Zebras verlieren nach starker erster Hälfte noch deutlich in Berlin

Bundesliga

Zebras verlieren nach starker erster Hälfte noch deutlich in Berlin

Eine Halbzeit lang boten die Zebras dem Vizemeister Füchsen Berlin in der orkanartig lauten Max-Schmeling-Halle die Stirn, dann setzte die individuelle Klasse von Welthandballer Mathias Gidsel und seinem dänischen Pendant Lasse Andersson durch: 17 Tore steuerte das Rückraum-Duo zum am Ende klaren 35:26-Erfolg der Berliner bei, während die Kieler im zweiten Durchgang ungewohnte Schwächen im Abschluss offenbarten und klare Chancen nicht mehr im Kasten des guten Dejan Milosavljev unterbringen konnten. So mussten die Schwarz-Weißen, unermüdlich unterstützt von gut 500 mitgereisten Fans und Ministerpräsident Daniel Günther, nach einer starken Leistung in der ersten Hälfte früh im zweiten Durchgang abreißen lassen.

Berliner im Angriff nahezu fehlerlos

"Die ersten schlechten zehn Minuten nach dem Wechsel haben uns das Genick gebrochen", analysierte THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler, der mit sieben Treffern bei sieben Versuchen bester Kieler Werfer war. Beim Sieger ragte Welthandballer Mathias Gidsel heraus. Der Däne traf neunmal, war von Kiels Abwehr nicht in den Griff zu bekommen. "Fairerweise muss ich sagen, dass Berlin im Angriff eine unfassbare Leistung aufs Parkett gebracht hat", sagte THW-Trainer Filip Jicha. "Wenn man bei jedem gegnerischen Angriff ein Tor einfängt, wird es ganz schwer, selbst jedesmal erfolgreich zu sein. Die Niederlage tut weh, weil sie uns gezeigt hat, wo uns noch etwas zur Weltklasse fehlt. Aber wir müssen jetzt Ruhe bewahren und weiter an uns arbeiten."

Packende Partie von Beginn an 

Bis auf Linkshänder Harald Reinkind hatte Filip Jicha seinen kompletten Kader in der Bundeshauptstadt am Start, wenngleich sich einige seiner Spieler - unter anderem Emil Madsen und Domagoj Duvnjak - zuletzt mit einem Infekt herumplagten. Und doch entwickelte sich von Beginn an eine Partie, wie sie im Vorfeld vom Aufeinandertreffen der stärksten Offensive der DAIKIN Handball-Bundesliga auf die ebenfalls starke Kieler Defensive erwartet worden war: Beide Teams boten in den ersten 30 Minuten Handball auf höchstem Niveau, einen Schlagabtausch, der die Fans in der Halle und vor dem Stream von Dyn aus den Sitzen riss. 

Wechselnde Führungen

Berlins Nils Lichtlein eröffnete den Torreigen, nutzte eine Lücke in Kiels 6:0-Abwehr zum 1:0. Auf der anderen Seite war Magnus Landin von Linksaußen erfolgreich: 1:1. Der THW durfte sich in der Folgezeit im Angriff vor allem auf Eric Johansson und Kapitän Domagoj Duvnjak verlassen: Johansson war selbst torgefährlich, beide setzten vor allem aber ihre Mitspieler in Szene. Davon profitierte Kreisläufer Hendrik Pekeler, der zum 2:2 einnetzte. Wenig später traf Johansson aus dem Rückraum zum 3:2 und zur ersten Kieler Führung. Das Spiel kam in Fahrt, der THW Kiel legte zunächst stets einen Treffer vor. Johansson war dreimal zur Stelle, zweimal aus dem Rückraum, einmal mit einem extrem raffinierten Dreher an Torhüter Milosavljev vorbei. Die Berliner antworteten jeweils mit viel Rückraum-Wucht, vor allem durch das Duo Andersson/Gidsel, das die Füchse mit ihren Toren und Anspielen dranbleiben ließen. Als Lukas Zerbe in der 18. Minute beim Stand von 9:9 nur die Latte traf, brachte Lichtlein die Gastgeber wieder in Front.

Starker Kieler Kombinations-Handball

Die Zebras überzeugten in der Folge mit großartigen Kombinationen, die oft bei Hendrik Pekeler und schließlich auch im Berliner Tor landeten. Aber für eigene Führungen reichte es nicht mehr - auch weil das Kieler Torwartspiel unter den von den Berlinern heraufbeschworenen Eins-zu-Eins-Situationen litt. Freihöfer sorgte in der 23. Minute für die erste Zwei-Tore-Führung für die Füchse, und nach dem 16:14 durch Gidsel drückte Filip Jicha kurz vor dem Wechsel auf den Buzzer, nahm die erste Auszeit. "Alles ist gut", beruhigte Kiels Trainer seine Spieler, "verliert nicht den Kopf." Die Zebras blieben ruhig, Elias Ellefsen á Skipagötu netzte per Solo zum 16:15 ein. Doch Fabian Wiede tankte sich wenig später durch die Kieler Abwehr, markierte das 17:15 und damit den Pausenstand, weil á Skipagötus Wurf kurz vor der Sirene an Milosavljev hängenblieb. "Wir spielen gut im Angriff, haben aber Probleme in der Abwehr. Wir müssen unbedingt Mathias Gidsel stoppen", sprach Eric Johansson in die Mikrofone von TV-Sender DYN.

Kieler können Schwung nicht mitnehmen

Doch den Schwung der ersten Hälfte konnten die Kieler nicht mit in den zweiten Durchgang nehmen. Gleich der erste Angriff wurde von Milosavljev pariert, und Gidsel schaltete auf den Turbogang. Freihöfer ließ das 19:15 folgen, bevor Lukas Zerbe nach einem Abpraller hellwach war und wieder verkürzte. Dann war es ausgerechnet Emil Madsen, Kiels erst 23 Jahre junger Neuzugang und sonst Garant für viele Tore, dem in der Folge einige technische Fehler unterliefen, und der auch im Abschluss beste Chancen ausließ. Damit war er aber im zweiten Durchgang leider nicht alleine: Pfosten- und Lattentreffer, Würfe neben und über das Tor und Paraden von Milosavljev - der Kasten der Gastgeber schien für den Kieler Angriff wie verhext. Berlin bestrafte die THW-Fehler gnadenlos: Freihöfer traf per Siebenmeter zur ersten Berliner Fünf-Tore-Führung. Jicha setzte in der 36. Minute auf die zweite Auszeit, hoffte auf die Wende mit der Angriffsvariante sieben gegen sechs. Die war erfolgreich: Zerbe traf wunderbar freigespielt zum Anschluss.

Berliner wie im Rausch

Zum Gamechanger wurde die bewährte Taktik aber trotzdem nicht, weil die Zebras sich zu oft in der Offensive verzettelten und sich an der beweglichen und fest zupackenden Füchse-Abwehr oft die Zähne ausbissen. Im Gegenzug klappte bei den Füchsen nunmehr fast alles: Freihöfer erhöhte nach 43 Minuten 25:19 für die Gastgeber. Filip Jicha versuchte alles, holte früh seine Jungs zur dritten Auszeit zusammen. Doch den Berliner Lauf konnte auch das nicht stoppen: Die Gastgeber steigerten sich in einen wahren Rausch, nahmen ihre Fans mit, und als Andersson per Doppelschlag in der 46. Minute unwiderstehlich zum 27:19 einwarf, gerieten die Kieler endgültig auf die Verliererstraße. Berlin ließ sich nicht mehr aufhalten, hatte spätestens nach dem neunten Gidsel-Treffer zum 31:22 in der 53. Minute alle Trümpfe in der Hand und gewann am Ende auch in der Höhe verdient.

Weiter geht's im Pokal gegen Magdeburg

Für die Zebras war die Partie in Berlin die letzte vor der Nationalmannschafts-Pause, und so blieben etliche Kieler Spieler nach der Partie noch in der Hauptstadt, um von dort zu ihren Nationalmannschaften zu fliegen. In Kiel werden in der kommenden Woche lediglich Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler sowie Eric Johansson, der seinen Start beim schwedischen Lehrgang aus privaten Gründen vorerst verschob, weilen. Alle anderen Zebras sind unterwegs – auch die beiden Youngster Lnus Kutz und Henri Pabst, die mit der deutschen U21 zwei Länderspiele gegen Polen in Walcz bestreiten. Weiter geht’s für die Zebraherde am Mittwoch nach der Nationalmannschaft - und das mit dem Pokalkracher gegen den SC Magdeburg: Eintrittskarten für das Spiel am Mittwoch, 13.November (20 Uhr), sind unter www.thw-tickets.de , bei CITTI sowie in der THW-FANWELT erhältlich. Weiter geht’s gegen Magdeburg, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Füchse Berlin/Heiko Voigt

DAIKIN Handball-Bundesliga, 9. Spieltag: Füchse Berlin - THW Kiel: 35:26 (17:15)

Füchse Berlin: Ludwig (n.e.), Milosavljev (1.-60., 10 Paraden); Wiede (1), Darj (3), Andersson (8), Lichtlein (4), Gidsel (9), Freihöfer (6/3), Langhoff, Beneke, Grüner, Herburger, West av Teigum (3), Reichmann, Marsenic (1); Trainer: Siewert
THW Kiel: Mrkva (25.-40., 2 Paraden), Wolff (1.-25., 40.-60., 6 Paraden); Duvnjak (1), Landin (1), Överby (1), Wiencek, Pabst (n.e.), Johansson (4), Dahmke (2), Zerbe (4), Madsen (1), Wallinius (n.e.), Bilyk (3), Pekeler (7), á Skipagötu (2), Imre (n.e.); Trainer: Jicha

Schiedsrichter: Robert Schulze / Tobias Tönnies
Zeitstrafen: Füchse: 3 (Marsenic (17.), Wiede (23.), Darj (52.)) / THW: 1 (Pekeler (11.))
Siebenmeter: Füchse: 3/3 / THW: 0
Spielfilm: 2:1 (3.), 2:3 (5.), 4:3, 4:5 (8.), 8:9 (15.), 10:9 (18.), 11:11 (19.), 13:11 (23.), 15:13 (27.), 17:15;
2. Hz: 19:16 (33.), 21:17 (36.), 23:17 (39.), 24:19, 26:19 (45.), 28:20 (50.), 31:22, 33:24 (56.), 35:26.
Zuschauer: 9022 (ausverkauft) (Max-Schmeling-Halle, Berlin)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Herzlichen Glückwunsch an Jaron, Kretzsche und die Füchse zu zwei verdienten Punkten. Wir haben über die gesamte Spielzeit Probleme mit der Weltklasse im Rückraum von Berlin mit Mathias Gidsel und Lasse Andersson gehabt. Nils Lichtlein kam hinzu - wir konnten die Eins-Gegen-Eins-Situationen kaum unterbinden, hinzu kam die Wurfwucht von Andersson. Gidsel macht Tore aus allen Lagen, die Verteidigung gegen diesen Rückraum hat uns viel Kraft gekostet. Wir spielen in der ersten Halbzeit einen guten Angriff, in der zweiten Halbzeit beginnt dann das, was wir eigentlich nicht zulassen wollten: Gidsels Durchbrüche, das Eins-gegen-Eins – meine Jungs hatten sich viel vorgenommen, uns war aber nach dem höheren Rückstand zu Beginn der zweiten Hälfte klar, dass wir aus jedem Angriff ein Tor machen müssen. Das ist uns nicht gelungen, weil wir nicht mit der kompletten Überzeugung geworfen haben. Daraus resultierte, dass wir die zweite Halbzeit deutlich und das Spiel verdient verloren haben. In den vergangenen Tagen haben wir es genossen, dass viele von uns als Weltklasse-Mannschaft gesprochen haben. Jetzt wird sicherlich wieder davon gesprochen, wie schlecht wir sind. Ich würde das eher in der Mitte halten. Wir wussten von Anfang an, wo wir stehen, wie wir sind. Magdeburg und Berlin haben sich ihren Status und ihre Klasse über Jahre – auch in der European League – aufgebaut. Wir wollen arbeiten, aber diesen Entwicklungsprozess kann man nicht überspringen. Einige meiner Spieler haben heute zum ersten Mal in Berlin gespielt, einige haben Lehrgeld bezahlt. Für uns geht es trotzdem weiter, wir wollen uns entwickeln.

THW-Rechtsaußen Lukas Zerbe: In der ersten Halbzeit spielen wir eigentlich ganz gut, liegen auch nur knapp hinten. In der zweiten Hälfte bekommen wir dann unsere Leistung aber gar nicht mehr auf die Platte, wir hätten viel wacher aus der Kabine kommen müssen. Wir waren gut eingestellt, hatten auch in der zweiten Halbzeit gute Wurfchancen, die wir aber einfach nicht mehr im Tor untergebracht haben. Gegen eine Top-Mannschaft wie Berlin wird das dann eiskalt bestraft. Hinzu kam, dass wir nicht mehr in unsere Abwehr im Zusammenspiel mit dem Torhüter gekommen sind und so auch nicht unser Tempospiel aufziehen konnten. Da hat es an einigen Ecken heute gefehlt, und das gilt es aufzuarbeiten. 

Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar: Es war eine unfassbare Atmosphäre, und das Spiel in der ersten Halbzeit ein Riesen-Brett: viel Physis, viel Wille, viel Kraft. Man hat gesehen, dass Emil Madsen heute das Duell gegen Gidsel unbedingt gewinnen wollte. Vielleicht war er deshalb ein bisschen übermotiviert, sodass Gidsel das bessere Ende für sich hatte. Dieses Duell hat uns in die Karten gespielt, und auch das Torhüter-Duell haben wir trotz nur weniger Paraden Unterschied gewonnen, weil Milosavljev es forciert hat, dass einige Kieler auch über das Tor werfen, was ich ihm gutschreiben würde. In der zweiten Halbzeit macht unsere Mannschaft das überragend, hält zu jederzeit das Tempo hoch, um Kiel unter Druck zu setzen. Filip probiert dann alles mit den offensiven Abwehrformationen 3-2-1, 4-2 und dem siebten Feldspieler im Angriff, aber wir haben gegen alle Aufgaben, die Kiel uns gestellt hat, gute Lösungen gefunden. Wenn du dann erst einmal vier, fünf Tore vorn liegst und die Halle kommt, spielst du dich in einen Rausch. Das war Balsam auf die Wunden der vergangenen Wochen. Den THW Kiel heute so zu schlagen, ist es ein Ausrufezeichen und gibt uns ein gutes Gefühl.

THW-Kreisläufer Petter Överby: Wir haben alles versucht, das Spiel trotzdem noch zu gewinnen, aber es schien so, als wenn wir unsere Energie in der zweiten Halbzeit in der Kabine gelassen hätten. Wir haben eine lange Phase mit vielen Reisen hinter uns, viele hatten verschiedene Erkrankungen in den letzten Tagen - das ist ein Erklärungsansatz, soll aber keine Ausrede für diese zweite Hälfte sein. Jetzt geht es zur Nationalmannschaft, dann müssen wir als THW Kiel weiter an uns arbeiten, uns aber auch an die guten Spiele der vergangenen Wochen erinnern.