KN: Auf der Suche nach dem fehlenden Stück
Starkes Comeback von Dissinger - Lichtblick Bilyk
"Man merkt, dass wir noch nicht eingespielt sind", sagte Rune Dahmke nach der Partie, die der THW unnötig aus der Hand gegeben hatte. "In den entscheidenden Situationen fehlt manchmal die Ruhe." Zu viele Fehler - diese drei Worte ziehen sich wie ein Roter Faden durch die Spielanalysen. In der Königsklasse haben die Kieler in dieser Saison bereits fünf Niederlagen kassiert, stecken in einer kleinen Ergebniskrise. Platz drei ist wohl weg. "Veszprem ist so gut wie durch, sie haben die schweren Gegner hinter sich", sagt THW-Coach Alfred Gislason. "Wir werden wohl nicht mal mehr Vierter." Das Restprogramm der Zebras ist hart: Zwar wäre alles andere als ein Heimsieg gegen Silkeborg eine Sensation, doch die folgenden Gegner heißen FC Barcelona (in Kiel) und Paris St.-Germain (auswärts). Kein Wunder also, dass Veszprem feierte, als der erste Sieg überhaupt in der Sparkassen-Arena perfekt war. Superstar Laszlo Nagy und Abwehrspezialist Timuszin Schuch sprangen am späten Abend gar in die eiskalte Ostsee. Sollten sie je in Kiel gewinnen, würden sie das tun, hatten sich drei Fans geschworen. Nagy und Schuch schlossen sich an und genossen das laut eigener Aussage "erfrischende" Bad. Während coole Ungarn zumindest vorübergehend Rang drei übernahm, begannen beim THW die Gedankenspiele. Als Fünfter träfen die Zebras im Achtelfinale auf den Vierten der Gruppe B, momentan die Rhein-Neckar Löwen. Auch Meshkov Brest und Pick Szeged sind mögliche Gegner. Auf den Sieger wartet im Viertelfinale der Sieger der Gruppe A, also Paris oder Barcelona. Den Zebras aber sind solche Spekulationen egal. "Wir nehmen den Gegner, der kommt", sagt Kreisläufer Patrick Wiencek. Ganz gleich, gegen wen es geht: Die Zebras werden sich steigern müssen, um das Final Four zu erreichen. Erneut war das Angriffsspiel zu statisch, vergaben die Kieler zu viele klare Chancen. Daran änderte auch der 5:2-Blitzstart nichts, der Telekom-Trainer Javier Sabaté schon nach neun Minuten zwang, seine erste Auszeit zu nehmen. "Danach haben wir offensiv und defensiv ein paar Probleme bekommen", sagt Rückraumspieler Nikola Bilyk. "Und Veszprem hat clever gespielt." Diese Cleverness, die sich vor allem in langen Angriffen der Ungarn äußerte, ging den Kielern in den entscheidenden Momenten ab. Dabei gab es auch Lichtblicke, Christian Dissinger auf Halblinks etwa: Der 25-Jährige stand das erste Mal seit seiner bei Olympia erlittenen schweren Verletzung in der Start-Sieben, gab richtig Gas und glänzte mit Übersicht und Dynamik. "Disco kam sehr gut rein, ich bin sehr zufrieden mit seiner Leistung", sagt Trainer Gislason. "Auch wenn er nur ein Tor gemacht hat - seine Anspiele waren stark." Als Dissinger Ruhepausen bekam, sollte es zunächst Lukas Nilsson richten. Doch der Schwede scheint in ein kleines Loch gefallen zu sein, hat Probleme mit seinem eigenen und dem Spiel des THW insgesamt. "Lukas hat die Saisonvorbereitung nicht mitgemacht und auf Halblinks große Konkurrenz", wagt Gislason einen Erklärungsansatz. Vielleicht war es für Nilsson auch einfach alles etwas viel: Olympische Spiele, erstmals Bundesliga und Champions League im Drei-Tage-Rhythmus, die WM in Frankreich mit dem nervenaufreibenden Viertelfinale gegen den Gastgeber im Fußballstadion von Lille - es wäre keine Schande für einen 19-Jährigen, dem Tribut zu zollen. Der zwölf Tage jüngere Nikola Bilyk machte es deutlich besser, brachte zumindest phasenweise das zuvor schmerzlich vermisste Tempo ins Spiel und zeigte, dass seine Saisonvorbereitung in Kiel Früchte trägt und er einen Schritt weiter ist. Bilyk kann zur echten Entlastung für Domagoj Duvnjak heranwachsen, auch in der Rückraum-Mitte. "Niko war wieder stark, er ist schon ziemlich weit", sagt Gislason. So knüpfen die Kieler Hoffnungen sich vor allem an die Zeit. Zeit zum Einspielen und zum Reifen, auch bis zur Rückkehr von Steffen Weinhold, vor allem aber Zeit zum Besserwerden. Denn das müssen die Zebras, da sind sich alle einig. (Von Niklas Schomburg, aus den Kieler Nachrichten vom 17.02.2017, Foto: Sascha Klahn)