Dein Stück Sportgeschichte: THW-Boden geht in Rente
In Kiel wird auf Holz gespielt
Von den Gegnern gefürchtet, von den THW-Spielern nach kurzer Eingewöhnungs-Zeit geliebt: der Handball-Boden in der Sparkassen-Arena. Auf ihm wird Handball gearbeitet, auf ihm wird der Handball zelebriert. Doch nirgendwo sonst in der DKB Handball-Bundesliga ist die Landung nach einem gelungenen Torwurf härter als in Kiel. Denn die Bretter, die für Handballer die Welt bedeuten, sind tatsächlich welche. In Kiel wird auf Holz gespielt. Nicht auf einem modernen Schwingboden, sondern auf lackierten Holzbrettern. Vor und nach den Spielen des Rekordmeisters werden diese von rund zehn Mitarbeitern des Konzertdienstes Dreibach zu einem Handballfeld zusammengefügt oder wieder im Lager verstaut. Gut vier Stunden dauert der Prozess, die Multifunktionshalle Sparkassen-Arena mit ihrem steinernen Boden in den "Kulttempel" des THW Kiel zu verwandeln. Mehr als 300 drei Meter lange und 80 Zentimeter breite Platten müssen zusammengesteckt und ausgerichtet werden, bis der erste Ball geworfen werden kann. Im Sommer ist nun Schluss mit dieser Prozedur - der Handballboden des THW Kiel wird nach dem ersten Pflichtspiel (!) der DHB-Auswahl in Kiel in Rente geschickt.
Ungewöhnlicher Bodenbelag
Bedauern werden dies viele der THW-Spieler, die auf dem aktuellen Untergrund ihre größten Triumphe gefeiert haben. "Mit unserem Boden führen wir in jedem Spiel mit 2:0", ist ein geflügelter Satz bei altgedienten THW-Stars. Denn bis der Gegner sich auf den ungewöhnlichen Bodenbelag eingestellt habe, so die Theorie, könne es etwas dauern. Das gilt im Übrigen auch für die Neuzugänge der "Zebraherde": Auch sie benötigen in jedem Jahr einige Zeit, um mit dem Holzparkett in ihrem eigenen "Wohnzimmer" zurecht zu kommen.
Titel, Tränen und Triumphe
Könnte der Kieler Hallenboden reden, er hätte viele Geschichten von Titeln, Tränen und Triumphen zu erzählen. Im Sommer 2000 wurde er erstmals verlegt und ist damit älter als der vierte Rang. Als die "neue" Sparkassen-Arena nach ihrem umfassenden Umbau am 22. September 2001 beim 30:28-Erfolg gegen den SC Magdeburg eingeweiht wurde, spielten Magnus Wislander, der neunfache Torschütze Stefan Lövgren, Staffan Olsson und Co. bereits ein Jahr auf dem damals noch grün angestrichenen Boden. Den insgesamt zehnten deutschen Meistertitel feierten sie allerdings am Ende der Saison nicht in ihrem "Wohnzimmer", sondern ausgerechnet in der neuen Arena des Erzrivalen: Mit 26:24 gewannen die "Zebras" damals in Flensburg und sicherten sich dort den Titel.
Erste Titelfeier für den Boden ließ auf sich warten
EHF-Pokal-Gewinn gegen Altea
Die erste große Titel-Sektdusche erlebte der THW-Hallenboden am 24. April 2004: Mit dem 27:19-Erfolg im EHF-Pokal-Final-Rückspiel gegen BM Altea holten die "Zebras" damals den Pott nach Kiel, und ein Meer aus schwarz-weißen Luftballons färbte den Boden in den THW-Vereinsfarben. Dann, zwei Jahre später, war es endlich soweit: Der THW Kiel feierte am drittletzten Spieltag vor den eigenen Fans gegen Lemgo den vorzeitigen Titelgewinn, am letzten Spieltag der Saison gab es in der Sparkassen-Arena die große Sause mit dem Überreichen der Meisterschale. Ein erster historischer Termin, zogen die Kieler doch mit dem zwölften Titel mit dem bisherigen Rekordmeister VfL Gummersbach gleich.
Rekordmeister und Europas bester Club
Überholt wurde der VfL dann im denkwürdigen Jahr 2007: Mit einem 34:28-Sieg gegen die HSG Nordhorn holten sich die Kieler auf „ihrem“ Hallenboden nicht nur die 13. Meisterschaft und damit den inoffiziellen "Rekordmeister"-Status, sondern sicherten sich auch den ersten Triumph in der Champions League - im dramatischen Final-Rückspiel gegen den Erzrivalen aus Flensburg versenkte Kim Andersson wenige Sekunden vor dem Abpfiff den Ball zum entscheidenden 29:27-Sieg, wurde dann von einer Traube "Zebras" auf dem Boden begraben, und der große Traum vom Gewinn der Königsklasse war Wirklichkeit geworden. Im Funkenregen stemmte Stefan Lövgren den lang ersehnten Pokal in die Luft. Direkt auf dem Hallenboden begann dann eine der längsten Partynächte Kiels, die erst nach dem Pokalsieg und der später gewonnenen Meisterschaft in einer gigantischen Triple-Sause auf dem Rathausplatz endete.
68:0-Saison
Diese wurde wohl nur noch einmal übertroffen. Von einem Ereignis, das auf ewig mit dem THW Kiel in Verbindung gebracht werden wird: Im Jahr 2012 hatte der THW Kiel bereits den DHB-Pokal gewonnen, in der "VELUX EHF Champions League" den dritten Triumph gefeiert und fünf Spieltage vor dem Saisonende die Meisterschaft klar gemacht. Doch mit dem 39:29 gegen Gummersbach am letzten Spieltag krönten sich die Kieler "Zebras" auf ihrem Hallenboden zu den "Überfliegern": Der Sieg gegen den VfL war der letzte Baustein zur perfekten Saison. Nie zuvor hatte eine Mannschaft im deutschen Profi-Ballsport eine Bundesliga-Spielzeit ohne Punktverlust bestritten.
Ein echtes Stück Sportgeschichte
Die 68:0-Triplesaison, perfekt gemacht am 2. Juni 2012, ging genauso in die Geschichtsbücher ein wie der bisher letzte Triumph auf den Brettern, die die Handball-Welt bedeuten: Im vergangenen Jahr erlebte der Kieler Hallenboden eine unglaubliche Torejagd, die am Ende in der knappsten Meisterschaftsentscheidung aller Zeiten und in einer großen Party mit Konfetti, Sekt-Bierdurschen und völlig ausgelassen jubelnden "Zebras" endete. Mit nur zwei Toren Vorsprung sicherten sich die Kieler den 19. Titel vor den Rhein-Neckar Löwen - und auch in diesem Jahr feierten die "Zebras" auf den Brettern, die die Handball-Welt bedeuten: Mit dem 20. deutschen Meistertitel verabschiedet sich ein echtes Stück Sportgeschichte in den Ruhestand.