
39:24 in Bietigheim: Starke Zebras belohnen sich für lange Tour
Der Aufsteiger hatte sich so viel vorgenommen, nach mehreren starken Leistungen in der Ege Trans Arena sollte am Freitagabend vor der Saison-Rekordkulisse von 3932 Fans ausgerechnet gegen den THW Kiel der Knoten platzen, der erste Heimsieg unter Dach und Fach gebracht werden. Der Rekordmeister aber ließ sich nicht überraschen, zauberte eine grandiose erste Halbzeit aufs Parkett, glänzte über weite Strecken auch in den zweiten 30 Minuten und erteilte der Mannschaft von Trainer Iker Romero eine gnadenlose Handball-Lehrstunde. Am Ende gewannen die Zebras auch in der Höhe verdient mit 39:24 (22:11), sicherten sich zwei wichtige Zähler und beendeten ihre Fünf-Tage-Auswärstour äußerst erfolgreich.
Zebras phasenweise wie im Rausch
Die Zebras untermauerten ihre Ambitionen auf die oberen Tabellenränge in der DAIKIN Handball-Bundesliga und traten nach dem siegreichen Europacup-Auftritt am Dienstag in Porto ihre Heimreise mit vier Zählern im Gepäck an. Bester Torschütze im Team von Trainer Filip Jicha war Emil Madsen mit acht Treffern, der zudem mit Anspielen und Steals glänzte. Zum Glück für die Zebras war Mittelmann Elias Ellefsen á Skigagötu, der zwei Tage nicht trainieren konnte, wieder einsatzbereit: Der Färinger sorgte für ordentlich Tempo und erzielte sechs Treffer. Des Kieler Freud' war des Bietigheimers Leid. Trainer Iker Romero nahm seine zweite Auszeit bereits nach 17 Minuten, ließ die dritte und letzte im Spiel nach 36 Minuten folgen. Wachrütteln konnte der einstige Star des FC Barcelona seine Mannen indes nicht. Der THW Kiel hatte alles im Griff, spielte sich phasenweise in einen Rausch. "Wir haben über weite Strecken sehr, sehr gut gespielt, die Abwehr war überragend und Andi Wolff hat klasse gehalten", sagte der junge Ungar Bence Imre, der in der zweiten Halbzeit eingewechselt wurde und noch fünfmal ins Gehäuse der überforderten Gastgeber traf. "Wir können die Punkte sehr gut gebrauchen und freuen uns über den Sieg."
Kieler reisen mit Personalsorgen an
Dabei bleiben die Personalsorgen ständiger Begleiter der Zebras. Domagoj Duvnjak fällt weiterhin mit einer Wadenverletzung aus, Nikola Bilyk wurde mit seinen Oberschenkelproblemen ebenfalls nicht auf den Spielberichtsbogen geschrieben. Rune Dahmke erlitt beim Sieg in Porto eine Verletzung unter dem Auge, wurde mit vier Stichen genäht und verfolgte die Partie seiner Mitspieler genau wie Duvnjak vor dem Fernseher in Kiel. Für Dahmke rückte Youngster Ben Szilagyi in den THW-Kader: Der 18-Jährige war kurzfristig nach Porto hinterhergereist, beim Abschlusstraining am Donnerstag in Portugal dabei. Und dann saß der A-Jugendliche gemeinsam mit den "Großen" im Flieger Richtung Schwabenland.
Hervorragend vorbereiteter THW Kiel
Indes: Die Zebras, einmal mehr hervorragend vorbereitet und eingestellt vom Trainergespann aus Filip Jicha und Christian Sprenger, zelebrieten in den ersten 30 Minuten Handball, zauberten eine großartige erste Halbzeit aufs Parkett. Starker Rückhalt war die großartige Abwehr um den Mittelblock mit Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek oder Petter Överby, hinzu gesellte sich mit Andreas Wolff als letzter Instanz ein Torhüter, der wieder einmal zum überragenden Rückhalt avancierte. Wolff parierte in der ersten Hälfte zehn Bälle, was einer Quote von 48 Prozent gehaltener Würfe entsprach. Für den deutschen Nationalkeeper rückte in der zweiten Halbzeit Tomas Mrkva zwischen die Kieler Pfosten. Der Tscheche stand seinem Torhüterkollegen in nichts nach, glänzte ebenfalls und hielt sieben gegnerische Bälle auf. Beide zusammen sorgten dafür, dass der SG BBM-Angriff wohl mit Albträumen in die Nacht gehen wird. Immerhin legten die Einheimischen aber die erste Führung vor. De la Pena brachte Bietigheim nach fünf Minuten zum letzten Mal in Front: 3:2.
Tempo-Handball in Schwarz-Weiß
Die Zuschauer waren erst be-, wenig später aber entgeistert: Kiel nahm die Zügel fest in die Hand. Der Rückraum mit Eric Johansson, "Skippy" und Madsen wurde zum Schaltzentrum, spielte atemberaubenden Handball und zog dem Gegner mit einem 8:0-Lauf früh den Stecker. Nach 13 Minuten lag der THW Kiel mit 10:3 Toren vorn. Tempohandball, Tore über gewonnene Bälle in der eigenen Abwehr oder schlichtweg unhaltbare Kracher aus dem Rückraum: Die Kieler boten alles, was modernen Handball ausmacht, ließen dem Aufsteiger nicht den Hauch einer Chance. De la Pena beendete schließlich die zehnminütige Bietigheimer Durststrecke ohne einen einzigen eigenen Treffer, netzte in der 14. Minute zum 4:10 ein. Die Zebras aber schüttelten sich kurz, machten weiter mit ihrem unaufhaltsamen Torfestival. Zweimal Madsen, zweimal Pekeler vom Kreis und Ellefsen á Skipagötu nach glanzvollem Solo sorgten für Kieler Jubel. Der Rausch nahm Fahrt auf: 15:4 für Schwarz-Weiß in der 19. Minute.
Partie zur Pause entschieden
Die Kieler Lehrstunde für die Gastgeber nahm ihren Lauf, die überragende schwarz-weiße Wurfquote lag jetzt bei 89 Prozent. Wenig später schickte Filip Jicha bereits seine Youngster aufs Parkett. Der 18-jährige Ben Szilagiy bedankte sich für das Trainervertrauen, traf in der 28. Minute zum 21:9. Kurz zuvor war bereits Linus Kutz erfolgreich, der in Bietigheim seinen 20. Geburtstag feierte. Er beschenkte sich selbst mit einer guten Leistung und zwei Zählern, denn bereits zur Halbzeit zweifelte niemand mehr an einem Kieler Erfolg: Mit 22:11 für die Zebras wurden die Seiten gewechselt, in der sonst so lauten Ege Trans Arena war es mucksmäuschen still - außer bei den vielen THW-Anhänger im weiten Rund, die ihre Mannschaft begeistert in die Kabine entließen.
Zebras lassen sich zurecht feiern
Lauter wurde es - zumindest bei den Heim-Fans - auch nach dem Wiederanpfiff nicht. Hoffnungen auf das ganz große Wunder zerstoben sich bereits nach fünf Minuten: Pekeler vom Kreis, ein Tempogegenstoß nach eigenem Steal von Madsen und ein weiterer "Tempotreffer" von Highspeed-Außen Bence Imre sorgten für einen neuerlichen 3:0-Lauf. Tomas Mrkva nagelte seinen Kasten ähnlich zu, wie es zuvor Andreas Wolff getan hatte. Wer gehofft hatte, die Zebras würden einen Gang zurückschalten und nach einer unglaublich anstrengenden Woche in den Verwaltungsmodus wechseln, sah sich getäuscht. Später nutzte Filip Jicha die Möglichkeit, den Dauerbrennern ein bisschen Luft zu verschaffen, er wechselte munter durch. Als Tomas Mrkva in der 45. Minute seine fünfte Parade feierte, Linus Kutz im Gegenzug zum 35:17 einnetzte, lagen die Zebras 18 Treffer vor ihrem Gastgeber. Der höchste Zwischenstand der Begegnung. Die Kieler indes brachten die Partie mit dem Projekt "Jugend forscht" souverän zu Ende und spielten für ihren Jüngsten fast mit dem Schlusspfiff die Chance zum 40. Treffer heraus. Ben Szilagyi kam dann auch zum Wurf, scheiterte aber nach einem Kontakt des Gegenspielers an SG-Torhüter Baranasic. Trotzdem wurde er gemeinsam mit seinen Teamkameraden natürlich gefeiert - während die bisher so stark auftretenden Gastgeber ihre höchste Heim-Niederlage der Saison verkraften mussten.
Dienstag steigt das Hauptrunden-Finale gegen Melsungen
Die Zebras machten sich kurz nach Abpfiff mit einem Ruhe-Bus auf den gut 800 Kilometer langen Heimweg ihrer Fünf-Tage-Tour, der am Samstagmorgen in Altenholz enden wird. Denn es bleibt dem personell wieder stark belasteten THW Kiel nur wenig Zeit, sich auf das Hauptrunden-Finale am Dienstag in der Wunderino Arena vorzubereiten: Gegen den Top-Favoriten MT Melsungen wollen die Kieler gemeinsam mit ihrer „weißen Wand“ den direkten Vergleich gegen den Tabellenführer der DAIKIN HBL gewinnen, sich so den Gruppensieg und die verbundene direkte Qualifikation für das Viertelfinale sichern. Dabei braucht die junge Zebraherde unbedingt die Unterstützung der lauten, emotionalen Tribünen: Tickets für das „Finale tohuus“ gibt es bei CITTI, online unter www.thw-tickets.de und in der THW-FANWELT. Weiter geht’s gegen Melsungen, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: SG BBM/Marco Wolf
DAIKIN Handball-Bundesliga, 21. Spieltag SG BBM Bietigheim - THW Kiel: 24:39 (11:22)
SG BBM Bietigheim: Baranasic (1.-60., 9 Paraden), Genz; Vlahovic (2), Kühn (1), Claus (1), Wolf (2), de la Pena (3), Nicolaus (2), Wiederstein, Perez Arce (5/1), Barthe, Strosack (1), Pfeifer (4), Fischer (1), Hermann, Hejny (2); Trainer: Romero
THW Kiel: Mrkva (31.-60., 7 Paraden), Wolff (1.-30., 10 Paraden); Reinkind (2), Landin (2), Överby (1), Wiencek (1), Johansson (4), Zerbe (2), Kutz (2), Szilagyi (1), Madsen (8), Pekeler (5), á Skipagötu (6), Imre (5); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Christian vom Dorff / Fabian vom Dorff
Zeitstrafen: SG BBM: 2 (Vlahovic (15.), Wiederstein (21.)) / THW: 2 (Reinkind (24.), Wiencek (44.))
Siebenmeter: SG BBM: 1/1 / THW: 0
Spielfilm: 2:1 (4.), 3:2 (5.), 3:10 (14.), 4:15 (19.), 6:18 (25.), 8:18 (27.), 9:21 (28.), 11:22;
2. Hz: 11:25 (33.), 13:25, 13:28 (37.), 15:30 (40.), 15:33 (42.), 17:33, 17:35 (46.), 20:36 (50.), 21:38 (54.), 24:39.
Zuschauer: 3932 (Ege Trans Arena, Bietigheim)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Unser Ziel war ein Sieg. Ich habe die Jungs seit ein paar Tagen wirklich heißgemacht. Wir konnten in Porto vieles für heute testen, aber hier in Bietigheim wollten wir performen. Ich bin sehr froh, dass die Jungs dieses Plan so runtergespielt haben. Sie kamen, hatten Energie, den Willen und die Qualität in der Umsetzung. In der Pause hatten wir uns vorgenommen, diesen Spaß am Spiel weiter zu haben. Deshalb habe ich auch nicht durchgewechselt, sondern mit denen durchgezogen, die gut drauf waren. Natürlich habe ich später mit einem halben Auge schon auf das Melsungen-Spiel geschielt. Deshalb habe ich die Chance genutzt, Eric Johansson, der uns überragend als Alleinunterhalter im linken Rückraum unterstützt, ein bisschen durchatmen zu lassen. Ich bin stolz darauf, dass wir den Flow gehalten haben und jeder seinen Beitrag zum Spiel erbringen konnte. Skippy hatte zum Beispiel nicht trainiert, mir heute Morgen gesagt, dass es gehen wird. Für uns war es wichtig, dass er das Spiel lenkt und Tempo bringt. Jetzt fahren wir mit zwei wichtigen Punkten nach Hause, kommen Samstagmorgen in Altenholz an und starten Sonntagmorgen um 11 Uhr mit der Vorbereitung auf das Melsungen-Spiel. Und das ist eigentlich schon grenzwertig nach dieser Tour.
THW-Torhüter Andreas Wolff: Ich bin froh, dass wir dieses Spiel so konzentriert angegangen sind. Filip hat uns nach dem Spiel gesagt, dass das nicht selbstverständlich gewesen sei, in dieser Höhe und mit der Art und Weise, wie wir gespielt haben, hier zu gewinnen. Die Bietigheimer spielen eine gute Saison, und wir haben es einfach sehr souverän absolviert und einen Start-Ziel-Sieg eingefahren. Jetzt freue ich mich auf mein eigenes Bett am Samstagabend.
THW-Youngster Linus Kutz: Ich hätte mir meinen Geburtstag nicht besser vorstellen können. Ihn mit der Mannschaft zu verbringen, ist etwas Besonderes. Zum Frühstück gab es einen Kuchen vom Team und ein Ständchen, und dann haben wir solch ein Spiel hier gemacht. Es war insgesamt ein sehr guter Tag. Es war eine aufregende Woche, mit zwei schwierigen Spielen. Erst der Sieg in Porto, dann heute der Erfolg in Bietigheim: Mit vier Punkten aus dieser Woche zu gehen, fühlt sich toll an. Wir können damit sehr zufrieden sein.
THW-Youngster Ben Szilagyi: Die Nachricht, dass ich wieder bei den Profis trainieren und spielen darf, hat mich sehr gefreut. Wenn ich gebraucht werde, versuche ich alles zu geben. Dass ich ein Tor gemacht habe, war dabei nur ein Nebeneffekt. Ich habe einfach Spaß daran, von den Profis Neues zu lernen und mit ihnen Neues zu erleben. Der Sieg in Bietigheim war das Ergebnis von dem, was wir uns zuvor erarbeitet haben. Es war ein wichtiger Sieg, und wir freuen uns über die zwei Punkte. Bei meinem Wurf kurz vor Schluss habe ich einen Kontakt verspürt, aber die Kiste Getränke für das 40. Tor hätte ich sehr, sehr gerne ausgegeben.