32:28 in Leipzig: Kieler Mentalitätsmonster gewinnen auch Spiel drei in sechs Tagen
Allen Personalsorgen und dem hart getakteten Spielplan zum Trotz: Der THW Kiel geht in der DAIKIN Handball-Bundesliga unbeirrt seinen Weg. 66 Stunden nach der Gala mit dem Triumph über Hannover ließen die Kieler Mentalitätsmonster am Sonnabend-Nachmittag beim SC DHfK Leipzig mit dem 32:28 (18:15)-Sieg ein weiteres Ausrufezeichen folgen. Es war der fünfte Liga-Sieg und der dritte THW-Erfolg innerhalb von sechs Tagen. Und das mit einem Mini-Kader, der sich auch in der Sachsen-Metropole mit einem Riesenkampf am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog. Mitte der zweiten Halbzeit gerieten die Zebras bei den extrem heimstarken Mitteldeutschen nach ständiger Führung in Rückstand, bewiesen aber große Moral, nahmen das Heft des Handelns wieder in die eigenen Hände und fanden den Weg zurück auf die Erfolgsstraße.
Bence Imre bester Torschütze
Die Kieler traten auch in der Sachsen-Metropole als geschlossene Mannschaft auf, in der jeder für jeden in die Bresche sprang. Ein Beispiel hierfür war der 22-jährige Bence Imre: Der junge Neuzugang des THW Kiel ließ sich bei den heimstarken Leipzigern auch von der ohrenbetäubenden Kulisse nicht beeindrucken und blieb eiskalt: Er verwandelte alle sieben Strafwürfe eindrucksvoll und wurde mit insgesamt acht Toren bester Werfer der Zebras. Negativer Höhepunkt einer packenden Partie war die - allerdings harte - Rote Karte, die Leipzigs Nationalspieler Simon Ernst nach einem Schlag ins Gesicht von THW-Linkshänder Emil Madsen kassierte. Die Hinausstellung des DHfK-Abwehrchefs kam für die Gastgeber zur Unzeit, da diese wieder auf Augenhöhe mit den Zebras waren. Die Kieler fanden in der Folge die passenden Antworten und brachten den Sieg über die Zeit.
Duvnjak geht einmal mehr voran
Einmal mehr war Kapitän Domagoj Duvnjak der Dreh- und Angelpunkt in Abwehr und Angriff beim Rekordmeister. "Dule" erzielte selbst fünf Tore, glänzte auch als Anspieler und Motivator seiner Mitspieler. "Ich bin überglücklich, dass wir hier gewonnen haben", schnaufte der 36-Jährige nach dem Kraftakt vor ausverkauftem Haus. "Wir haben eine großartige Mentalität gezeigt. Vor allem haben wir wirklich alles auf dem Spielfeld gelassen. Kampf, Emotionen gezeigt, standen gut in der Abwehr, haben uns vor allem aus der kleinen Krise in der zweiten Hälfte selbst befreit. Unter dem Strich war es ein hochverdienter Sieg für uns." Die erneute Energieleistung war notwendig, da Trainer Filip Jicha auch in Leipzig nur noch neun Feldspieler, darunter zwei Nachwuchsakteure, zur Verfügung standen. So mussten die Zebras alle erneut alle Reserven mobilisieren, die Verletzungsmisere geht an die Substanz. Nikola Bilyk (Oberschenkel), Hendrik Pekeler (Daumen), Harald Reinkind (Fersen-, Ellenbogen-OP) und Elias Ellefsen á Skipagötu (Schulter) wurden schmerzlich vermisst.
Mrkva ein starker Rückhalt
In diese starteten die Zebras im Tor mit Tomas Mrkva. Für viele Zuschauer überraschend, hatte doch Kollege Andi Wolff vor drei Tagen gegen Hannover eine bärenstarke Leistung abgeliefert. Auf Mrkva aber ist ebenfalls Verlass, das weiß THW-Trainer Filip Jicha. Sein tschechischer Landsmann, der in der kommenden Saison das Leipziger Trikot überstreifen wird, wurde tatsächlich schnell zum guten Rückhalt: Er hatte seine Hände und andere Körperteile im Spiel, als die Kieler zunächst einem knappen Rückstand hinterherliefen, dann aber aus dem 2:3 in der vierten Minute mit einem 4:0-Lauf ein 6:3 aus dem Hut zauberten. Domagoj Duvnjak mit einem Solo, Patrick Wiencek, der zweimal ins leere Leipziger Tor traf, und der verwandelte Siebenmeter von Bence Imre sorgten für die erste Kieler Führung, die die lauf- und kampfstarke Norddeutschen bis weit in die zweite Hälfte hinein nicht mehr hergaben.
Zebras machen Tempo
Kreisläufer Wiencek netzte nach zehn Minuten ein überragendes Anspiel von "Dule" zum 8:4 ein, Krzikalla und Binder brachten die Gastgeber dann auf 6:8 heran. Die Lautstärke der Arena erreichte beachtliche Höhen. Die Zebras hatten aber Gegenmittel, legten einen rasanten 3:0-Lauf durch Imre, Duvnjak und Eric Johansson aufs Parkett. Die Basis für den Dreierpack legte Tomas Mrkva mit Glanzparaden gegen die frei vor ihm auftauchenden Runarsson und Binder. Es wurde leiser in der Arena, Trainer Sigtryggsson betätigte den Buzzer, hoffte auf die Wirkung seiner Auszeit. Und tatsächlich, die Maßnahme fruchtete: Die Sachsen setzten Kiel unter Druck, antworteten mit einem eigenen 3:0-Lauf. 10:12 leuchtete nach 18 Minuten auf dem Anzeigenwürfel. Auf eine Wende Wende hofften die einheimischen dennoch vergeblich - auch nach dem 12:13-Anschlusstreffer von Bogojevic. Denn die Zebras packte den nächsten 3:0-Lauf aus: Johansson per Dreher, Wiencek mit Wucht und Emil Madsen mit einem Geschoss unter die Latte ließen die Zebras erneut enteilen: 16:12 hieß es in der 25. Minute.
Kieler verteidigen ihre Halbzeitführung
Dann folgten drei großartige Minuten des jungen Imre. Der Ungar verwandelte seinen vierten Siebenmeter, glänzte nach Mrkva-Parade mit einem grandiosen Hechtsprung, hielt den Ball in THW-Händen und verwandelte anschließend das Anspiel seines Kapitäns zur 18:14-Führung. Schade, dass ihm nur 30 Sekunden später der Innenpfosten im Weg stand, sonst wären die Kieler mit einer höheren Führung in die Halbzeitpause gegangen. Binder erzielte den 18:15-Zwischenstand nach 30 Minuten. Die zweiten 30 Minuten quälten sich zunächst mit der Kieler Zwei- bis Drei-Tore-Führung über die Runden. Imre strahlte an der Siebenmeterlinie weiterhin Eiseskälte aus, verwandelte seinen sechsten Strafwurf. Und Eric Johansson besorgte mit kraftvollem Einsatz vom Kreis die Kieler 23:20-Führung in der 40. Minute.
Schwarz-Weiße drehen Gastgeber-Führung
Das war gleichzeitig der Start in eine ganz enge Phase. Die Gastgeber packten in der Abwehr weiterhin knallhart zu, machten gegen den Kieler Mini-Kader Tempo. Gleichzeitig verließ die Zebras einige Minuten das Wurfglück, und so war der SC DHfK nach 43 Minuten dran. Greilich traf zum 23:23, die Arena kochte. Jicha drückte auf den Buzzer: Auszeit. Zeit, für mentalen Aufbau. "Ich bin stolz auf euch, Jungs, ihr kämpft wie die Schweine. Weiter so, wir schaffen das." Weil Leipzigs Abwehr stärker wurde, verdichtete, setzte Jicha jetzt wieder mit Erfolg auf das Sieben-gegen-Sechs, das zudem Kräfte der Rückraumspieler spart. Madsen belohnte den Mut mit dem 24:23, aber dennoch gingen kurz darauf die Gastgeber in Führung. 25:24. Die THW-Reaktion? Wiencek traf, Vorlagengeber Madsen war von Ernst im Gesicht getroffen worden. Leipzigs Nationalspieler musste das Parkett verlassen, der THW Kiel übernahm wieder die Spielregie. Kämpfte um jeden Zentimeter, warf noch einmal alles in diese Schlussphase. Erfolgreich. Auch, weil Andi Wolff zwischen die Pfosten gestellt wurde, Glanzparade an Glanzparade zeigte.
Neun Minuten ohne Gegentor entscheiden das Spiel
Vorne lief es ebenfalls wieder rund. "Dule" holte die Führung zum 26:25 zurück, kassierte beim Zurücklaufen durch den Anwurfkreis allerdings eine Zeitstrafe, die aber ohne Konsequenzen blieb. Hinten verteidigten die Zebras leidenschaftlich, und Tore erzielten in den nächsten neun Minuten auch nur noch die Männer in Weiß: Madsen im Fallen, Imre vom Strich, Rune Dahmke mit einem ganz ausgeschlafenen Dreher am starken Saeveras vorbei. Schließlich traf noch einmal Domagoj Duvnjak, der den Ball in der 57. Minute per Stemmer in die DHfK-Maschen drosch. Der THW lag 30:25 vorn, war endgültig auf die Siegerstraße eingebogen, auf der auch der junge Linus Kutz mit seinem Solo zum 32:27 noch eine Duftmarke setzte. Die Kieler lagen sich in den Armen, hatten die Grundlage für eine müde, aber sicherlich auch fröhliche Rückreise mit "KI EL 1" selbst geschaffen.
"Finale vor dem Final4" am Donnerstag in Kiel
Nach dem dritten Sieg innerhalb von sechs Tagen gab's von Trainer Filip Jicha den Adventssonntag frei. Dann richtet sich der Fokus der Kieler Rumpftruppe auf das "Finale vor dem Final4": Am Donnerstag, 19. Dezember, empfängt der THW Kiel im Viertelfinale des DHB-Pokals den starken VfL Gummersbach. "Wir werden in diesem Spiel unsere Fans brauchen", sagt THW-Linkshänder Emil Madsen. "Ich bin das erste Jahr in Kiel, möchte aber unbedingt mit unserer Mannschaft und unseren Fans nach Köln! Eine Stimmung wie gegen Hannover würde uns riesig helfen." Noch ist Platz in der Wunderino Arena: Eintrittskarten für das K.o.-Spiel am ersten Ferientag, das um 19 Uhr angepfiffen wird, sind noch unter www.thw-tickets.de , bei CITTI sowie in der THW-FANWELT erhältlich. Weiter geht’s gegen Gummersbach, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: SC DHfK/Klaus Trotter
DAIKIN Handball-Bundesliga, 15. Spieltag: SC DHfK Leipzig - THW Kiel: 28:32 (15:18)
SC DHfK Leipzig: Ebner (1.-15. und 1 Siebenmeter, 1 Parade), Saeveras (15.-60., 9 Paraden); Runarsson (4), Ernst, Witzke (4), Krzikalla (2), Greilich (1), Binder (8/2), Mamic, Peter, Bogojevic (5), Preuss, Schmitt, Semper, Rogan, Kristjansson (4); Trainer: Sigtryggsson
THW Kiel: Mrkva (1.-42., 8 Paraden), Wolff (42.-60., 4 Paraden); Duvnjak (5), Landin (1), Överby, Wiencek (5), Pabst (n.e.), Johansson (5), Dahmke (2), Zerbe, Kutz (1), Madsen (5), Imre (8/7); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Thorsten Kern / Thomas Kuschel
Zeitstrafen: DHfK: 3 (Ernst (3.), Witzke (20.), Bankstrafe (36.)) / THW: 4 (Överby (4.), Johansson (30.), Imre (33.), Duvnjak (50.))
Rote Karte: Ernst (DHfK, grobes Foulspiel (48.))
Siebenmeter: DHfK: 2/2 / THW: 7/7
Spielfilm: 1. Hz: 1:0, 3:2 (3.), 3:6 (7.), 4:8 (10.), 6:8 (11.), 7:9, 7:12 (14.), 10:12 (17.), 10:13, 12:13 (22.), 12:16 (26.), 14:16 (27.), 14:18 (30.), 15:18;
2. Hz: 16:18, 16:20 (34.), 18:20, 20:23 (40.), 23:23 (43.), 23:24, 25:24 (48.), 25:30 (57.), 27:32 (59.), 28:32.
Zuschauer: 6000 (ausverkauft) (Quarterback Immobilien Arena, Leipzig)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wie der Sieg zustande gekommen ist. Ich habe einen großen Respekt vor meinen Jungs, die uns die ganzen letzten Spiele und auch heute getragen haben. Was diese Jungs heute für eine Qualität rausgekramt haben, obwohl sie in der zweiten Halbzeit körperlich am Ende waren, macht mich einfach stolz. Wir haben uns gewehrt und haben das Spiel am Ende mit einem 6:0-Lauf entschieden. Ich habe schon viele Sachen im Handball erlebt, aber eine derartige Situation mit vielen Verletzten und einer Energie, die die verbliebenen Spieler aus sich herausholen, nicht. Das macht mich unglaublich stolz. Ich freue mich, dass wir das dritte Spiel in sechs Tagen für uns entscheiden konnten. Ich weiß aus der Vergangenheit, dass es hier in Leipzig immer sehr schwer und anspruchsvoll ist. Heute haben wir die Aufgabe erledigt, obwohl wir nur ein Training vorher hatten. Das wichtigste Element war, dass wir das druckvolle, schnelle Spiel der Leipziger über weite Strecken unterbinden konnten. Ich möchte meinen Hut vor dieser Mannschaft, die heute hier auf dem Feld stand, ziehen.
Leipzigs Trainer Runar Sigtryggsson: In der ersten Halbzeit haben wir nicht so viel falsch gemacht, aber Tomas Mrkva war anfangs überragend. Mit Saeveras‘ Einwechslung konnten wir auch ein paar Bälle aufhalten und waren sofort wieder im Spiel. Dann sind wir auf Augenhöhe, gehen beim 25:24 in Führung. Und plötzlich steht es 25:30. In diesem Zeitraum hat Andi Wolff ein paar Bälle überragend gehalten, und das hat uns das Genick gebrochen. Aber letztlich sind wir unseren eigenen Fehlern immer hinterhergelaufen. Mehr war daher für uns heute nicht drin, obwohl wir alles versucht haben.
THW-Kapitän Domagoj Duvnjak bei Dyn: Ich bin überglücklich. Wir haben hier letztes Jahr verloren und sind heute wieder nur mit 13 Spielern angereist. Drei Spiele in sechs Tagen waren in dieser Situation brutal schwer. Ich bin deshalb sehr stolz auf meine Mannschaft. Heute war wieder sehr anstrengend, aber wir haben Mentalität gezeigt und alles auf dem Feld gelassen. Ich weiß zwar nicht, wie wir dieses Spiel gewonnen haben, aber Kampf und Emotionen haben wie Tomas und Andi ihren Teil dazu beigetragen. Beide Torhüter haben uns Sicherheit gegeben, vorn haben wir sehr clever gespielt mit wenigen Fehlern. Wir hatten zwar eine Krise in der zweiten Halbzeit, haben uns aus dieser aber mit Qualität herausgearbeitet und verdient gewonnen.
Leipzigs Luca Witzke bei Dyn: In der ersten Halbzeit hatten wir Probleme im Abschluss, kommen dann wieder ran und gehen sogar in Führung. Aber dann machen wir wieder zu viele kleine Fehler, und diese Kleinigkeiten entscheiden ein Spiel gegen solch ein Top-Team. Das ist ärgerlich, weil wir aktuell nicht an unserem Maximum spielen und im Abwärtsstrudel sind. Das müssen wir jetzt als Team lösen, um auch wieder Ruhe ins Umfeld zu bekommen.
THW-Linksaußen Rune Dahmke bei Dyn: Wir hatten in der zweiten Hälfte eine schwere Phase, sind aber cool und diszipliniert geblieben und haben keine unnötigen Bälle weggeworfen. Dann haben wir das Spiel mit Kampf und purem Willen zu Ende gebracht. Nach dem Rückstand haben wir – wie vom Trainer angesagt – wieder mehr Ruhe in unser Spiel gebracht. Hinten raus hat man dann gemerkt, dass noch einmal ein Ruck durch die Mannschaft ging. Ich bin sehr froh und stolz, dass wir mit dieser kleinen Truppe noch einmal alles auf die Platte bringen konnten. Wir spielen schon lange nicht mehr in der Formation, die eigentlich gedacht war, und gewinnen trotzdem. Es ist aktuell einfach unglaublich schön in dieser Mannschaft, in der Kabine, auf dem Feld.