
Letzte Aktion erhitzt die Gemüter: Unentschieden zwischen dem THW Kiel und Hannover-Burgdorf
Nur 40 Stunden nach dem verlorenen Pokalfight in Berlin erkämpften sich die Zebras zum Rückrunden-Auftakt der DAIKIN Handball-Bundesliga beim 29:29 (14:16) gegen TSV Hannover Burgdorf einen Punkt. Es hätten auch zwei sein können, wenn nicht die letzte Aktion für erhitzte Gemüter gesorgt hätte: Die Kieler hatten zuvor getroffen, leidenschaftlich verteidigt und Andreas Wolff den finalen, freien Wurf von Daniel Weber gehalten. Doch die Unparteiischen Cesnik/Konrad aus Gummersbach bemühten den Videobeweis und entschieden auf Siebenmeter für Hannover, weil Eric Johannson angeblich den Schützen behindert habe - eine krasse Fehlentscheidung, die August Pedersen zum Ausgleich nutzte und die letztlich den THW Kiel einen Punkt kostete.
Von Spannung lebende Partie mit fragwürdigem Ende
Binnen Sekunden verwandelte sich nach der letzten Aktion des Spiels die Wunderino Arena vom Tollhaus zu ungläubigem Entsetzen. Die Videobilder auf den Handys vieler Fans ließen keinen anderen Schluss zu, als dass der THW Kiel die Partie durch Wolffs Parade gewonnen hatte. Doch es kam anders. "Kreis ist es nicht, Johansson steht und dreht sich sogar noch weg - ich denke, sie werden es ohne Siebenmeter beenden", kommtierte Experte Pascal Hens bei Dyn. Doch Cesniks/Konrad entschieden anders, kommentieren wollten die Schiedsrichter ihre Entscheidung gegenüber der Presse später nicht. Der THW Kiel verlor einen wichtigen Punkt im Kampf um die Teilnahme an der Champions League. Beste Kieler Torschützen in dieser packenden, von Spannung lebenden Partie waren Elias Ellefsen á Skipagötu und Lukas Zerbe, die jeweils siebenmal trafen. Für Hannover war August Pedersen mit acht Treffern am erfolgreichsten.
Verletzungssorgen auf beiden Seiten
Für Neuzugang Mohab Abdelhak war es die Wunderino Arena-Premiere, der Ägypter saugte die ihm ungewohnte Atmosphäre im Kieler Handball-Tempel merklich auf, bekam von Trainer Filip Jicha auch rund 15 Minuten Spielzeit, erzielte auch zwei Treffer. Zum Zuschauen waren dagegen weiterhin Emil Madsen (Knie-OP), Bence Imre (Bauchmuskelzerrung) und Petter Överby (Infekt) gezwungen. Zudem kam Eric Johansson vom Spiel in Berlin stark angeschlagen zurück. Die Gäste beklagten ebenfalls Personalprobleme, mussten auf ihre Kreisläufer Justus Fischer und Thomas Solstad verzichten. Außerdem waren sie ohne ihren Cheftrainer Christian Prokop angereist, der erneut von seinem Co Heidmar Felixson.
Gäste kontern guten Kieler Start
So startete der THW Kiel eher ungewohnt mit Youngster Rasmus Ankermann auf Halblinks und auf der Spielmacherposition mit Nikola Bilyk. Im Tor begannen die Kieler mit Gonzalo Perez de Vargaz, der die THW-Fans in den ersten beiden Minuten durch Glanzparaden gegen Uscins und Stutzke mitnahm. Vorne knüpfte Lukas Zerbe sofort an seine Glanzleistung von Berlin an, traf zur 1:0-Führung. Rasmus Ankermann sorgte mit energischem Durchbruch und dem Treffer zum 2:1 für Jubel auf den Rängen, Lukas Laube erhöhte auf 3:1, wenig später auf 4:2. Die Zebras hatten zunächst die Nase vorn, die Gäste aber zeigten, warum sie in den vergangenen Wochen an ihre Form der letzten Saison angeknüpft haben, boten eine kämpferische starke Leistung und hatten den Kieler Vorsprung in der 14. Minute durch Michalczik zum 7:7 egalisiert.
Hannover führt zur Pause
Nach einem Ballklau gegen Harald Reinkind traf Renars Uscins wenig Sekunden später zur ersten Gästeführung, in der 22. Minute war Hannover gar auf 12:9 enteilt. Filip Jicha drückte den Buzzer, nahm die Auszeit, brachte Elias Ellefsen á Skipagötu als Spielmacher. Er stellte zudem Andreas Wolff zwischen die Kieler Pfosten. Der Kieler Torhüter war sofort gegen Poulsen zur Stelle und nach den Treffern von á Skipagötu und Mohab Abdelhak war der THW Kiel auf 13:14 dran. Wolff parierte in der Folge einen Siebenmeter von Pedersen, Rune Dahmke zauberte den Ball aus schwierigem Winkel ins TSV-Tor - dennoch lief noch nicht alles nach Wunsch. Nach dem 14:16 durch Hannovers quirligen Mittelmann Leif Tissier gingen die Gäste mit verdienter Führung in die Kabinen.
Zebras egalisieren Vier-Tore-Rückstand
Nach der Pause liefen die Kieler dann mit "voller Kapelle" auf, hatten jetzt auch Eric Johansson im Rückraum dabei, machten Druck und glichen nach 34 Minuten und dem Solo von á Skipagötu zum 17:17 aus. Hannover aber bot einen Kampf auf Augenhöhe, Rodriguez, Weber, Michalczik und Poulsen nutzten Kieler Unaufmerksamkeiten und Fehler, lagen nach 37 Minuten mit 21:17 vorn. Jicha drückte ein zweites Mal auf den Buzzer. Die Zebras griffen in die Taktik-Kiste, setzten in der Folge auf eine offensive 3:2:1-Abwehr mit Kapitän Domagoj Duvnjak an vorderster Front, störten und kämpften vorbildlich. Im Angriff wurde das Sieben-gegen-Sechs zur schwarz-weißen Waffe, und auch die Zuschauer merkten jetzt, dass es auf ihre Emotionen ankommen könnte. Als letzte Instanz wurde Andreas Wolff zur Wand, brachte es noch auf insgesamt zehn Paraden, hielt drei Siebenmeter auf. Im Angriff wirbelte bis zu einem schmerzhaften Griff in den Arm, nach dem der Färinger angeschlagen auf der Bank Platz nehmen musste, Elias Ellefsen á Skipagötu. Er war kaum zu bremsen, erzielte einen Dreierpack, Johansson hämmerte den Ball ins Netz und in der 44. Minute stieß Lukas Zerbe die linke Faust in die Luft, feierte sein Tor zur Kieler 22:21-Führung. Ein perfekter 5:0-Lauf war Wirklichkeit geworden.
Dramatik in der Schlussphase
Hannover hatte sich aber ebenfalls mit viel Kampfgeist in die Partie hineingebissen, Tissier glänzte als Anspieler und Vollstrecker, und so ging es auf Augenhöhe in die letzten Minuten der Begegnung. Die "weiße Wand" avancierte endlich zum zusätzlichen Kieler Mann, die Wunderino Arena wurde zum Hexenkessel. Als Harald Reinkind mit seinem ersten Treffer zur 26:25-Führung traf, Wolff auch den Strafwurf von Steinhauser parierte, war der THW-Weg zur wichtigen Zwei-Tore-Führung frei. Aber die Kieler fanden den Schlüssel nicht, Hannover ging durch Uscins mit 27:26 in Front. Nach der erneuten THW-Führung zum 28:27 durch Johansson und Nacinovic glich Pedersen in der 58. Minute zum 28:28 aus. Als Harald Reinkind dann an Birlehm scheiterte, schienen die Felle endgültig davonzuschwimmen. Doch auf die Kieler Abwehr um Duvnjak und Co blieb Verlass. Filip Jicha nahm eine letzte Auszeit, Eric Johansson setzte die Vorgaben 30 Sekunden vor dem Abpfiff mit seinem Treffer zum 29:28 um. Dann parierte Andreas Wolff großartig, doch am Ende hatten die jubelnden Kieler Fans die Rechnung ohne die letzte Aktion der Schiedsrichter gemacht.
Dienstag geht’s zum SC Magdeburg
Das Wahnsinns-Programm der Kieler im Dezember kennt auch jetzt, kurz vor Weihnachten, keine Gnade: Am Dienstag und damit am Abend vor Heiligabend sind die Zebras beim Champions-League-Sieger SC Magdeburg gefordert. Die Magdeburger haben in der DAIKIN Handball-Bundesliga saisonübergreifend 30 Spiele nicht mehr verloren und sind natürlich der große Favorit auf den Titel, hat der SCM doch erst einen Minuspunkt auf der negativen Tabellenseite. Die Partie in der ausverkauften Getec-Arena ist ein Nachholspiel des sechsten Spieltags, an dem der SCM beim Super Globe in Ägypten weilte. Anwurf ist um 19 Uhr, Dyn überträgt live. Weiter geht’s in Magdeburg, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
DAIKIN Handball-Bundesliga, 18. Spieltag: THW Kiel – Füchse Berlin: 29:29 (14:16)
THW Kiel: Perez de Vargas (1.-22., 2 Paraden), Wolff (22.-60., 7/3 Paraden); Duvnjak, Reinkind (1), Landin, J. Dahmke (n.e.), Laube (2), Johansson (3), Ankermann (3), R. Dahmke (1), Zerbe (6/3), Abdelhak (2), Bilyk (2), Pekeler, á Skipagötu (7), Nacinovic (2); Trainer: Jicha
TSV Hannover-Burgdorf: Gade (1.-14., 1 Parade), Birlehm (14.-60., 6 Paraden), Tissier (8), Poulsen (1), Uscins (4), Orlov, Pedersen (9/1), Steinhauser, Michalczik (3), Kothe, Edvardsson (1), Aho, Stutzke, Feise, Weber (2), Rodriguez (1); Trainer: Felixson
Schiedsrichter: Marvin Cesnik / Jonas Konad
Zeitstrafen: THW: 2 Pekeler (35., 54.)) / TSV: 2 (Michalczik (40.), Uscnins (41.))
Siebenmeter: THW: 4/3 (Zerbe den Pfosten (28.)) / TSV: 4/1 (Wolff hält 2x Pedersen (28., 40.) und Steinhauser (54.))
Spielfilm: 1:1, 3:1 (6.), 5:3 (10.), 5:5 (10.), 7:6, 8:8 (14.), 8:10 (15.), 9:12 (22.), 11:14 (25.), 13:14 (27.), 14:16;
2. Hz: 15:17 (33.), 17:17 (35.), 17:21 (38.), 22:21 (43.), 22:23 (44.), 24:23 (47.), 26:25 (52.), 26:27 (56.), 28:27 (57.), 29:28 (60.), 29:29.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Wunderino Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Es war eine sehr hitzige Partie, und man hat einigen meiner Jungs angemerkt, dass sie erst am Donnerstag ein richtig hartes Spiel hatten. Eric war angeschlagen, Elias musste während der Partie mit Problemen raus. Wir haben situationsbedingt nicht das Freiwurf-Momentum geschafft, mit dem Sieben-gegen-Sechs und der 3-2-1-Abwehr sind wir zurück in die Partie gekommen. Leider haben wir es versäumt, dass Spiel zuzumachen, als wir die Möglichkeiten hatten, wegzuziehen. Die letzte Szene muss jeder selbst für sich bewerten. Aber wir haben eigentlich eine klare Regellinie, die nicht beachtet wird. Und das ist nicht gut.
TSV-Trainer Heidmar Felixson: Das heute war eine ganz starke Leistung meiner Jungs, da wir ohne unsere Kreisläufer Fischer und Solstad nach Kiel gefahren sind. Michalczik und Stutzke haben das im Mittelblock gut gelöst, unsere Abwehr war fantastisch. Meine Mannschaft hat immer an mich geglaubt, hat einfach weitergeackert. Und auch, nachdem wir die Vier-Tore-Führung wegen Zeitstrafen und der Kieler 3-2-1-Abwehr innerhalb kurzer Zeit eingebüßt hatten, haben sie einfach weitergemacht und einen Punkt geholt, der nach dem Spielverlauf so in Ordnung geht.
THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi: Es war kein schönes Handballspiel, aber das war heute so kurz nach dem Spiel in Berlin auch nicht zu erwarten. Uns hat in den Beinen und im Kopf ein wenig die Frische gefehlt, was Hannover mit viel Tempo bestraft hat, um uns noch müder zu machen. Die TSV hat alles reingeworfen, und das Unentschieden war dem Spielverlauf nach verdient. Grundsätzlich sollte man sich darüber Gedanken machen, dass Woche für Woche, Spiel für Spiel der Videobeweis unterschiedlich aufgefasst wird. Er wurde von den Vereinen installiert, um für Fairness zu sorgen und die Schiedsrichter zu unterstützen. Es war ein großes Invest, mit dem die Vereine in Vorleistung getreten sind. Man sollte sich darüber Gedanken machen, ob es mit der Dynamik und Linie unseres Sports zu tun hat, heute diesen spielentscheidenden Siebenmeter zu geben. Wir Vereine werden zum Spielball unterschiedlicher Entscheidungen, und deshalb sollte schleunigst etwas getan werden, sollten Schulungen der Schiedsrichter stattfinden, sollte einfach etwas passieren, um den Grundgedanken des Videobeweises zurückzuholen.
Hannovers Sportlicher Leiter Sven-Sören Christophersen: Riesen-Kompliment an unsere Mannschaft, die zuletzt keine einfachen Tage hatte. Es war eine Jonglage mit den Spielern, wenn dir beide Kreisläufer fehlen. Natürlich hatten wir uns in Kiel etwas ausgerechnet, wenn der THW zwei Tage vorher in Berlin spielt. Es passiert nicht so häufig, dass man hier punktet. Aber jeder von uns hat einen unfassbaren Kampf geliefert, unser Tempo war auch für uns an der Grenze der Machbarkeit. Und dass Pedersen nach zuvor insgesamt drei verworfenen Siebenmetern den entscheidenden reinmacht, setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf.












