"Unglaubliche Leere": Starke Kieler verlieren Pokal-Fight bei den Füchsen Berlin

DHB-Pokal

"Unglaubliche Leere": Starke Kieler verlieren Pokal-Fight bei den Füchsen Berlin

Nach phänomenalem Kampf, spielerischen Glanzpunkten und an Spannung nicht zu überbietenden 60 Minuten ist die Pokal-Reise des Titelverteidigers THW Kiel zu Ende: Im Viertelfinale unterlagen die Zebras dem deutschen Meister Füchse Berlin im ausverkauften Hexenkessel Max-Schmeling-Halle am Ende durch einen zweifelhaften Siebenmeter unglücklich mit 30:32 (17:16). "Ich fühle eine komplette Leere in mir", sagte THW-Rechtsaußen Lukas Zerbe, mit 10/3 Treffern bester Torschütze der Zebras, nach der Partie. "Das Final4 war unser Traum, wir haben 60 Minuten alles reingehauen. Aber es hat nicht gereicht." 

Verdruss im Kieler Lager

Ein Handballspieler im weißen Trikot mit der Nummer 24 bereitet sich darauf vor, den Ball während eines Spiels zu werfen. Ein anderer Spieler in einem grünen Trikot schaut im Hintergrund inmitten einer unscharfen Menge zu.Es war eine bittere Niederlage für das Kieler Team, das, wie schon zuletzt in Lemgo, vor allem in der Abwehr, Meisterliches bot, im Angriff allerdings viele Torchancen ungenutzt ließ. Lukas Zerbe war die große Ausnahme, trotzdem wie alle Zebras nach der Partie bitter enttäuscht. "Wir hatten uns so viel vorgenommen, waren auch auf einem guten Weg und sind dann leider gescheitert", sagte der 29-Jährige. "Schon zur Halbzeit hätten wir höher führen müssen", analysierte Kiels Rechtsaußen, "und dann machen wir unsere Tor-Möglichkeiten vor allem in der wichtigen Schlussphase nicht rein. Das ist ganz bitter!" Für Verdruss sorgte auch das Schiedsrichtergespann Schulze/Tönnies, das gerade in entscheidenden Phasen keine einheitliche Linie in der Gleichbewertung von Situationen hatte und am Ende auch spielmitentscheidende Entscheidungen gegen die Zebras getroffen hatte. Schon vor der Partie hatte es im Kieler Lager Unmut über die Schiedsrichteransetzung mit dem Magdeburger Gespann gegeben, das schon in den beiden vorangegangenen Begegnungen mit Berlin gepfiffen und dabei keinen souveränen Eindruck hinterlassen hatte. 

Neuzugang Abdelhak erzielt Premieren-Tore

Ein Handballspieler in einem weiß-schwarzen Trikot bereitet sich darauf vor, den Ball zu werfen, während ein Spieler in einem grün-weißen Trikot ihn während eines Spiels eng verteidigt.Der deutsche Rekord-Pokalsieger (13 Titel) war am Mittwoch ohne Emil Madsen (Knie-OP), Petter Överby (Infekt) und Bence Imre (Bauchmuskelzerrung) in die Bundeshauptstadt gereist. Überraschung kurz vor Spielbeginn: Im THW-Dress machte sich mit der Nummer 48 ein in der DAIKIN Handball-Bundesliga noch unbekannter Spieler warm: Mohab Abdelhak, 22-jähriger ägyptischer Nationalspieler. Am Dienstag hatte Abdelhak beim Probetraining überzeugt, wenige Stunden vor der Partie in Berlin traf die Spielberechtigung ein. Kiels neuer Rückraumspieler soll den bis Saisonende nach einer Knie-OP ausfallenden dänischen Weltmeister Emil Madsen ersetzen, zudem Harald Reinkind und Jesse Dahmke auf der habrechten Position unterstützen. Und das gelang dem jungen Ägypter schon in Berlin großartig: Filip Jicha schickte den 22-Jährigen vier Minuten vor dem Pausenpfiff aufs Parkett, Mohab Abdelhak bedankte sich sofort mit einem Doppelschlag, erzielte in der 26. und 28. Minute die Treffer zum 15:13 und 16:14. Was für eine großartige Premiere im neuen Trikot - und das, ohne echte taktische Anbindung an das Kieler Spiel.

Starker Kieler Start

Ein Handballspieler in einem schwarz-weißen Trikot springt, um einen gelben Ball zu werfen, während er von einem Spieler in einem grünen Trikot während eines intensiven Spiels eng verteidigt wird, wobei die Zuschauer im Hintergrund verschwimmen.Stark starteten die Zebras in die Partie, Andreas Wolff zog Freihöfer gleich in der ersten Minute mit gehaltenem Siebenmeter den Zahn. Auf der anderen Seite machte es Zerbe besser, verwandelte von der Strafwurflinie zum 1:0 für Kiel. Mathias Gidsel glich aus, doch die starke THW-Abwehr um den Mittelblock mit Hendrik Pekeler und Veron Nacinovic sowie Domagoj Duvnjak und Magnus Landin auf den Halbpositionen machte den Laden vorerst dicht. Nacinovic, Elias Ellefsen á Skipagötu und Johansson waren zur Stelle, sorgten für einen Kieler 3:0-Lauf zum 4:1. Bedingt durch die starke 6:0-Abwehr und dem fehlerfreien Angriffsspiel in der ersten Viertelstunde lagen die Kieler nach den Treffern von Zerbe (2) und Harald Reinkind auch nach elf Minuten mit vier Toren (9:5) in Front. Dann aber zogen die Gäste Fahrkarten, hatten Pech mit Latten- und Pfostentreffern (Johansson) und ermöglichten den Füchsen den 5:0-Lauf, der ihnen durch Lichtlein in der 17. Minute die erste Führung zum 10:9 bescherte.

Johanssons Geniestreich zur Pausenführung

Ein Handballspieler in einem schwarz-weißen Trikot springt mit einem gelben Ball in der Hand vor einem blau gekleideten Torwart zum Schuss, während die gegnerische Mannschaft verteidigt und die Zuschauer von der Tribüne aus zusehen.Die Zebras schnauften kurz durch, meldeten sich vor allem im Angriff zurück ins Geschehen. Nacinovic traf vom Kreis, Hendrik Pekeler ebenfalls, Eric Johansson nach großartiger Sperre von Nacinovic. Und nach dem Doppelschlag durch Nacinovic und Lukas Zerbe war der Kieler 5:0-Lauf in der 21. Minute perfekt. Die Zebras lagen mit 14:10 vorn. Berlin hatte aber Antworten, pirschte sich auf 13:14 heran. Jicha reagierte, stellte Gonzalo Perez de Vargas zwischen die Kieler Pfosten, und der Spanier trumpfte sofort mit der Siebenmeter-Parade gegen Gröndahl auf. Holte sich dabei den Beifall der Berliner Fans ab, weil er dem Schieri-Gespann gegenüber sportlich fair einen möglichen Kopftreffer verneinte, Gröndahl die Strafbank ersparte. Nach Abdelhaks Treffern waren die Zebras auf dem besten Weg zur Halbzeitführung, kassierten kurz vor dem Wechsel aber noch die Gegentore durch Gröndahl und Darj. 16:16. Es folgte ein weiterer Geniestreich von Eric Johansson: Nach der Pausensirene versuchte er es beim finalen Freiwurf dieses Mal über den Block. Mit Erfolg, der Ball wurde noch abgefälscht und landete zur 17:16-Halbzeitführung im Berliner Tor. Eine hochverdiente Führung, die den Makel hatte, zu niedrig ausgefallen zu sein.

Kieler Fehler und unbedinger Wille

Ein männlicher Handballspieler in einem weiß-schwarzen Trikot springt und bereitet sich darauf vor, während eines Spiels einen gelben Ball zu werfen, mit anderen Spielern und einer unscharfen Menge im Hintergrund.Die Anfangsphase der zweiten 30 Minuten wurde dann erneut von THW-Fehlern im Angriff geprägt. Pech hatte Eric Johansson, aber auch Hektik machte sich im Sieben-gegen-Sechs breit. Fatal, auch wenn derartige Ballverluste wohl auch im Sechs-gegen-Sechs mit Gegentoren bestraft werden würden - die Füchse nutzten die Fehlwürfe und Abspielfehler der Zebras, setzten sich bis zur 40. Minute auf 23:20 ab. Berlins Weltklasse-Spieler Mathias Gidsel, der selbst traf und auch ein Auge für seine Mitspieler hatte.. konnte sich mehr und mehr von den Armen der Kieler Defensive befreien. Außerdem steigerte sich einmal mehr auch Torhüter Milosavljev. Gut aber für Kiel, dass auch Gonzalo Perez de Vargas Glanzpunkte setzte, wichtige Paraden eins gegen eins zeigte und den THW im Spiel hielt. Mit dem 3:0-Lauf durch die Treffer von Lukas Zerbe, á Skipagötu und nochmals Zerbe waren die Zebras beim 23:23 in der 44. Minute wieder dran.

Fragwürdiger Strafwurf entscheidet das Spiel

Zwei männliche Handballspieler in Aktion, wobei der eine in Grün den Ball festhält, während er von einem Spieler in Weiß eng verteidigt wird. Im Hintergrund sind zwei weitere Spieler und ein Tornetz zu sehen.Die Partie nahm an Spannung zu, beide Seiten schenkten sich keinen Zentimeter Boden, kämpften um jeden Ball. Wichtig für die Zebras, dass sich Eric Johansson jetzt wieder zum Leithammel im Angriff aufschwang, den Angriff ankurbelte und selbst mit hammerharten Würfen Torerfolge feierte. Als Perez de Vargas großartig gegen Langhoff parierte, Reinkind Lukas Laube am Kreis mustergültig bediente, lag der THW in der 51. Minute wieder vorn. Jetzt ging es Schlag auf Schlag, Gidsel nahm das Berliner Spiel vollends in seine Hände, profitierte aber auch von einer Zeitstrafe gegen Pekeler, die das Kieler Abwehrzentrum schwächte. Als Johansson das Ziel verfehlte, war der Däne nicht zu bremsen, traf in der 57. Minute zum 29:27. Lukas Zerbe gelang der Konter, und als á Skipagötu ein Solo zum 29:30 vollendete, die Kieler Abwehr den Ball eroberte, hatte Magnus Landin den Ausgleich in seinen Händen. Doch der Däne scheiterte freistehend an Milosavljev. 30 Sekunden vor dem Ende verwandelte Freihöfer dann einen fragwürdigen Strafwurf zum 31:29. Filip Jicha nahm eine letzte Auszeit,  Johansson hämmerte den Ball wenig später unter die Füchse-Latte. Aber gegen die offene THW-Abwehr behielt av Teigum die Nerven, sorgte für das 32:30 und jubelnde Berliner auf dem Parkett und auf den Rängen.

Brutal-schweres Heimspiel schon am Samstag

Drei männliche Handballspieler in Aktion; zwei in grünen Trikots verteidigen gegen einen in einem weißen Trikot, der einen gelben Handball hält. Die Szene ist intensiv und zeigt Körperkontakt und Anstrengung während des Spiels.Nur 49 Stunden nach dem Anpfiff in Berlin wartet auf den THW Kiel in der DAIKIN Handball-Bundesliga eine neue Kraftprobe: Am Samstag ist die wiedererstarkte TSV Hannover-Burgdorf zu Gast in der Wunderino Arena. Der kommende Gegner hat sich nach anfänglich schwierigem Start in die Spielzeit längst gefangen und will ausgeruht mit einem Sieg an der Förde die Aufholjagd in der DAIKIN Handball-Bundesliga fortsetzen. Für die Kieler Fans gilt es indes, ihrer Mannschaft am Samstag zu helfen: Ab 20 Uhr müssen sie richtig Lärm machen, Druck auch auf den Gegner ausüben. "Wir setzen auf unsere 'weiße Wand', am Samstag muss die Halle brennen, denn wir brauchen nach diesem Kraftakt auch die Tribünen, um uns den Sieg zu holen", sagt Lukas Zerbe. Für das letzte Heimspiel vor Weihnachten gibt es bei CITTI, online unter www.thw-tickets.de, im offiziellen Zweitmarkt von Fans für Fans  und in der THW-FANWELT, die Samstag von 10 bis 20 Uhr durchgehend geöffnet hat, noch Restkarten für das erste Spiel der Rückrunde. Weiter geht’s gegen Hannover, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn

DHB-Pokal, Viertelfinale: Füchse Berlin - THW Kiel: 32:30 (16:17)

Füche Berlin: Ludwig (1 Siebenmeter, keine Parade), Milosavljev (1.-60., 14 Paraden); Darj (3), Arino, Gröndahl (3/2), Lichtlein (3), Gidsel (8), Freihöfer (5/2), Cehte, Pichiri, Langhoff (4), Herburger, Av Teigum (4), Günther, Marsenic (2); Trainer: Krickau
THW Kiel: Perez de Vargas (26.-60., 6/2 Paraden), Wolff (1.-26., 3/1 Paraden); Duvnjak, Reinkind (1), Landin, J. Dahmke (n.e.), Laube (1), Johansson (8), Ankermann (n.e.), R. Dahmke (n.e.), Zerbe (10/3), , Abdelhak (2), Bilyk, Pekeler (1), á Skipagötu (4), Nacinovic (3); Trainer: Jicha

Schiedsrichter: Robert Schulze / Tobias Tönnies
Zeitstrafen: Füchse: 2 (Marsenic (9.), Gidsel (18.)) / THW: 3 (2x Pekeler (24., 55.), Johansson(26.))
Siebenmeter: Füchse: 7/4 (Wolff hält Freihöfer (2.), Perez de Vargas hält 2x Gröndahl (26., 43.)) / THW: 3/3
Spielfilm: 1.1 (3.), 1:4 (6.), 2:6, 5:9 (11.), 10:9 (17.), 10:14 (22.), 13:14 (24.), 14:16 (28.), 16:16 (30.), 16:17;
2. Hz: 17:17, 17:18 (32.), 18:19 (34.), 22:19 (39.), 23:20 (40.), 23:23 (44.), 25:23 (46.), 25:26 (51.), 27:26 (54.), 29:27 (54.), 30:28 (58.), 31:29 (60.), 32:30.
Zuschauer: 8525 (Max-Schmeling-Halle, Berlin)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Toptorschütze Lukas Zerbe: Ich bin super enttäuscht, da ist eine komplette Leere in mir. Wir machen ein richtig starkes Spiel, müssen uns vielleicht aber vorwerfen lassen, dass wir die freien Würfe nicht reinmachen und in den letzten fünf Minuten das Deckungszentrum nicht so geschlossen bekommen haben wie in den 55 Minuten davor. Es ist enorm bitter, wie das Spiel gelaufen ist. Das Final4 war unser Traum, wir haben 60 Minuten alles reingehauen, aber es hat nicht gereicht.

THW-Trainer Filip Jicha: THW-Trainer Filip Jicha: Glückwunsch an die Füchse Berlin zum Viertelfinalsieg. Die Mannschaft, das Trainerteam und der ganze THW Kiel sind am Boden zerstört, es tut unglaublich weh. Ich kann meinen Jungs bis auf die Wurfquote im zweiten Durchgang überhaupt keinen Vorwurf machen. Wir tun uns alle aber unglaublich schwer mit dieser Schiedsrichter-Ansetzung, zum dritten Mal gegen die Füchse Berlin wird zum dritten Mal das gleiche Gespann angesetzt. Da sind zwei Mannschaften auf dem Feld, die sich den Allerwertesten aufreißen, die mit Leidenschaft und Hingabe sich auseinandersetzen wollen. Die Füchse haben eine unglaublich gute Qualität, und Gidsel ist ein unglaublicher Spieler, der beste von uns. Ich war selbst Welthandballer und weiß, dass du dann einen Bonus bekommst und du damit auch spielst. Meine Jungs wussten, dass sie trotz allem die Ruhe und den Fokus bewahren sollten und haben sich daran gehalten. Es wird lange dauern, bis wir das, was passiert ist, verdaut haben werden, es tut mir für meine Jungs unfassbar weh. Wir sind am Boden zerstört und es ist schwer vorstellbar, dass wir uns morgen wieder treffen und Samstag dann gegen Hannover spielen. Da wollen wir Charakter zeigen, auch wenn das natürlich brutal ist.

Füchse-Trainer Nikolej Krickau: Es war ein Wahnsinns-Fight, die Kieler Deckung hat es uns sehr schwer gemacht, Chancen zu kreieren. Ich bin megastolz auf einige Charaktere in meiner Mannschaft, ich bin stolz als Trainer, wie wir in der ersten Halbzeit trotz des Vier-Tore-Rückstands die Ruhe bewahrt haben. Und trotzdem bleibt es eine Partie, die bis zum Ende in beide Richtungen kippen kann. In den letzten 15 Minuten war Gidsels Qualität der Unterschied. Dabei hatten wir nach den ersten 15 Minuten Zweifel, ob es reichen würde, weil wir da sehr müde wirkten. Jetzt sind wir einfach nur megaglücklich, nach Köln zu fahren und zu wissen, dass dort alles passieren kann.