THW Kiel kassiert verdiente Derby-Niederlage
Ganze drei Tage konnte der THW Kiel die Tabellenführung in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga genießen, am Sonnabendabend kassierten die Zebras im Nordderby bei der SG Flensburg-Handewitt aber eine verdiente 28:31 (15:17)-Niederlage und mussten den Nordrivalen wieder an sich vorbeiziehen lassen. Bitterer noch als die Niederlage: Mit Pavel Horak und Hendrik Pekeler schieden zwei Abwehrstützen verletzt aus, zudem konnte auch Dario Quenstedt mit einer Oberschenkel-Blessur nicht länger als 24 Minuten spielen. Für ihn rückte der 42-jährige Torwart-Trainer Mattias Andersson zwischen die Pfosten und hielt insgesamt zehn Bälle. Bester Kieler Torschütze war Sander Sagosen mit neun Treffern.
Corona-Tristesse statt Derby-Stimmung
Kapitän Duvnjak erzielte vier Tore
Prickelnde Derby-Stimmung? Fehlanzeige. Corona sorgte für die inzwischen leider inzwischen beinahe schon zur Gewohnheit gewordenen Tristesse, Zuschauer blieben ausgesperrt, die Plätze leer. Dort, wo bei Nordderbys gewöhnlich rund 6200 Fans die Halle zum Bersten bringen, war Stille. Auch in den Kadern der Teams hatte die Pandemie - beziehungsweise deren Auswirkungen - wieder Spuren hinterlassen. Wegen Quarantäne musste SG-Trainer Maik Machulla Abwehrchef Hald und Spielmacher Mensah Larsen ersetzen. THW-Coach Filip Jicha musste ausgerechnet im Derby auf den weltbesten Torhüter verzichten: Niklas Landin musste auf der heimischen Couch bleiben. Beim THW fehlte neben Landin nur noch der Langzeitverletzte Nikola Bilyk, Sven Ehrig war nach überstandener Adduktorenzerrung in die Mannschaft zurückgekehrt.
Guter Kieler Start nach Anfangsproblemen
Sprang für den angeschlagenen Quenstedt in die Bresche: Mattias Andersson
Den besseren Start erwischte Flensburg, legte durch zwei Tore von Kreisläufer Johannes Golla und eines von Hampus Wanne auf 3:1 vor. Doch die Kieler antworteten mit einem 5:0-Lauf, zweimal Niclas Ekberg, Hendrik Pekeler, Harald Reinkind und Sander Sagosen brachten den THW bis Minute elf auf 6:3 nach vorn. Nach anfänglicher Nervosität mit Fehlern auf beiden Seiten entwickelte sich jetzt ein schnelles, ein sehenswertes Spiel, es ging hin und her, die Führungen wechselten, Tore fielen am Fließband - auch, weil die Torhüter beider Teams keinen Zugriff ins Spiel fanden. Kiels Schlussmann Dario Quenstedt musste mit einer Oberschenkel-Blessur nach 21 Minuten raus - Mattias Andersson ging zwischen die Pfosten, und der tankte gleich mit seiner ersten Aktion und einer Glanzparade gegen Rechtsaußen Lasse Svan Selbstvertrauen.
Sagosen in Torlaune
Sander Sagosen erzielte neun Treffer
Machulla hatte in der 23. Minute ebenfalls auf der Torhüterposition gewechselt, brachte Torbjörn Bergerud für Benjamin Buric, und der norwegische Nationalkeeper gab seiner Abwehr deutlich mehr Rückhalt. Aber auch das Pech war an diesem Abend ein ständiger Begleiter der Zebras: Nach Reinkinds Pfostentreffer gelang Svan per Gegenstoß der 8:8-Ausgleich, nach einem Fehlpass von Duvnjak erzielte der überragende Hampus Wanne, der vor dem Wechsel sieben und insgesamt zehn Mal traf, das 11:10 für die Gastgeber. Gut für die Kieler, dass Sagosen einen Sahnetag erwischt hatte: Mit zwei Treffern und einem tollen Anspiel auf Wiencek ermöglichte er die Kieler 14:13-Führung (24.), die Flensburg bis zur Pause allerdings noch deutlich drehen konnte: Die SG nahm eine 17:15-Führung mit in die Kabine und kam nach dem Wechsel auch besser in die Partie zurück, weil der THW viele Chancen auch von den Außenpositionen ungenutzt ließ.
Kieler Verletzungspech
Musste verletzt vom Feld: Hendrik Pekeler
So dauerte es bis zur 34. Minute, bis Sagosen der erste Kieler Treffer im zweiten Durchgang gelang. Zudem haderten die Kieler mit Verletzungspech: Hendrik Pekeler trat unglücklich auf den Fuß von Jim Gottfridsson und musste ebenso verletzt raus wie wenig später sein Defensiv-Vertreter Pavel Horak. Der Tscheche knickte beim Wechsel auf der Spielfeldkante um und verließ die Arena später auf Krücken. So kam eins zum andern, Flensburg zog bis auf 22:17 davon. Dass die SG weite Strecken der zweiten Halbzeit dominierte, war vor allem das Verdienst von Gottfridsson und Wanne, die ihre Farben stets auf drei, vier Tore vorne hielten. Die Kieler mühten sich, kämpften, scheiterten aber oft auch an sich selbst. Trotzdem keimte noch einmal Hoffnung auf einen Punktgewinn auf, als Sander Sagosen sich in der 54. Minute ein weiteres Mal bravourös durchsetzte und auch zum 25:26 traf. Aber die Flensburger blieben cool ließen sich nicht aus der Ruhe bringen und hatten nach Gottfridssons 30:27 (58.) die Punkte auf ihrer Seite verbucht.
Halbzeit in der Liga
Eine Vorentscheidung um die Meisterschaft ist durch den verdienten Sieg der Gastgeber indes nicht gefallen, beide Teams haben jetzt 19 Spiele auf dem Konto, 19 weitere müssen, so es die momentane schwierige Situation zulässt, noch gespielt werden. "Ich bin zufrieden, dass wir bisher so konstant mit dieser Situation umgegangen sind", sagte JIcha nach dem Spiel, "ich hatte durch die Geisterspiele mit mehr Punktverlusten aller Mannschaften gerechnet. Das spricht für die Qualität der Teams. Jetzt ist Saison-Halbzeit." Den direkten Vergleich mit Flensburg, der bei Punktgleichheit am Saisonende erstmals überhaupt zur Bewertung herangezogen werden würde, haben die Zebras gewonnen.
Mittwoch Achtelfinal-Hinspiel in Szeged
Die Enttäuschung müssen die Zebras schnell abschütteln: Mittwoch ist Königsklasse!
Für den THW Kiel geht es nahezu nahtlos weiter mit den Top-Spielen: Am Mittwoch reisen die Zebras zum ungarischen Top-Club MOL-Pick Szeged um den spanischen Superstar Joan Canellas. Im Achtelfinal-Hinspiel der EHF Champions League, wahrscheinlich der letzte schwarz-weiße Auftritt im legendären Hexenkessel "Varosi Sportscsarnok" vor dem Hallen-Neubau in Szeged, geht es für die Kieler um eine möglichst gute Ausgangssituation für das Rückspiel, das am 7. April in Kiel stattfindet. Beide Partien werden um 18:45 Uhr angepfiffen, der Streamingdienst DAZN überträgt live. Nach Auskunft der medizinischen Abteilung werden die Kieler die Reise ohne Horak und Pekeler antreten müssen. Weiter geht's auswärts in der Königsklasse, Kiel!
LIQUI MOLY HBL, 23. Spieltag: SG Flensburg-Handewitt - THW Kiel: 31:28 (17:15)
SG Flensburg-Handewitt: Buric (1.-24., 4 Paraden), Bergerud (24.-60., 9/1 Paraden); Golla (5), Svan (2), Wanne (10/2), Jöndal, Steinhauser, Sögard (4), Gottfridsson (7), Pettersson (2), Holpert, Röd (1); Trainer: Machulla
THW Kiel: Quenstedt (1.-21., 1 Parade), Andersson (21.-60., 10 Paraden); Ehrig (n.e.), Duvnjak (4), Sagosen (9), Reinkind (2), M. Landin, Sunnefeldt (n.e.), Weinhold (1), Wiencek (3), Ekberg (4), Dahmke (2), Zarabec (1), Voigt (n.e.), Horak, Pekeler (2); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Robert Schulze / Tobias Tönnies
Zeitstrafen: SG: 2 (2x Röd (22., 50.)) / THW: 3 (Reinkind (12.), Sagosen (25.), Duvnjak (58.))
Siebenmeter: SG: 2/2 / THW: 1/0 (Bergerud hält Ekberg (45.))
Spielfilm: ; 0:1, 3:1 (4.), 3:6 (11.), 5:6, 6:8 (14.), 8:8 (14.), 9:10 (16.), 11:10, 13:11 (21.), 13:14 (24.), 15:14 (27.), 15:15 (28.), 17:15;
18:15 (33.), 20:17 (39.), 22:17 (41.), 23:19, 23:21 (47.), 26:23 (51.), 26:25 (54.), 28:25 (56.), 29:27 (57.), 30:28 (58.), 31:28.
Zuschauer: keine (Flens-Arena, Flensburg)
Stimmen zum Spiel
THW-Trainer Filip Jicha: Glückwunsch an Maik und seine gesamte Mannschaft. Wir haben das gesamte Spiel über nicht richtig stattgefunden, und Flensburg hat das schlau gespielt. Wir waren viel zu sehr fokussiert auf den Gegner und nicht auf unser eigenes Spiel. Wir haben einen gebrauchten Tag erwischt und deshalb auch verdient verloren. Das ist schmerzhaft, aber man muss solche Spiele erleben, um zu erkennen, wie wichtig die eigene Leistung ist. Natürlich haben wir Niklas Landin vermisst, er ist der amtierende Welthandballer und in sehr guter Form. Aber Maiks Mannschaft war durch die Quarantäne für Mensah und Hald ebenfalls geschwächt, deshalb darf Niklas' Fehlen keine Ausrede sein. Auch mit dem Ausfall von Peke und Pavel hat die Niederlage nichts zu tun. Beide werden nach Auskunft unseres Mannschaftsarztes am Mittwoch ausfallen. Fakt ist: Wir müssen noch 19 Spiele absolvieren, heute ist gerade einmal Halbzeit. Das ist ein spezielles Jahr, wir alle vermissen die Fans.
SG-Trainer Maik Machulla: Die freie Zeit vor der heutigen Partie hat uns natürlich geholfen. Hätten wir jeden dritten Tag und mit einem verkleinerten Kader spielen müssen, wäre es heute noch schwieriger gewesen. Ich habe einen riesigen Respekt davor, wie die Jungs sich heute in das Spiel geschmissen haben. Sie haben nicht nur gekämpft, sondern richtig guten Handball gezeigt. Wir haben sehr gut verteidigt und vorne sehr intelligent gespielt. Unsere Effektivität war heute ausgezeichnet. Heute waren zwei Top-Mannschaften am Start, und jeder, der das Derby gesehen hat, dürfte begeistert gewesen sein. Ih bin froh, dass wir die zwei Punkte hierbehalten konnten. Dass zwei Spieler bei uns und Niklas Landin, der den Unterschied ausmachen kann, heute gesund zu Hause das Derby am Fernsehen verfolgen mussten, ist schade. Insgesamt gab es unter diesen Bedingungen noch nie ein Derby - jetzt ist Halbzeit in der Liga, deshalb war das heute noch keine Vorenscheidung im Meisterschafts-Kampf.
THW-Rückraumspieler Sander Sagosen: In Flensburg zu spielen, ist eine schwierige Aufgabe. Sie haben heute eine gute Leistung gezeigt. Wir können besser spielen, aber aus der Verteidigung heraus konnten wir nicht wie gewohnt Momentum aufbauen. Flensburg hatte wenig Wechselmöglichkeiten, also haben sie lange Angriffe gespielt, was uns von Beginn an unter Stress gesetzt hat. Jetzt sind 19 Partien gespielt, und es ist noch nichts entschieden. Beide Teams haben noch eine Menge schwere Spiele vor sich, und wir müssen einfach weitermachen und dann im Juni sehen, wo wir stehen.
SG-Rückraumspieler Jim Gottfridsson bei Sky: In den letzten Minuten hat Kiel einige leichte Fehler begangen, und wir kamen zu vielen guten Würfen. Mit unserem derzeitigen Kader müssen wir steuern, wann wir mit Tempo spielen. Wir probieren immer, Schwächen in der Kieler Verteidigung zu finden. Das ist uns heute besser gelungen als im Hinspiel. Die Tabellenführung ist sehr schön, und wir werden das bis zum nächsten Spiel genießen. Jetzt warten wir erst einmal darauf, dass unsere beiden Spieler aus der Quarantäne kommen.
THW-Torwart Mattias Andersson bei Sky: Die Flensburger waren heute besser. Sie waren klarer im Kopf und in den entscheidenden Momenten da. Wir haben nicht die Leistung gebracht, die in einem Derby gefordert ist. Meine eigene Leistung ist egal: Wir haben nicht gewonnen, das ist alles, was zählt. Am Ende bin ich froh, dass ich 40 Minuten im Tor überlebt habe, denn so lange zu spielen, war nicht der Plan.