30:28-Sieg in Montpellier: Zebras holen sich erste Big Points im Topspiel

European League

30:28-Sieg in Montpellier: Zebras holen sich erste Big Points im Topspiel

Der THW Kiel entpuppte sich am Dienstagabend an der südfranzösischen Mittelmeerküste als Party-Crasher für die auf Feiern eingestellten Handball-Fans, gewann seine Auftaktpartie in der Vorrunde  der EHF European League bei Montpellier HB mit 30:28 (16:9) Toren. Nach dem Spiel stieg in der Sud de France Arena ein großes Konzert mit dem französischen Superstar Kendji Girac. Die heimischen Handballer, als Stimmungsmacher in der 9000 Fans fassenden Arena fest eingeplant, mussten sich einer starken Kieler Mannschaft geschlagen geben. Die Zebras sicherten sich mit einem Raketenstart wichtige Punkte gegen den vermutlich stärksten Mitstreiter in der Vorrunde. Die Zähler der beiden Erstplatzierten werden in die folgende Hauptrundengruppe mitgenommen. Vorteil: THW Kiel.

Youngster Nowottny ersetzt verletzt ausgewechselten Wolff

Eine Herren-Handballmannschaft in weißen und schwarzen Trikots kauert auf einem Hallenplatz zusammen, während ein Trainer und ein Betreuer in der Nähe stehen. Ein Fotograf kniet davor, und eine Menschenmenge schaut von der Tribüne im Hintergrund zu.Überschattet wurde der Kieler Erfolg allerdings von einer Rückenverletzung ihres Weltklasse-Torhüters Andreas Wolff. Kiels Keeper, der in der ersten Hälfte mit wichtigen Paraden entscheidend an der frühen hohen Führung beteiligt gewesen war, war nach einer Parade in der 26. Minute am Boden liegen geblieben, konnte mit Schmerzen im Rücken nicht mehr weiterspielen. Nachwuchsmann Leon Nowottny sprang allerdings - unbeirrt von der lauten Kulisse und der großen internationalen Aufgabe - erfolgreich in die Bresche, hielt insgesamt sieben Bälle, und war auch in der engen Schlussphase mit großartigen Paraden ein guter Kieler Rückhalt. Bester Kieler Werfer war ausgerechnet Veron Nacinovic, der Kroate traf an alter Wirkungsstätte sechsmal. Je viermal waren Nikola Bilyk, Eric Johansson und Bence Imre erfolgreich. Für die Gastgeber zeichneten sich Arthr Lenne und Benjamin Richert mit je fünf Treffern aus.

THW ohne Trio und mit angeschlagenem Överby

Mit Hendrik Pekeler (Achillessehne), Gonzalo Perez de Vargas (Kreuzbandriss) und Emil Madsen (Knorpelschaden) drückte erneut fast eine halbe Stammsieben die Verletztenbank beim THW Kiel. Außerdem machten sich die Verantwortlichen Sorgen um Kreisläufer Petter Överby, der sich beim Abschlusstraining einen schweren Pferdekuss einfing. Der Norweger biss aber auf seine Zähne, lief mit auf und hatte Mitte der ersten Halbzeit erste Einsatzminuten zu verzeichnen.

Nacinovic zurück an alter Wirkungsstätte

Drei männliche Handballspieler stehen auf einem Hallenplatz, unterhalten sich und lächeln. Einer hält einen Handball in der Hand, ein anderer trägt ein lila Trikot, und die Tribünen hinter ihnen sind fast leer.Ein besonderes Ereignis war die Partie vor allem für Veron Nacinovic: Kiels kroatischer Neuzugang spielte in der vergangenen Saison noch am Mittelmeer, trug vier Jahre das Trikot des einstigen Champions-League-Siegers, jener legendären Mannschaft, der auch die ehemaligen THW-Stars Nikola Karabatic und Thierry Omeyer angehörten. Vergangenheit. Veron Nacinovic genoss sichtlich seine Rückkehr an die alte Wirkungsstätte, eröffnete die bärenstarke THW-Startphase auch mit seinem Treffer vom Kreis zum 1:0. Das Zuspiel kam von Eric Johansson, der sich mit Nikola Bylik die Mittelmannrolle teilte. Trainer Filip Jicha hatte überraschend auf Elias Ellefsen á Skipagötu verzichtet, Kiels Shooting-Star der vergangenen Wochen saß 60 Minuten auf der Bank. Es klappte auch ohne den schnellen Färinger, die Zebras überrannten die Gastgeber in der Anfangsphase geradezu. Die Abwehr kämpfte um jeden Ball, um jeden Zentimeter. Vorne stürzten die Kieler Montpelliers Abwehr mit Kreuzungen und schnellen Ballwechseln von einer Verlegenheit in die andere.

Gnadenlose Anfangsphase des Rekordmeisters

Ein lächelnder Handballspieler in einem weißen Trikot mit der Nummer 6 feiert mit seinen Mannschaftskameraden auf dem Spielfeld, umgeben von anderen Spielern und unscharfen Zuschauern im Hintergrund.Torhunger zeigte zunächst vor allem Harald Reinkind, der bis zum 6:1 in der achten Minute dreimal erfolgreich war, mit Krachern aus dem halbrechten Rückraum entscheidend an der frühen Führung beteiligt war. Sehenswert in dieser Phase auch das gute Auge von Rune Dahmke, der Bence Imre nach vorne stürmen sah und den jungen Rechtsaußen mit einem langen, genialen Pass bediente. Imre netzte sicher zum 3:1 ein. Auch eine frühe Auszeit von HB-Coach Erick Mathe und die fragwürdige Zeitstrafe gegen Kapitän Domagoj Duvnjak konnten den THW-Express nicht bremsen. Eric Johansson traf aus dem Rückraum, glänzte vor allem als Anspieler, und nach Toren von Nacinovic und Lukas Laube waren die Zebras nach zwölf Minuten auf 9:3 davongaloppiert.

Starke Abwehr und Spielübersicht

Und die Gastgeber? Hatten bis auf Anspiele an den Kreis und die Tore von Nationalspieler Arthur Lenne nur wenig zu bieten, rannten sich im überragenden Kieler Abwehr-Gestrüpp mit dem Mittelblock Nacinovic/Laube und dem großartigen Andi Wolff als letzter Instanz immer wieder fest. Großartig dann das erneute Kontertor von Bence Imre nach prima Bodenpass über die gesamte Hallenlänge von „Dule“ Duvnjak. Sehenswert der Kracher unter die Latte von Nikola Bilyk nach drei Kreuzungen im Rückraum. Montpelliers Abwehrspieler zuckten mit den Schultern, auf den Zuschauertribünen jubelten nur einige wenige Fans in Weiß, die die 1400 Kilometer mit dem Campingbus in den Süden Europas auf sich genommen hatten.

Torhüter-Vorteil beim THW Kiel

Ein Trainer in einem grauen Polohemd steht am Rande einer Hallensportveranstaltung und zeigt den Daumen nach oben, während Spieler und Zuschauer das Geschehen beobachten. Das Publikum sitzt in Sitzreihen im Hintergrund.Der Unterschied beider Teams drückte sich auch beim Zählen der Torhüterparaden aus. Andi Wolff kratzte um die 20. Minute bereits an der zehnten Parade, sein Gegenüber, Frankreichs Nationaltorhüter Remi Desbonnet ballte seine Faust nach der ersten Parade im Spiel erst in der 18. Minute. Hätten Kiels Lukas Laube oder Veron Nacinovic ihre klaren Konterchancen genutzt, wären die Zebras mit einem noch klareren Vorsprung in die Kabinen gegangen. Letztlich stand der 16:9-Halbzeitstand auf dem Arena-Würfel. 

Montpellier schließt auf

Die Kieler kehrten unbeeindruckt aufs Parkett zurück: „Dule“ Duvnjak erhöhte auf 17:9, Leon Nowottny ließ seine nächste Parade folgen. Bis zum 20:12 in der 36. Minute hielten die Kieler den starken Gegner, der in der französischen Liga noch verlustpunktfrei ist, außerdem Sieger im Supercupspiel gegen Paris Saint-Germain geblieben war, auf Abstand. Dann legten die Gastgeber plötzlich einen überraschenden Zwischenspurt aufs Parkett, bestraften technische Fehler des THW und waren nach 40 Minuten mit einem 6:0-Lauf und dem Doppelschlag von Richert zum 18:20 wieder auf Augenhöhe.

Erste internationale Tore für Jesse Dahmke

Mehrere männliche Athleten in Sportuniformen klatschen sich auf einem Hallenplatz gegenseitig ab. Ein Spieler, der die Nummer 15 trägt, steht in der Mitte, und im Hintergrund sind unscharfe Zuschauer und leere Plätze zu sehen.Die Kieler aber hatten Antworten: Nach einer Zeitstrafe gegen Harald Reinkind schenkte Filip Jicha seinem Nachwuchsmann Jesse Dahmke das Vertrauen, und der Cousin von Linksaußen Rune nutzte seine Chance, blieb cool und war mit zwei sehenswerten Toren am Kieler Zwischenspurt beteiligt. Drei Paraden von Leon Nowottny halfen ebenfalls. Nach 45 Minuten war der THW wieder auf 25:19 enteilt. Als Domagoj Duvnjak mit einer gekonnten Unterarm-Schleuder in der 47. Minute zum 26:20 traf, war der Kieler Sieg wieder greifbar. In der Schlussphase verkürzte Villeminot noch einmal auf 26:27, doch Rune Dahmke und Veron Nacinovic konterten, Leon Nowottny packte eine großartige Parade gegen Lemme drauf – und am Ende jubelten die Party-Crasher aus Kiel. Ein wichtiger Sieg auf Europa-Ebene war unter Dach und Fach, Montpellier HB trauerte, kassierte seine erste Saison-Niederlage.

Verzögerte Rückreise vor dem Kracher vs. Meslungen

Nicht zum perfekten Abend der Zebras passte indes das Wetter in Deutschland. Wegen dichten Nebels wurde der Rückflug der Kieler abgesagt, so blieben sie eine Nacht länger als geplant in Südfrankreich. Mittwochmorgen geht es nun gen Heimat, denn die nächste schwere Aufgabe wartet bereits auf die Zebras: Am Samstag empfängt der THW Kiel die MT Melsungen zum Topspiel in der eigenen Arena. Die Melsunger entledigen sich nach und nach ihrer Verletzungssorgen und haben sich nach einem holprigen Start längst gefangen. Jetzt liegen die Nordhessen in Lauerstellung und wollen unbedingt ihren Vorjahres-Erfolg in Kiel wiederholen. Auf den THW Kiel kommt nach dem Derby in Flensburg und dem harten Spiel in Montpellier das dritte Spiel innerhalb einer Woche gegen eine physisch unglaublich starke Mannschaft zu, weswegen Domagoj Duvnjak & Co. auch auf die Unterstützung ihrer „weißen Wand“ setzen: „Wenn unsere Tribüne richtig Gas gibt, beeindruckt das den Gegner und setzt bei uns Energien frei“, so Duvnjak. Für die Partie gibt es nur noch Resttickets unter www.thw-tickets.de, bei CITTI und in der THW-FANWELT, die Samstag durchgehend von 10 Uhr bis zum Anpfiff um 20 Uhr geöffnet hat. Der Zweitmarkt mit Karten von Fans für Fans  ist bereits geöffnet. Weiter geht’s gegen Melsungen, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Montpellier HB

EHF European League, Gruppenphase, 1. Spieltag: Montpellier HB (FRA) - THW KIEL: 28:30 (9:17) 

Montpellier HB: Bolzinger (31.-60., 8/1 Paraden), Desbonnet (1.-30., 5 Paraden, 1 Tor); Simonet, Villeminot (2), Srna (2), Moraes, Thurin (3/1), Casado (2), Lenne (5), Richert (4), Monte dos Santos (2), Caille, Porte, Balaguer (1), Plantin, Prat (2); Trainer: Mathé
THW Kiel: Nowottny (27.-60., 8 Paraden), Wolff (1.-27., 7 Paraden); Duvnjak (3), Reinkind (3), Landin (n.e.), Överby, J. Dahmke (2), Laube (2), Johansson (4), Ankermann (n.e.), R. Dahmke (2), Zerbe (n.e.), Bilyk (4), á Skipagötu (n.e.), Imre (4), Nacinovic (6); Trainer: Jicha

Schiedsrichter: Peter Horvath / Balazs Marton (HUN)
Zeitstrafen: MHB: 2 (Lenne (42.), Richert (56.)) / THW: 4 (Duvnjak (9.), Överby (17.), Reinkind (41.), Bilyk (58.))
Siebenmeter: MHB: 1/1 / THW: 1/0 (Bolzinger hält Imre (38.))
Spielfilm: 1:1 (1.), 1:6 (8.), 3:9 (12.), 5:9 (11.), 6:10, 6:13 (18.), 8:13 (24.), 9:14, 9:16 (28.); 
2. Hz.: 11:18, 12:20 (36.), 18:20 (39.), 18:22 (41.), 19:25 (45.), 20:26, 23:26 (49.), 23:27, 26:27 (52.), 26:29 (54.), 27:30 (59.), 28:30.
Zuschauer: 6000 (Sud de France Arena, Montpellier (FRA)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Dieses Spiel war geil. Montpellier ist einer der größten Vereine im Vereinshandball mit einer großen Tradition, und für diese Spiele wird man Handballer. Wir sind gut ins Spiel gestartet, rund um die 36. Minute haben wir dann einen Negativ-Lauf. Und dann begann genau die Arbeit, die ich immer anspreche. Dagegen zu halten, wenn man müde und komplett übersäuert ist, den Kopf oben zu behalten. Dass wir das Spiel dann so gewonnen haben, macht mich sehr stolz. Elias hat zuletzt viel gespielt, er muss wieder an seinem Körper arbeiten. Ich freue mich, dass der Matchplan mit Niko aufgegangen ist, und ich freue mich für Jesse und Leon, die ihr erstes internationales Spiel für uns bestritten haben. Beide haben sich das mit ihrem Einsatz im Training verdient.

Montpellier-Trainer Erick Mathé: Es war ein hartes Spiel für uns in der ersten Halbzeit. Kiel hat mit großer Intensität und Energie gespielt, wir haben hingegen zu oft den Ball verloren und die Präzision vermissen lassen. Sieben verlorene Bälle in 30 Minuten ist einfach zu viel. Wir hatten diese Situation nicht erwartet, und es war nicht leicht, in der Pause den Spirit wiederzufinden. Stolz bin ich auf unsere zweite Hälfte, in der wir so gespielt haben, wie wir es uns vorgenommen hatten.

THW-Toptorschütze Veron Nacinovic: Erst einmal möchte ich meine Mannschaft zu den zwei Punkten beglückwünschen. Ich habe lange hier gespielt und weiß, wie hart es für das Auswärtsteam ist, in dieser Halle zu gewinnen. Ich bin sehr froh, dass wir gewonnen haben. Und ich bin auch zufrieden mit meiner Leistung in der Abwehr und im Angriff. Vorne habe ich gut getroffen, aber meine Tore sind immer ein Gesamtprodukt der Mannschaft.

THW-Torhüter Leon Nowottny: Ich habe mich sehr auf das Spiel gefreut: das erste Mal Montpellier, das erste Mal international unterwegs mit dem THW Kiel. Dass der Tag aber so enden würde, das hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt. Ich freue mich extrem, dass wir mit zwei Punkten zurück nach Kiel reisen können. Ich konnte dem Team dabei sogar helfen, das freut mich umso mehr. Ein richtig gutes Gefühl.

THW-Regisseur Nikola Bilyk: Es hat heute richtig Spaß gemacht. Es war alles andere als eine leichte Aufgabe. Wir haben die erste Halbzeit überragend gestaltet und wirklich guten und schönen Handball gespielt. Auch in der Abwehr standen wir richtig gut. In der zweiten Halbzeit hat man gemerkt, dass bei uns irgendwann die Kraft gefehlt hat. Dann wirst du unkonzentriert, machst blöde Fehler und schmeißt die Bälle weg. Das wird dann bestraft. Montpellier hat einen unglaublichen Kader, auf jeder Position sind bei denen zwei, drei Topspieler. Sie haben rotiert ohne Ende, gefühlt hatten sie in jeder Minute eine frische Mannschaft auf dem Feld. Das hat ihnen gemeinsam mit der Halle ermöglicht, noch einmal zurückzukommen. Aber wir nehmen die Punkte mit, das war unser Ziel und darüber freue ich mich richtig.