Mit Wille, Energie und der Ostseehölle: THW Kiel besiegt Hannover im Top-Spiel
Der extrem ersatzgeschwächte THW Kiel schwimmt weiter auf einer Erfolgswelle. Nach dem Auswärtserfolg vom Sonntag beim heimstarken ThSV Eisenach ließen es die Zebras am Mittwochabend in der Heimat auch gegen den Mit-Tabellenführer TSV Hannover-Burgdorf krachen. Die Kieler gewannen die Spitzenpartie der DAIKIN Handball-Bundesliga hochverdient mit 28:24 (18:12), fügten den Gästen nach zwölf Spielen wieder eine Niederlage bei und rückten den Niedersachsen in der Tabelle bis auf zwei Punkte auf den Pelz. Die „weiße Wand“ verwandelte die Wunderino Arena wie zu früheren Zeiten in eine wahre „Ostseehölle“ und half den Zebras mit ihrem entfachten Druck, den mit Willen, Leidenschaft und letztem Einsatz erkämpften souveränen Erfolg über die Zeit zu bringen.
Überragender Duvnjak
Überragende Akteure der bis zum letzten Tropfen Energie kämpfenden "letzten Mohikaner" auf dem Parkett waren Kapitän Domagoj Duvnjak und Torhüter Andreas Wolff, der den Gästen mit insgesamt 14 Paraden den Zahn zog und der eigenen Mannschaft mit seinen Glanztaten viel Energie einflößte. Energie, die erneut auch Kapitän Duvnjak zu einer überragenden Leistung führte. Der einzig verbliebene THW-Spielmacher zauberte erneut ein Traumspiel aufs Parkett. Der 36-Jährige war auffälligster Akteur auf dem Feld, erzielte selbst sieben Tore, holte Siebenmeter heraus und war in einer hart geführten ersten Hälfte phasenweise nur mit rüden Fouls zu bremsen. So auch in der 24. Minute, als Hannovers Linksaußen Vincent Büchner dem THW-Kapitän unfair bremste und nach Video-Beweis die Rote Karte sah.
Wislander begeistert von seinen Nachfolgern
Die vielleicht wichtigste seiner Paraden gelang Andreas Wolff wohl in der 50. Minute, als die Gäste einen Sieben-Tore-Rückstand auf 20:24 verkürzt hatten und Rechtsaußen Marius Steinhauser, mit acht Treffern bester TSV-Torschütze, am Kreis frei vor Wolff auftauchte - und scheiterte. Die Gäste erstarrten, "Dule" Duvnjak antwortete mit zwei Soli zum 26:20 und sorgte nach 53 Minuten praktisch für die Vorentscheidung. Magnus Wislander, Kiels inzwischen 60-jährige schwedische Handball-Legende, war Zeuge der Partie. Er fiel Duvnjak nach den 60 hochklassigen Handball-Minuten freudestrahlend in die Arme. "Einfach großartig", sagte Wislander mit einem breiten Lachen im Gesicht. "Die erste Halbzeit war das Beste, was ich seit Jahren gesehen habe. Die Jungs haben clever, schnell und souverän ihr Ding durchgezogen. Abwehr top, Angriff super mit viel, viel Tempo. Alles hat gestimmt. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht."
Zebras mobilisieren eh schon strapazierte Reserven
Während Gästetrainer Christian Prokop auch in Kiel personell aus dem Vollen schöpfen durfte, pfeift der Kader von Filip Jicha nahezu auf dem letzten Loch: Zu den drei bereits länger verletzten Rückraum-Assen Harald Reinkind (Fersen-OP), Elias Ellefsen á Skipagötu (Wurfschulter) und Nikola Bilyk (Oberschenkel) gesellte sich nach dem Sieg in Eisenach auch noch Abwehrchef Hendrik Pekeler, der einen Sehnenriss im Daumen beklagt. Die verbliebenen gesunden Zebras müssen also noch weiter zusammenrücken, bis zur Winterpause alle eh schon arg strapazierten Reserven mobilisieren. Und das Team von Filip Jicha war von Beginn an mit allen Sinnen dabei, kämpfte, rannte, verdichtete die Abwehr und zeigte vor allem wieder ausgiebigen Torhunger.
Hannover verzweifelt an Kieler Abwehr
Erneut legten die Zebras einen Start nach Maß hin, Andreas Wolff hatte schon nach sieben Minuten vier Paraden auf seinem Konto. Rune Dahmke und Emil Madsen waren zur Stelle, brachten die Kieler früh mit 4:1 nach vorn.
Auf der anderen Seite hatte sich die THW-Abwehr vor allem gut auf die beiden Haupttorschützen der Gäste, Renars Uscins und Justus Fischer eingestellt. „Tormaschine“ Uscins brachte es im ersten Abschnitt auf lediglich zwei Tore, wurde nach einer provozierten Zeitstrafe gegen Wiencek zudem gnadenlos ausgepfiffen. Fischer war sogar nur einmal erfolgreich. Auch das war das Ergebnis der trotz des Pekeler-Fehlens erneut bärenstark auftrumpfenden THW-Abwehr: Patrick Wiencek und Petter Överby ackerten im Mittelblock, Eric Johansson, Duvnjak und Magnus Landin räumten auf den Halbpositionen ab. Die sonst so treffsicheren Hannoveraner fanden kaum Mittel, die "Recken" von der Tabellenspitze verzweifelten an der Kieler Abwehr.
Sechs-Tore-Führung zur Pause
Und vorne wirbelten alle Kieler Angreifer. Johansson traf aus dem Rückraum, Rune Dahmke und Lukas Zerbe waren von den Außenpositionen erfolgreich. Außerdem fand Kiels Neuzugang Emil Madsen wieder die Lücken in der TSV-Abwehr, traf in der ersten Halbzeit viermal trocken ins Hannoveraner Tor. Nach einem Ballklau mit folgendem Tempogegenstoß brachte "Dule" seine Farben in der 14. Minute mit 9:5 in Führung: Als Madsen wenig später auf 10:5 erhöhte, nahm Prokop seine erste Auszeit, hatte mit der Maßnahme kurz Erfolg, Hannover verkürzte durch Büchner und Steinhauser auf 7:10. Die Zebras aber blieben auf Kurs, ließen sich nicht beirren. Auch nicht von einigen zweifelhaften Schiedsrichterpfiffen, die die "Ostseehölle" endlich wieder richtig zum Glühen brachte. Lukas Zerbe, Bence Imre per Siebenmeter und der trockene Hammer von Emil Madsen ließen die Zebras auf 17:11 davoneilen, der Däne war dann auch zum 18:12 erfolgreich. Halbzeit.
Kieler Kräfte schwinden
Steinhauser eröffnete die zweiten 30 Minuten dann mit seinem fünften Tor von Rechtsaußen. Der Start in den zweiten Abschnitt aber gehörte erneut den Kielern, die durch Madsens Aufsetzer, den sicher verwandelten Siebenmeter von Imre und Johanssons Tor mit 21:14 in Führung gingen. 36 Minuten waren gespielt. Die Gäste bemühten sich, bissen aber auf Kieler Abwehr-Beton und verzweifelten an Andi Wolff. Der entnervte vor allem seinen Nationalmannschaftskollegen Uscins, der nie zur befürchteten Gefahr für das Kieler Tor wurde. Auf der anderen Seite kämpften die Zebras um jedes Tor. Imre krönte seine eiskalte, und gleichsam begeisternde Leistung mit dem Treffer zum 24:17. Prokop nahm die nächste Auszeit. Mit Erfolg: Hannover zauberte in zwei Minuten einen 3:0-Lauf aufs Parkett, pirschte sich in der 50. Minute auf 20:24 heran. Die Akkus der Zebras liefen da schon gen Reserve.
Tollhaus Wunderino Arena
Denn auch das Wurfglück schien ein wenig auf die andere Seite zu kippen. Wiencek traf nur den Pfosten, Dahmke nach Einläufer die Latte. Der Hexenkessel schnappte kurz nach Luft, um dann wieder Vollgas zu geben: Wolff hielt gegen Steinhauser, Duvnjak traf doppelt. Imre ackerte auch hinten und klaute Ball um Ball, die Fans auf den Tribünen tobten. In den 60 Minuten hatte es sie immer wieder aus den Sitzen gerissen, die lezten Minuten stand jeder in der Arena, um die letzten Kräfte der Kieler zu mobiliseren. Das Zusammenspiel klappte: Als Dunvjak seine Weltklasse-Leistung in der 54. Minute mit einen Unterarmwurf krönte, war das Spiel endgültig entschieden. Madsen jagte den Ball mit 115 km/h zum 28:22 in die Maschen - der schwarz-weiße Schlusspunkt unter eine grandiose Leistung. Die Wunderino Arena blieb noch viele Minuten nach dem Abpfiff ein Tollhaus.
Samstag in Leipzig, Donnerstag das "Finale vor dem Final4"
Weiter geht’s mit der nächsten schwierigen Herausforderung: Am Samstag ist die dezimierte Zebraherde zu Gast beim heimstarken SC DHfK Leipzig. Anwurf in der ausverkauften Leipziger Arena ist um 16 Uhr, Dyn überträgt live. Das Spiel ist zudem im Free-TV im MDR-Fernsehen zu sehen. Nach dem Kampf um wichtige Liga-Punkte, dem dritten Spiel innerhalb von sechs Tagen, richtet sich dann der Fokus auf das „Finale vor dem Final4“: Am Donnerstag, 19. Dezember, empfängt der THW Kiel im Viertelfinale des DHB-Pokals den starken VfL Gummersbach. Eintrittskarten für das K.o.-Spiel am ersten Ferientag, das um 19 Uhr angepfiffen wird, sind noch unter www.thw-tickets.de , bei CITTI sowie in der THW-FANWELT erhältlich. Weiter geht’s gegen aber erst einmal in Leipzig, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
DAIKIN Handball-Bundesliga, 14. Spieltag: THW Kiel - TSV Hannover-Burgdorf: 28:24 (18:12)
THW Kiel: Mrkva (1 Siebenmeter, keine Parade), Wolff (1.-60., 14 Paraden); Duvnjak (7), Landin, Överby, Wiencek (1), Pabst, Johansson (4), Dahmke (2), Zerbe (3), Kutz, Madsen (6), Imre (5/4); Trainer: Jicha
TSV Hannover-Burgdorf: Gade (31.-60., 2 Paraden), Birlehm (1.-30., 7 Paraden); Poulsen (1), Uscins (3), Steinhauser (8/1), Michalczik, Kulesh, Evardsson (1), Gerbl, Stutzke (5), Hanne, Solstad (2), Fischer (1), Feise (2), Ayar, Büchner (1); Trainer: Prokop
Schiedsrichter: Martin Thöne / Marijo Zupanovic
Zeitstrafen: THW: 4 (Duvnjak (14.), Wiencek (21.), Johansson (38.), Överby (41.)) / TSV: 3 (Steinhauser (22.), Edvardsson (39.), Stutzke (52.))
Rote Karte: Büchner (TSV, grobes Foulspiel (24.))
Siebenmeter: THW: 4/4 / TSV: 1/1
Spielfilm: 2:0, 4:1 (9.), 5:3, 7:3 (11.), 8:5 (13.), 10:5 (16.), 10:7, 12:9 (20.), 14:9 (23.), 15:11, 17:11 (29.), 18:12;
2. Hz: 19:14 (33.), 21:14 (36.), 22:25, 22:17 (41.), 24:17, 24:20 (50.), 26:20 (53.), 28:22 (55.), 28:24.
Zuschauer: 9861 (Wunderino Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin extrem stolz auf die Mentalität und Charakter meiner Mannschaft und mit welcher Qualität sie heute agiert hat. Ich habe heute morgen beim Anschwitzen schon bei den Jungs diesen All-In-Gedanken gespürt, dass wir nichts zu verlieren haben und um jeden Zentimeter unserer Halle kämpfen wollen. In der ersten Halbzeit kam Hannover durch unser abwechslungsreiches Spiel durch zweite Wellte, Tempo und exakt vorgetragene Positionsangriffe nicht in ihre gewohnte, so starke Abwehrformation. So konnten wir durch unser Spiel die Partie in der ersten Hälfte lenken. In der zweiten Halbzeit war das etwas schwieriger, weil wir nicht mehr viel Energie hatten. Und: Hannover spielt eine fantastische Saison und wir haben einen Riesen-Respekt vor der Arbeit von Christian Prokop und der Entwicklung der Mannschaft, wie diese die Liga rockt. Aus meinem Team wäre es unfair, heute einen Spieler hervorzuheben. Wenn ich einen Hut aufhätte, würde ich diesen vor dem Engagement und der Leistung meiner Mannschaft ziehen. Ich möchte mich heute bei unseren Fans bedanken, die uns geholfen und unglaublich gepusht haben. Die Jungs brauchen Euch! Ich hoffe, jeder geht heute zufrieden nach Hause.
TSV-Trainer Christian Prokop: Glückwunsch an Filip, den THW Kiel und auch die Halle. Diese hat wie in besten früheren Zeiten sehr viel Druck und Lautstärke produziert. Der THW Kiel hat diesen Sieg verdient gezogen, weil er uns sein Spiel aufgezwungen hat. Das hatten wir uns anders vorgenommen, aber wir hatten heute Probleme im Rückraum, und die Kieler kamen mit sehr viel Dampf von der Halle. Letztlich haben wir gegen Andreas Wolff auch zu viel liegengelassen. In der zweiten Halbzeit war ich mit unserer Abwehr sehr zufrieden, kamen aber nicht mehr in Schlagdistanz. Wir hatten bei 20:24 noch einmal die Chance durch den Gegeneinläufer von Steinhauser, da hätten wir das Momentum auf unsere Seite ziehen können. So aber hat der THW Kiel das sehr souverän zu Ende spielen können.