KN: Phänomen Topmodel in der Nationalmannschaft
Dagur Sigurdsson kann nur 14 Spieler für Olympia nominieren
Zugegeben, Parallelen zwischen Sigurdssons Kader-Zusammenstellung und dem inhalts- und seelenlosen Selektieren der Heidi K. zwischen werter und unwerter Oberflächlichkeit im TV-Format "Germany's next Topmodel" gibt es kaum. Eine schon: Auch wenn der isländische Europameister-Macher am Ende wahrscheinlich keine Fotos für seine "Bad Boys" austeilt, so wird er vermutlich schweren Herzens irgendwann im Juli Zu- und Absagen aussprechen müssen. Und wenn man dem 42-jährigen "Eisblock" (DHB-Vizepräsident Bob Hanning) glaubt, der am Wochenende betonte, dass es für ihn keine Europameister mehr gebe, sondern nur noch gute und schlechte Leistungen, dann werden am Ende auch einige Goldjungs von Krakau ohne Ticket für die Copacabana dastehen. Am Ende eines ereignisreichen Lehrgangs in Berlin, der in einem Empfang bei Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Höhepunkt hatte, zeigte sich Sigurdsson zum ersten Mal seit dem Märchen von Polen angefressen: "Dieses ganze Gerede vom Casting und ob man es nun schafft oder nicht - das geht in die Köpfe. Das ist negativ, damit muss man jetzt klarkommen." Zu selbstverliebt, zu abgehoben - das, was seine Spieler beim 24:26 gegen Katar im zweiten Duell in Berlin zeigten, ging Sigurdsson richtig auf die Nerven. Also wird er genau hinschauen. Hinschauen, was bei den nächsten Tests - am 1. April gegen Dänemark und am 3. April gegen Österreich - passiert. Hinschauen nicht nur bei seinen 18 Europameistern, aus deren Kreis sich der Hannoveraner Kai Häfner vielleicht verabschiedet hat: Am Freitag in Leipzig hatte sich Häfner beim Sieg gegen Katar einen Mittelhandbruch der linken Wurfhand zugezogen. Ist die #RoadToRio nun für den EM-Helden gesperrt? In den beiden Katar-Spielen waren auch Kapitän Uwe Gensheimer, Torwart Silvio Heinevetter, Patrick Groetzki, Michael Müller, Evgeni Pevnov, Manuel Späth und Paul Drux wieder auf den Casting-Laufsteg eingebogen. Am Beispiel des 29-jährigen Gensheimer lässt sich das Phänomen Topmodel am besten sezieren. Hatte in Polen noch der Kieler Steffen Weinhold das Nationalteam mit überragenden Leistungen, Aufopferung und einem ruhigen Führungsstil gen Titel geleitet, stand Gensheimer in der Sekunde des märchenhaften Triumphes bereits wieder in erster Reihe und ließ sich nach dem Motto "Da bin ich wieder" auch bei der Kanzlerin die Rolle des aufdringlichen Klassenclowns nicht nehmen. Es gebe zwar, sagt Rune Dahmke, der sich mit dem vor der EM verletzt ausgefallenen Gensheimer die Linksaußen-Position teilt, "keine Sticheleien", keiner wolle "dem anderen die Show stehlen". Nur Gensheimer selbst, der einen "extra Olympia-Drive im Training" festgestellt hat, ist am Ende doch "primus inter pares", Erster unter Gleichen. Der Rhein-Neckar Löwe sträubt sich gegen die Gefahr, als "Unvollendeter" am Ende der Saison nach Paris zu wechseln - nach verpasster EM-Teilnahme und womöglich ohne Meistertitel. Ärgster Konkurrent in der Laufsteg-Kategorie "Rampensau" ist derzeit Torwart Andreas Wolff. Dessen Ziele: Europameister, Weltmeister, Olympiasieger, Welthandballer. "Davon habe ist erst einen Titel erreicht", sagt Wolff. Warum also nicht OIympiasieger werden? "Gold ist keine Utopie", so das 25-jährige Kieler Zebra in spe, das sich selbst in Anlehnung an das neue Image der Nationalmannschaft als "Big bad Wolff" in Szene setzt. Am Sonntag in Berlin bröckelte Wolffs Selbstbewusstsein für einen Moment. Angefasst sagte Wolff nach einer schlechten Darbietung: "Das geht mir schon sehr nahe, das ist eine verpasste Chance, sich für Olympia in Rio zu zeigen." Neben Wolff machen sich auch Carsten Lichtlein und Rückkehrer Silvio Heinevetter berechtigte Hoffnungen auf eine Nominierung. Für einen wird der Bundestrainer im Juli kein Foto haben. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 15.03.2016, Foto: Archiv/Sascha Klahn)