4 Paraden), Birlehm (1.-48., 14/3 Paraden); Poulsen, Uscins (5/1), Steinhauser (5/2), Michalczik (2), Kulesh (4), Gautzsch, Strmljan, Stutzke (1), Hanne (3), Solstad, Fischer (6), Ayar, Weber, Büchner (2); Trainer: Prokop
THW Kiel: Mrkva (n.e.), Wolff (13/1 Paraden); Duvnjak (1), Landin (7/4), Överby, Wiencek (1), Johansson (3), Dahmke, Zerbe (6), Kutz (n.e.), Madsen (9), Bilyk, Pekeler (1), á Skipagötu (1), Imre; Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Robert Schulze / Tobias Tönnies
Zeitstrafen: TSV: 0 / THW: 2 (Johansson (10.), Wiencek (27.))
Siebenmeter: TSV: 5/3 (Steinhauser an den Pfosten (16.), Wolf hält Uscins (58.))
/ THW: 7/4 (Birlehm hält 2x Imre (9., 17.) und Zerbe, der den Nachwurf verwandelt (21.))
Spielfilm: 1.Hz.: 2:2 (3.), 4:2, 4:4 (6.), 7:4 (10.), 8:6, 10:6 (15.), 10:8 (19.), 13:8 (20.), 15:10 (24.), 15:12, 16:13 (27.), 17:14;
2. Hz: 18:15 (33.), 19:17, 19:19 (37.), 21:19 (40.), 21:21 (41.), 23:23, 24:25 (52.), 27:25 (54.), 28:26 (56.), 28:28 (59.), 28:29 (60.), 29:29.
Zuschauer: 9.900 (ausverkauft) (ZAG Arena, Hannover)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich habe meinen Jungs in der Kabine gesagt, dass wir hier in diesem Spiel eine unglaubliche Moral gezeigt haben. Wie wir zurückkommen, ist unfassbar wertvoll für mich und die Mannschaft in dieser Phase der Saison. In der ersten Halbzeit haben wir sehr viel verworfen, was uns mental nach unten gedrückt hat. Da wollte ich meine Jungs ein wenig wecken, ich war ein bisschen lauter. Ich habe meinen Jungs gesagt, dass wir den Kampf annehmen sollen und die Zweikämpfe gewinnen wollen. Das haben sie schnell angenommen. Deshalb bin ich froh, dass wir uns zurückkämpfen konnten. Beide Mannschaften wollten vor dieser Kulisse unbedingt abliefern. Aber gerade Eric und Emil war anzumerken, dass es Spiel 52 war. Beide waren relativ früh platt, was auch an der extrem physischen Abwehr der Hannoveraner lag. In der zweiten Halbzeit haben wir dann unsere Wurfeffektivität ein wenig gesteigert, lassen aber in der Crunchtime rund um die 52. Minute drei Super-Chancen liegen, so dass es am Ende zu der Szene kommt, in der niemals Schritte gepfiffen werden dürfen. Die Jungs freuen sich jetzt auf das letzte Spiel und die Pause, die sie dringend benötigen. Viele von ihnen stehen seit zwei Jahren durchgehend auf dem Gas, weshalb ich ihnen gerne für diese Leistung Applaus spenden möchte. In unser Mannschaft entsteht durch Moral, Teamgeist und Kultur etwas. Es macht mir Spaß, das zu sehen und zu spüren.
THW-Kapitän Domagoj Duvnjak: Hannover war in der ersten Halbzeit besser, wir in der zweiten. Deshalb ist das Unentschieden zwar verdient, aber trotzdem ist es schade, dass "Skippy" zurückgepfiffen wurde. Wir haben es uns sofort in der Kabine angeschaut. Was mich aber stolz macht, ist die Moral, die wir in der zweiten Halbzeit gezeigt haben. Da war eine ganz andere Energie auf dem Feld, da waren Emotionen. Nur so konnten wir Hannover ärgern. Für das letzte Spiel am Sonntag haben wir noch genug Energie, weil es das letzte Spiel von unserem Piet Wiencek ist. Er ist eine Ikone, eine Legende, und wir werden alles dafür tun, ihn mit einem Sieg in die verdiente Handball-Rente zu schicken. Ich bin froh, dass er dann weiter beim THW Kiel arbeiten wird und wir uns deshalb auch im kommenden Jahr sehen können.
THW-Rechtsaußen Lukas Zerbe: Über 60 Minuten können wir mit dem Punkt zufrieden sein. Die Mentalität meiner Mannschaft macht mich unglaublich stolz. Wie wir uns heute reingeworfen haben, obwohl bei vielen der Akku komplett leer war, das war klasse. Jetzt dürfen wir die Saison zu Hause beenden, was für Henri, Tomas und Linus ein besonderer Abend werden wird. Für unseren Piet wird er noch ein bisschen besonderer, da wollen wir noch einmal alles reinwerfen, um mit zwei Punkten einen guten Abschluss zu haben.
THW-Kapitän Patrick Wiencek: Je näher mein letztes Pflichtspiel rückt, desto mehr mache ich mir Gedanken darüber. Der Moment, als ich von "Smörre" das Geschenk überreicht bekam und die Menschen mir hier in Hannover applaudiert haben, war rührend, bewegend. Da hatte ich Gänsehaut, und ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es Sonntag laufen wird.
Als ich umgeknickt bin, habe ich mir wirklich gedacht: Sch..., das tu weh. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es nichts ganz Schlimmes ist. Dann ist mir Renars später noch in die andere Seiten reingerutscht ... Der Tag heute war ein wenig unglücklich für mich. Aber bis Sonntag wird es wieder gehen. Heute war aber für mich nur das Hier und Jetzt wichtig, wir wollten das Spiel unbedingt noch gewinnen. Wir haben uns gut zurückgekämpft und hatten die Möglichkeit, sogar noch ein Tor zu erzielen. Da ist es natürlich extrem ärgerlich, wenn man sich das Video anschaut und dadurch bestätigt bekommt, dass es bei Skippy keine Schritte waren. Das tut unglaublich weh, weil das das Spiel entscheidet. In anderen Spielen dürfen Spieler fünf, sechs, sieben, acht Schritte machen, ohne dass es einen Pfiff gibt. Und bier wird regelkonform gespielt, und es wird trotzdem weggepfiffen. Aber so ist es halt manchmal...