THW Kiel holt gegen Stuttgart mit Geduld und starken Nerven zwei wichtige Heimpunkte

Bundesliga

THW Kiel holt gegen Stuttgart mit Geduld und starken Nerven zwei wichtige Heimpunkte

Mit vier Rückraumspielern lange Angriffe kreieren, bei den man als Abwehrspieler "gefühlt drei Minuten lang verteidigt" (Lukas Zerbe) - das ist das System von TVB Stuttgart-Trainer Misha Kaufmann, mit dem die Schwaben unter anderem schon ein Unentschieden in Flensburg holten. Dass der Abend in Kiel daher eine echte Gedulds- und Nervenprobe für die Zebras und auch ihre Fans werden würde, war daher schon vor der Partie klar. Die Zebras bestanden diese auch mit den Emotionen von den Rängen. Mitte der zweiten Halbzeit bemerkten die Fans, dass ihre Mannschaft gegen den unorthodoxen, rhythmusstörenden Stil der Stuttgarter Unterstützung braucht. Und die nutzte sie, blieb cool und holte mit dem 33:32 (17:15)-Sieg zwei wichtige Zähler, bleibt im Kampf um die Champions-League-Qualifikation nach Minuspunkten auf Augenhöhe mit Flensburg und dem kommenden Auswärtsgegner TBV Lemgo Lippe. 

Harald Reinkind war siebenmal erfolgreich

Ein männlicher Handballspieler, der ein weißes Trikot mit der Nummer 6 trägt, bereitet sich während eines Spiels auf den Wurf eines grünen Balls vor. Im Hintergrund sind eine unscharfe Menschenmenge und ein weiterer Spieler in einem gelben Trikot zu sehen.Bester Kieler Torschütze war Harald Reinkind, der siebenmal ins Stuttgarter Gehäuse traf. Lukas Zerbe und Elias Ellefsen á Skipagötu waren je sechsmal erfolgreich. Zerbe war es auch, der kurz vor dem Ende vom Siebenmeterstrich die Nerven bewahrte: Er übernahm eine Minute vor dem Ende Verantwortung und verwandelte eiskalt zum 33:31. Das war der Sieg! "Ich habe mir wenig Gedanken gemacht, kühlen Kopf bewahrt und getroffen", erzählte der Rechtsaußen vom THW Kiel. "Es war kein leichtes Spiel, die Stuttgarter agierten mit vier Rückraumspielern, spielten extrem lange Angriffe, haben nie aufgegeben und immer an ihre Chance geglaubt. Deswegen bin ich stolz auf meine Mannschaft, dass wir Geduld bewiesen und gewonnen haben. In der Bundesliga ist jeder Sieg wichtig, die Liga ist enorm ausgeglichen." 

Hendrik Pekeler beendet lange Leidenszeit

Drei männliche Handballspieler kämpfen um den Ball. Zwei Spieler in weiß-schwarz gestreiften Trikots verteidigen gegen einen Spieler in einem gelb-schwarzen Trikot, der den Ball in Tornähe hält.Große Freude gab es im THW-Lager und beim Zebra-Anhang schon vor dem Anpfiff: Hendrik Pekeler lief sich mit dem Team warm, ist nach seinem Achillessehnenriss im Juni zurück, streifte sich gegen die Schwaben nach halbjähriger Leidenszeit und vielen Monaten Reha endlich wieder sein THW-Trikot über. Der 34-Jährige nahm zunächst Platz auf der Reservebank, dann war er in der 19. Minute zurück, das P&P im Kieler Mittelblock, "Peke" und Petter (Överby), die bärenstarke Abwehr-Formation, nahm ihre gemeinsame Defensiv-Arbeit wieder auf. Sein erstes Saisontor erzielte Hendrik Pekeler ebenfalls -  es war ein ganz wichtiges zum 32:29 in der 56. Minute. Im Gegenzug musste Filip Jicha aber ausgerechnet auf Lukas Laube (Sprunggelenks-Prellung aus dem Montpellier-Spiel), der besonders heiß auf die Partie gegen seine ehemaligen Mitstreiter war, und weiterhin auch auf Emil Madsen verzichten. 

Gäste halten 15 Minuten ihre Führung

Zwei männliche Handballspieler in weiß-schwarz gestreiften Uniformen laufen auf einem Hallenplatz. Einer hält einen gelben Ball, der andere folgt ihm. Eine Menschenmenge und andere Spieler sind im unscharfen Hintergrund zu sehen.Nikola Bilyk indes meldete sich nach zweiwöchiger Verletzungspause wegen Adduktorenbeschwerden zurück, nahm allerdings über 60 Minuten nur auf der Spielerbank Platz. Die ersten Minuten gehörten dem Kieler Spielmacher: Elias Ellefsen á Skipagötu fing mehrfach den Ball in der eigenen Abwehr ab, startete durch und netzte unwiderstehlich ein. Wie erwartet, agierten die Gäste ohne Kreisläufer, boten vier Rückraumspieler auf. Eine taktische Maßnahme, die auf sehr langen Ballbesitz setzt. Nach einem weiteren Solo von á Skipagötu legten die Zebras nach fünf Minuten erneut vor, Kai Häfner glich aus, und nachdem Bence Imre per Siebenmeter an TVB-Schlussmann Miljan Vujovic gescheitert war, brachte Kasper Lien die Gäste erstmals in Front: 4:3. Per Doppelschlag durch Eric Johansson und Veron Nacinovic stand's wenig später 5:4 für Kiel. Holztreffer von Eric Johansson und technische Fehler sorgten dann für das 8:6 durch Lenny Rubin. Stuttgart zeigte sich, hatte bis zum 10:9 die Nase vorn. 

Johanssons Freiwurf-Tor zum Pause-17:15

Ein Handballspieler in einem schwarz-weiß gestreiften Trikot bereitet sich auf den Wurf vor, während vier Spieler in gelben Trikots mit erhobenen Armen versuchen, ihn während eines Spiels in einer überfüllten Arena zu blockieren.Nach Pekelers Einwechslung und dem Jubel der Fans ging durch die Kieler Mannschaft ein Ruck. Domagoj Duvnjak vollendete per Tempogegenstoß, Harald Reinkind unterstrich seinen Torhunger mit dem fünften Treffer. Und als Filip Jicha den jungen Rasmus Ankermann ins Rennen schickte, der 18-jährige mit ein wenig Glück zum 15:14 einnetzte, wenig später selbstbewusst zum 16:14 traf, war die Halle ein wenig unter Strom gesetzt. Sie feierte wenig später die jetzt verdiente 17:15-Pausenführung, die Eric Johansson in letzter Sekunde per Freiwurf an der Stuttgarter Mauer vorbei mit raffiniertem Knickwurf erzielte. Der Schwede wurde auf dem Weg in die Kabinen von einer Jubelorgie begleitet.

Stuttgart legt wieder vor

Zwei Spieler in gelben Trikots und ein Spieler in einem schwarz-weiß gestreiften Trikot kämpfen während eines Hallenhandballspiels um einen grünen Ball, während im Hintergrund eine Menge von Zuschauern aufmerksam zusieht.Á Skipagötu, großartig bedient von Reinkind, eröffnete den Torreigen der zweiten Hälfte, per Doppelschlag durch Mengon und Rubin war Stuttgart aber schnell wieder dran. Rune Dahmke war zweimal zur Stelle, Andy Wolff, seit der 24. Minute im Kieler Tor, parierte den Siebenmeter von Kai Häfner, war aber gegen den Nachwurf von Seradilla machtlos. Wieder einmal war also das Glück den Kieler nicht hold. So robbten sich die Gäste wieder heran. Als Vujovic den Strafwurf von Lukas Zerbe in der 45. Minute unschädlich machte, Mengon zum 26:26 einnetzte, die Schiedsrichter zu Unrecht auf Stürmerfoul gegen á Skipagötu entschieden, traf Rubin auf der anderen Seite. Der Schweizer brachte seine gelben Farben in der 46. Minute erneut in Führung. 27:26! "Wir haben uns aber nicht vom Weg abbringen lassen, haben die Ruhe bewahrt", lobte Jicha später seine Mannschaft. 

Coole Zebras holen die Heimpunkte

Ein männlicher Handballspieler in einem weiß-schwarz gestreiften Trikot springt mit erhobenem Arm in die Luft, um einen gelben Ball zu werfen, während des Spiels THW Kiel gegen TVB Stuttgart 33:32 Handball-Bundesliga Saison 2025/2026, mit einer unscharfen Zuschauermenge im Hintergrund.Reinkind tankte sich gegen die TVB-Abwehr durch, Andy Wolff parierte glänzend gegen Rubin, und wenig später traf á Skipagötus Tempogegenstoß den Gast ins Mark. 28:27 für Kiel, nun war endlich auch die Halle da: Wolff parierte gegen den frei vor ihm auftauchenden Lien. Als Eric Johansson einen Hammer unter Stuttgarts Latte zimmerte, Zerbe seinen vierten Siebenmeter eiskalt verwandelte, lagen die Zebras in der 55. Minute mit 31:28 vorn. Die Vorentscheidung? Mitnichten. Die Gäste ließen nicht locker, verkürzten durch Mengon auf 30:32, lagen nach dem folgenden Häfner-Treffer wieder in Reichweite eines Punktgewinnes. Die Zebras nahmen die Unterstützung von den Tribünen auf und fighteten zurück. Dafür wurden sie belohnt: Foul an Petter Överby, Siebenmeter Lukas Zerbe, der eiskalt verwandelt. Niggs schneller Gegentreffer brachte den Sieg nicht mehr in Gefahr: Ruhig spielten die Kieler den letzten Angriff gegen die offene Deckung der Gäste aus, Johansson spielte einen Pass auf Zerbe - die Zeit war abgelaufen. Jubel auf den Tribünen, Jubel auf dem Feld: Die ersten zwei wichtigen Heimpunkte des Weihnachts-Wahnsinns mit sechs Spielen in 16 Tagen waren unter Dach und Fach. 

Zebras reisen zum Top-Spiel nach Lemgo

Eine Gruppe von Männern in schwarz-weißen Sportuniformen und -jacken steht zusammen, hebt die Fäuste und schreit aufgeregt, wahrscheinlich beim Feiern eines Handballspiels. Im Hintergrund ist eine jubelnde Menge zu sehen.Die nächste Aufgabe für die Zebras ist eine Riesen-Herausforderung: Am Sonntag sind sie beim TBV Lemgo Lippe gefordert. Das Team ist aktuell die Mannschaft der Stunde in der stärksten Liga der Welt, schlug zuletzt auswärts die Füchse Berlin und zu Hause die SG Flensburg-Handewitt. Mit nur sieben Minuspunkten - exakt so viele wie der THW Kiel - sind die Ostwestfalen mittendrin im Kampf um die Champions-League-Qualifikation. Eine Entwicklung, die bereits in der Vorbereitung zu erahnen war: In Hard trafen der THW Kiel und Lemgo im Finale des Alpla Sommercups aufeinander, am Ende von 60 hart umkämpfen Minuten hatten die Kieler beim 35:34 hauchdünn die Nase vorn. Inzwischen sind die Lemgoer noch gefestigter, haben in Tim Suton einen überragenden wie torgefährlichen Spielmacher. Die Phoenix Contact Arena wird Sonntag mit 4800 Fans restlos ausverkauft sein, die Zebras erwartet ein echter Hexenkessel. Der mobile THW-Fanshop reist ebenfalls nach Lemgo.  Dyn überträgt das Top-Spiel der DAIKIN HBL live, zudem kann man die Partie bei Bild.de, sportbild.de und "Welt TV" auch im Free-TV sehen. Weiter geht’s in Lemgo, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn 

DAIKIN Handball-Bundesliga, 16. Spieltag: THW Kiel – TVB Stuttgart: 33:32 (17:15)

THW Kiel: Perez de Vargas (1.-20., 1 Parade),Wolff (20.-60., 6/1 Paraden); Duvnjak (1), Reinkind (7), Landin, Överby, J. Dahmke (n.e.), Johansson (4), Ankermann (3), R. Dahmke (2), Zerbe (6/6), Bilyk (n.e.), Pekeler (1), á Skipagötu (6), Imre, Nacinovic (3); Trainer: Jicha
TVB Stuttgart: Kornecki (1 Siebenmeter, keine Parade), Vujovic (1.-60., 11/2 Paraden); M. Häfner (3), Serradilla (1), Lien (5), Pribetic, Snajder, Mengon (4), Röthlisberger, Matzken (3), Zieker (2), K. Häfner (7/2), Rubin(6), Nigg (2); Trainer: Kaufmann

Schiedsrichter: Leonard Bona / Malte Frank
Zeitstrafen: THW: 2 (2x Överby (30., 45.)) / TVB: 4 (2x Röthlisberger (8., 53.), Serradilla (36.), Pribetic (40.))
Siebenmeter: THW: 8/6 (Vujovic hält Imre (8.) und Zerbe (44.)) / TVB: 3/2 (Wolff hält Häfner (43.))
Spielfilm: 2:1 (4.), 3:2, 3:4, 5:4 (10.), 6:6 (12.), 6:8 (14.), 8:10 (15.), 10:10 (18.), 12:13 (22.), 14:13 (24.), 16:15 (30.), 17:15;
2. Hz: 18:15, 18:17 (32.), 21:20 (37.), 23:20 (38.), 24:21, 24:23 (42.), 26:25 (44.), 26:27 (46.), 29:27 (50.), 31:28 (53.), 32:29 (56.), 32:31 (59.), 33:31, 33:32.
Zuschauer: 9720 (Wunderino Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Der TVB spielt sehr unorthodox, die lang ausgespielten Angriffe mit dem vierten Rückraumspieler nehmen einem komplett den Rhythmus. Das ist nicht meine Tasse Tee, aber es ist in Ordnung. Wir wussten, dass uns der TVB in Sachen Geduld und Nerven testen wird – und genauso war es dann auch. Ich habe meine Mannschaft in der Kabine beglückwünscht, dass sie die Geduld bewahrt hat. Dass sie auch nach dem 0:3-Lauf ruhig geblieben ist und mit Teamgeist und Emotionen selbst mit einem 5:1-Lauf geantwortet hat. Wir haben gezeigt, dass wir die Punkte in Kiel behalten wollen. Andi hat uns in den letzten zehn Minuten mit wichtigen Paraden geholfen, zuvor gab es immer, wenn wir einen Ball gehalten haben, noch einen Freiwurf für den Angriff hinterher. Das ist leider eine Krankheit in der Handball-Bundesliga, die man aber leider so akzeptieren muss. Ich habe aber mein Team auch gesagt, dass wir die letzten zwei Angriffe besser gestalten müssen. Die haben wir weggegeben.
Peke war durch das TVB-System, das viel Eins-gegen-Eins-Situationen hervorruft, ununterbrochen gefordert, hat sogar in ein ganz wichtiges Tor erzielt. Ich hatte ihm ehrlicherweise nicht zugetraut, dass er heute so viel helfen kann. Aber er ist ein erfahrener Wolf, der seine Physis aus dem Spiel holt. Nachdem sich Lukas Laube verletzt abgemeldet hatte war ich froh, dass Peke heute von den Ärzten grünes Licht bekommen hat. Er war wichtig, und ich freue mich riesig, dass seine Leidenszeit zu Ende ist. Aber er braucht noch ein wenig Anlaufzeit, und die sollten wir ihm auch gewähren.

TVB-Trainer Misha Kaufmann: Ich habe eine sehr kämpferische Leistung meines Teams gesehen. Es hat nie aufgegeben, nie zurückgesteckt, was uns am Ende die Möglichkeit auf Punkte offen gehalten hat. Wir haben es dann ein bisschen selbst bei unserer eigenen Führung vergeigt, als wir einfache Tore in der 1. und 2. Welle bekommen. Der 1:5-Lauf war zu viel, und es ist natürlich bitter, heute ohne etwas Zählbares hier rauszugehen.

THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler: Nach sechs Monaten zurückzukommen, ist schon etwas Besonderes. Für mich war es ja leider schon das zweite Mal, und ich muss zugeben, dass ich gegen vier Rückraumspieler noch nicht so häufig gespielt habe. Ich musste heute viele Zweikämpfe führen, auch in einer relativ offensiven Ausrichtung. Ich bin froh, dass ich einen Teil zum Sieg beitragen konnte und wieder ein Teil der Mannschaft bin. Ich bin vor zweieinhalb Wochen ins Mannschaftstraining eingestiegen, habe zuvor – als die Jungs auf der Fünf-Tages-Tour waren – meine ersten handballspezifischen Einheiten bei unserem Kooperationspartner TSV Altenholz absolviert. Der Kopf hat sich genau auf diesen Moment heute gefreut, die Wartezeit darauf hat gezehrt. Ich fühle mich aktuell gut und muss jetzt weiter an mir arbeiten, um besser zu werden. Wie lange ich dann auf dem Feld stehe, ist Filips Entscheidung. Heute hat er mir nur auf die Schulter gehauen und gesagt, dass ich dabei bin. Über die Minuten hatten wir – anders als beim ersten Mal – nicht gesprochen. Und das war auch gut so.

THW-Rechtsaußen Lukas Zerbe: Geduld kann man nicht trainieren. Aber heute brauchten wir sie alle. Mitte der zweiten Halbzeit kamen die Emotionen von der Halle, die extrem geholfen haben. Das hat uns noch einmal richtig gepusht. Sonntag erwarte ich einen TBV Lemgo, der auch mit vier Rückraumspieler agiert und das insgesamt sogar noch ein bisschen zäher als Stuttgart spielt.