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KN: “Hier regiert der THW”

Bundesliga

KN: "Hier regiert der THW"

Kiel. Preisfrage: Worauf haben die Kieler Handball-Fans nach dem Gewinn der 20. Meisterschaft des THW Kiel am meisten hingefiebert? Auf den Moment, als die Schale überreicht wird? Natürlich! Auf die Worte des Kapitäns Filip Jicha zum Saisonabschluss und die Augenblicke des Abschieds der scheidenden Spielern? Auch, sicher? Aber DIE Frage war dann doch: In welchem Outfit kommt die Mannschaft? Seit der THW Meisterschaften nicht nur gewinnt und feiert, sondern diese Glücksmomente mit Zehntausenden Fans zelebriert, seitdem wird um die Kleiderfrage ein großes Geheimnis gemacht, das erst auf dem Rathaus-Balkon gelüftet wird.

Handballmeister übernahm in Frack und Zylinder das Kieler Rathaus

Und diesmal staunte auch Kiels Oberbürgermeister nicht schlecht, als die Riege der breitschultrigen Riesen in Frack und Zylinder den langen Flur im Rathaus zum Dienstzimmer des OB hinunter stolziert kam. Dr. Ulf Kämpfer blickte an sich herab und stellte schmunzelnd fest: "Da hätte ich mich vielleicht doch nicht umziehen sollen." Der OB hatte den hochoffiziellen Zwirn, den er zuvor bei der Tauffeier der "Mein Schiff 4" getragen hatte, gegen ein legeres Sakko getauscht. Tatsächlich fühlte er sich aber nicht underdressed, sondern pudelwohl mit dem Blick auf die frisch gekürten Meister: "Vor vier Tagen habe ich das Holstein-Drama in München miterlebt, und beim THW-Spiel in Hannover habe ich zwischenzeitlich gezittert, ob das noch schief geht. Aber jetzt kann man feststellen: Diese Meisterschaft ist hart erarbeitet und hoch verdient."

Zebras glänzten auch als Tänzer und Stage-Diver

Und dann musste der OB kurzzeitig die Amtsgeschäfte abgeben, denn Zeremonien-Meister Dominik Klein brüllte im Stakkato per Megafon über den Flur, wer in den kommenden Stunden das Sagen haben würde: "Hier regiert der THW! Hier regiert der THW!" Den Frackträgern in seinem Gefolge mag man dem Anlass der runden Meisterfeier und der Regierungsübernahme angemessene Kleidung herausgelegt haben, nicht jeder aber machte darin tatsächlich eine gute Figur. Während einigen der Zylinder auf dem Kopf saß, als seien sie einer Slapstick-Komödie entsprungen, hätten andere in einem Western auch sehr gut Protagonisten mit zweifelhaften Berufen geben können. Und Joan Canellas trieb die Groteske auf die Spitze, da er einen Besen mit sich führte, der mit einer schwarz-weißen Ringelmütze geschmückt war. Im Sommer aus Hamburg an die Förde gewechselt hatte der Spanier sich schon Tage vorher auf diese Feier gefreut. Eine Mini-Kamera am Stock oder sein Smartphone waren ständig im Einsatz. Sie hielten den Augenblick fest, als Trainer Alfred Gislason nach kurzen Worten an die Fans seinen Zylinder in die Menge feuerte, als die Mannschaft den Balkon betrat und die TV- und Fotokameras der Journalisten surrten und klickten und schließlich als das Team die Schale in die Luft hob und Zehntausend auf dem Rathausplatz in Jubel ausbrachen.Danach hielt sich der THW gar nicht lang mit Reden auf, sondern steuerte direkt auf die Bühne mitten im Getümmel zu. "Ich gucke seit zehn Jahren hinauf, jetzt schaue ich mal, wie es von der anderen Seite aussieht", freute sich Dahmke und schob alle Zweifel über den eigenen Auftritt weg: "Frack und Zylinder werden schon über die eigene Performance hinweghelfen."

Dem 22-Jährigen kann bescheinigt werden, dass er eine ausgesprochen gute Figur machte. Vor allem aber, als er sich des Fracks entledigte und zum Stage-Diving ansetzte. Bereitwillig drängte sich die Masse zusammen, um den nur noch mit Hose bekleideten Dahmke auf Händen zu tragen. Auch die scheidenden Spieler genossen diese besondere Feier: "Das ist unglaublich geil. Wie lange ich heute feiern werde? Das kann ich dir erst morgen sagen", sagte Rasmus Lauge. Und Henrik Lundström bewies bei seinem Comeback, dass er auch auf der Bühne nichts verlernt hat: "Neuzugang? Das ist schön. Da fühle ich fühle mich wieder jung. Ein ganz großes Dankeschön an Kiel, ich hoffe, ich habe etwas helfen können. Dieser Moment ist unglaublich toll. Meine Familie ist hier, und meine Kinder, die jetzt etwas größer sind, können das richtig genießen."

Genießen konnten auch die Spieler des TBV Lemgo. Trotz Niederlage dem Abstieg entronnen, mischten sie sich unter das Partyvolk. Sie sahen Steffen Weinhold und Dahmke als Hip-Hopper, Canellas mit einem Bühnen-Ritt auf seinem Besen-Pferd, Steinar Ege mit dem Party-Renner "Country Roads", in den die Menge stimmgewaltig einstimmten, und Aron Palmarsson, der seine verdutzte und schüchterne Schwester auf die Bühne zerrte und "Satellite" zum Besten geben ließ. Ein sichtlich mitgenommener Andreas Palicka sorgte kurzzeitig bei seiner letzten THW-Partynacht für etwas Wehmut mit "Mamor, Stein und Eisen bricht", doch dann wurde wieder wild gefeiert. Und erst weit nach der ordnungsamtlich verordneten Polizeistunde kehrte Ruhe ein - mit einem Extra-Auftritt von Canellas. Der Spanier erkannte die wahre Bestimmung seines Besens und fegte als Letzter die Bühne. (Von Ralf Abratis, aus den Kieler Nachrichten vom 08.06.2015, Fotos: Sascha Klahn)