KN: Er ist wieder da: Zeit für Disco!
Vier Monate Reha, auch auf ungewohnten Wegen
25 Jahre, das ist kein alter, das ist ein junger Mann, einer mit einer langen Verletzungs-Vita. Mit einer Adduktorenverletzung scheidet "Disse" bei der Europameisterschaft im Januar vorzeitig aus, kämpft sich zurück, wird vor Olympia durch einen eingeklemmten und angerissenen Meniskus im Knie zurückgeworfen. "Danach habe ich nach dreieinhalb Wochen wieder gespielt, habe mich fit gefühlt", sagt der 2,03 Meter große Rückraumriese heute. In Rio ist er wieder da. Der Rest ist eine Leidensgeschichte, die sich Kompartmentsyndrom nennt. Geblieben ist nach drei Operationen eine 30 Zentimeter lange Narbe am linken Oberschenkel, sind durchtrennte Hautnerven, Taubheit, Kampf. "Ich habe das Bein vier bis fünf Wochen gar nicht belastet, musste mich wieder langsam herantasten", sagt Dissinger zuerst und schiebt dann diesen einen Satz hinterher, der das Gefühl der vergangenen Monate umreißt: "Zum Teil fühlte sich das gar nicht an wie mein eigenes Bein." Nach zwei Monaten meldet sich der Kopf. Auch, weil der Druck von Außen immer größer wird. Drei bis sechs Monate Pause lautete die Anfangsprognose. Plötzlich Interviewanfragen. Herr Dissinger, wann spielen Sie eigentlich wieder? Dissinger bleibt ruhig, bleibt geduldig, macht es anders als vor den Olympischen Spielen, geht andere Wege. "Ich war offen für neue Einflüsse, hatte nur den Heilungsprozess im Blick." Einflüsse wie Shiatsu, Bach-Blütentherapie oder Osteopathie. Der Frust weicht, die Motivation kommt zurück aus dem Keller. "Zu dem Zeitpunkt waren diese Dinge genau richtig", sagt Dissinger, bei THW-Osteopath Jan Bock auf der Behandlungsliege. "Durch Reha und Aufbau und die damit einhergehende Belastung und Kompensation durch das gesunde Bein ist ein Ungleichgewicht entstanden", sagt Bock. "Ich arbeite daran, die gleichmäßige Funktionalität von Bewegungsapparat, Organsystem und Nervensystem wieder herzustellen." Die vielen Wege des Christian Dissinger, seit vier Monaten in der Zuschauerrolle. Vier Monate, in denen die jungen Shootingstars Nikola Bilyk und Lukas Nilsson beim THW ins Scheinwerferlicht traten. Auch hier bleibt der 25-Jährige gelassen. "Konkurrenz war in der Reha kein Thema für mich. Die beiden entwickeln sich richtig gut, man muss ihnen Zeit geben. Beide werden ganz schön gehypt, sind aber ganz gelassene Typen, extrem reif." Keine Spur von Neid, Existenzangst. Vielmehr die gewachsene Reife eines oft verletzten Spielers, der weiß, wie schnell der nächste Rückschlag kommen kann. Dissinger will helfen, wo er nur kann, wurde gegen Magdeburg zu einem extrem undankbaren Zeitpunkt eingewechselt. Die Kieler Felle schwammen Mitte der zweiten Halbzeit davon, Bilyk und Nilsson war der Zahn gezogen, ausgerechnet jetzt sollte Dissinger Akzente setzen. Riskantes Comeback, doch Alfred Gislason weiß, was er an seinem Schützling "Disco" hat: "Seine Rückkehr ist wichtig, mit ihm haben wir im Angriff eine eingespielte Sechs", sagt der Isländer. Heute ist ein guter Tag für Christian Dissinger. Er spielt in seiner Geburtsstadt Ludwigshafen gegen die TSG Friesenheim, mit der er 2010 in die Erste Bundesliga aufstieg und dann im Oberhaus 65 Tore warf. "Ich war noch nie beim Final Four in Hamburg", sagt der ruhige Rheinpfälzer mit dem linken Bein, das wieder seines ist. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 14.12.2016, Foto: Archiv/Sascha Klahn)