THW Kiel holt sich in Szeged nach einem großartigen Spiel beide Punkte
Der THW Kiel stürmte am Mittwochabend vor fast 7000 enthusiastischen Fans, darunter auch rund 30 aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt, erstmals überhaupt die Pick Arena - und damit direkt auch ins Viertelfinale der Machineseeker EHF Champions League. Die Zebras krönten ihre grandiose Leistung gegen die heimstarken und mit Weltklasse gespickten Ungarn mit einem 28:27 (16:14)-Triumph bei OTP-Bank Pick Szeged. Dadurch haben sie den Einzug in die Runde der besten acht Mannschaften der EHF-Königsklasse schon vor der abschließenden Partie am kommenden Mittwoch in Kiel gegen Zagreb in trockene Tücher gewickelt und kämpfen jetzt sogar um den Gruppensieg.
Eric Johansson trifft zum Sieg
Mit einer über die gesamte Spielzeit konzentrierten und kämpferisch überragenden Vorstellung gegen den körperlich auffällig starken Gegner siegten die Zebras erstmals in der für sie bisher uneinnehmbaren Pick Arena. Ein starker Rückhalt war Kiels Abwehr um den Mittelblock aus Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Petter Överby, der den bärenstarken Kreisläufer Bence Banhidi zumeist im festen Griff hatte. Auf den Halbpositionen rackerten zudem Domagoj Duvnjak, Harald Reinkind oder Magnus Landin vorbildlich, Samir Bellahcene im Tor der Kieler leistete mit vielen wichtigen Parden seinen Anteil am Kieler Handball-Kampf. Bester Schütze beim Sieger war der Schwede Eric Johansson, der achtmal ins Tor der Ungarn traf - der wichtigste Treffer war 90 Sekunden vor dem Abpfiff das Tor zum 28:27. Samir Bellahcene hatte kurz zuvor mit einem Reflex die Führung der Gastgeber verhindert.
Zebras verschlafen den Start
Den Start in die Partie verschliefen die Zebras allerdings, kassierten zwei Tempogegenstoß-Tore von Szeged-Linksaußen Sebastian Frimmel. 0:2 stand's so nach 90 Sekunden. Per Siebenmeter erzielten die Kieler dann ihren ersten Treffer: Niclas Ekberg verwandelte traumhaft sicher, es war zugleich der Auftakt zum ersten 3:0-Lauf der Zebras. Rune Dahmke verwertete das überragende Anspiel von Eric Johansson, und Patrick Wiencek netzte nach einem Tempogegenstoß ein. 3:2 für den Tabellenführer der Gruppe A. Aber Szeged meldete sich zurück, ging durch Sostaric, Garciandia und Sostaric' verwandeltem Strafwurf mit 5:3 in Front. Der THW ließ sich aber nicht beirren, blieb cool und drehte den 4:6-Rückstand innerhalb von vier Minuten auf eine 9:6-Führung.
Kieler bleiben cool
Der Kieler 5:0-Lauf war gespickt mit Toren aus dem Handball-Lehrbuch, der anfängliche Krach in der "Hölle" Pick Arena verstummte zusehends. Szeged-Coach Karpati reagierte mit einer Auszeit. Großartig war zuvor der Treffer von Elias Ellefsen á Skipagötu, der Szegeds Abwehr narrte, bei seinem Solo nicht aufzuhalten war. Wunderbar auch das 6:6 von Patrick Wiencek, großartig freigespielt von Harald Reinkin. Ein Tor "zum Einrahmen" war gar der Treffer von Rune Dahmke, nach dem Spielzug über Reinkind und á Skipagötu. Per Tempohandball nach Glanzparaden von Bellahcene enteilten die Zebras dann durch die Tore des jungen Färingers und Överby: 9:6 nach 15 Minuten.
Pausenführung für den THW Kiel
Banhidi, der 2,07-Koloss am Kreis der Ungarn, verkürzte. Doch Johansson stellte den Drei-Tore-Abstand wieder her, traf in der 19. Minute nach wunderbarem Anspiel von á Skipagötu, der über 60 Minuten mächtig einstecken musste, zum 12:8. Die Kieler waren auf vier Tore davongeeilt. Dann aber wurde Roland Mikler im Tor der Ungarn wie schon so oft plötzlich zum Faktor. Die Gastgeber robbten sich auf 11:12 heran, die Halle kochte. Doch der THW Kiel blieb bei aller Emotionalität ruhig und abgeklärt, durfte sich erneut auf Johansson verlassen, der per Doppelschlag zum 14:11 per Stemmer und Sprungwurf antwortete. Der Rest der ersten Halbzeit ist schnell erzählt: Per Tempogegenstoß brachte Steffen Weinhold den THW mit 15:12 in Front, Dahmke reagierte Sekunden vor dem Halbzeitpfiff ganz abgezockt auf Szegeds 14:15, traf von Linksaußen ins lange Eck zum 16:14-Pausenstand.
Es wird hektisch
Der Start in die zweiten 30 Minuten war ebenfalls ein zäher für Kiel: Szeged glich aus, dann war es erneut Johansson, der in der 35. Minute mit einem Hammer in den Winkel für Kieler Torjubel sorgte. Mikler entwickelte sich aber erneut zum Störfaktor für die schwarz-weißen Angreifer, parierte auch Ekbergs Siebenmeter. Doch der Schwede schnappte sich den Abpraller, netzte den Nachwurf zum 18:17 ein. Ein weiteres Zeichen, dass die Kieler da waren. Trotzdem wurde es eng auf dem Parkett, beide Abwehrreihen setzten die Akzente. Der THW legte in einer zunehmend hitzigeren Atmosphäre stets ein Tor vor, die Gastgeber glichen aus. Aufregung dann in der 43. Minute: Frimmel tauchte frei vor dem THW-Tor auf, traf Bellahcene zum zweiten Mal im Spiel im Gesicht. Die Schiedsrichter bemühten zwar den Videobeweis, konnten aber offenbar die Szene nicht eindeutig identifizieren. Der Kopftreffer war deutlich, die beiden schwedischen Unparteiischen aber winkten nach dem Videobeweis ab.
Sieben gegen Sechs auf den Punkt gespielt
Die Zebras steckten diese Fehlentscheidung genauso wie weitere umstrittene Entscheidungen ungerührt weg. Spielten mit dem siebten Feldspieler gegen das zunehmend massivere Abwehr-Bollwerk der Ungarn an. Das "Sieben gegen Sechs" war dieses Mal auf den Punkt vorgetragen: Á Skipagötu zimmerte den Ball zum 21:20 in den Torwinkel, wenig später glänzte Hendrik Pekeler mit spektakulärem Block gegen den Wurf von Garciandia. Johansson veredelte das Werk seines Mitspielers mit frechem Dreher zum 22:20 in der 46. Minute. Eine Zeitstrafe gegen Patrick Wiencek brachte Szeged zurück, Jelinek und Garciandia glichen aus. Filip Jicha nahm eine Auszeit, Ekberg verwertete das Traumanspiel von Reinkind in der 50. Minute zum 24:23 - die Partie war längst ein Krimi.
Zebras lassen Hektik an sich abprallen
Als dann Jelinec und Sostaric trafen, kannte der Jubel in der Arena keine Grenzen: Szeged führte erstmals in der zweiten Halbzeit. Anders als in den Vojahren, in denen die Zebras in einer ebenso hektischen Schlussphase den Kopf verloren, blieben sie dieses Mal aber ruhig, überlegt. Nicht ohne jedoch um jeden Zentimter zu kämpfen. Ekberg glich per Siebenmeter zum 25:25 aus, doch jetzt legten jeweils die Gastgeber vor. Eric Johansson glich zum 26:26 aus, Nikola Bilyk war in der 57. Minute zum 27:27 erfolgreich. Hochspannung in der Pick Arena. Wenig später Kieler Jubel über Eric Johanssons Treffer zum 28:27. Auszeit, Szeged drängte auf den Ausgleich. Doch der Ball landete 40 Sekunden vor dem Abpfiff in den Händen von Nikola Bilyk. Noch einmal griff Szeged zum letzten Mittel, um wenigstens noch einen Punkt zu retten: Manndeckung. Die Zebras aber blieben ruhig, der Siegestanz und die La Ola mit den mitgereisten Fans war wenig wenig später der Lohn für eine echte Spitzenleistung in der Königsklasse.
Samstagabend ist Heimspiel-Zeit
Noch am frühen Donnerstagmorgen kehrten die Kieler aus Ungarn zurück. Die Eile ist nachvollziehbar, weil sich die Zebras auf das bereits am Samstagabend stattfindende Heimspiel gegen die HBW Balingen-Weilstetten vorbereiten wollen. Die Partie gegen den kampfstarken Aufsteiger wird um 19 Uhr angepfiffen, und die Zebras setzen 72 Stunden nach den Erfahrungen in der "Hölle von Szeged" im Heimspiel auch auf die lautstarke Unterstützung ihrer Fans. Tickets für das Heimspiel gegen die „Gallier von der Alb“ gibt’s bei CITTI, unter www.thw-tickets.de und in der THW-FANWELT, die Samstag ab 10 Uhr bis zum Anpfiff geöffnet haben wird. Weiter geht’s gegen Balingen, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Pick Szeged
Machineseeker EHF Champions League, 13. Spieltag: OTP-Bank Pick Szeged - THW Kiel 27:28 (14:16)
OTP-Bank Pick Szeged: Imsgard (n.e.), Mikler (1.-60., 14/1 Paraden); Bodö, Martins, Jelinic (4), Szita, Gaber, Sostaric (8/2), Frimmel (3), Banhidi (2), Kalarash, Molina, Garciandia (4), Bombac (3), Mackovsek, Szilagyi; Trainer: Karpati
THW Kiel: Mrkva (1 Siebenmeter, 47.-56. Minute, keine Parade), Bellahcene (1.-47., 56.-60., 10 Paraden); Duvnjak, Reinkind, Landin (1), Øverby, Weinhold (1), Wiencek (2), Ekberg (4/2), Johansson (8), Dahmke (5), Gurbindo (n.e.), Wallinius (n.e.), Bilyk (1), Pekeler (1), á Skipagøtu (5); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Mirza Kurtagic / Mattias Wetterwik (SWE)
Siebenmeter: Szeged: 2/2 / THW: 3/2 (Mikler hält Ekberg, der den Nachwurf verwandelt (37.))
Zeitstrafen: Szeged: 2 (Bombac (3.), Kalarash (37.)) / THW: 4 (2x Reinkind (17., 28.), Pekeler (41.), Wiencek (47.))
Spielfilm: 1. Hz.: 2:0, 2;3 (5.), 5:3 (10.), 6;4, 6:7 (14.), 6:9 (15.), 8:10 (17.), 8:12 (19.), 11:12 (22.), 11:14 (25.), 12:15 (28.), 14:15 (30.), 14:16;
2. Hz.: 16:16 (35.), 16:17 (35.), 18:18, 20:20 (42.), 20:22 (46.), 22:22 (47.), 23:24 (50.), 25:24 (52.), 26:25 (55.), 27:26 (57.), 27:28 (59.).
Zuschauer: 6561 (Pick Arena, Szeged)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin sehr stolz auf meine Jungs. Und ich bin sehr stolz darauf, dass wir immer an uns geglaubt haben und hier gewinnen konnten. Für uns ist das ein sehr wichtiger Sieg, wir sind in der vielleicht intensivsten Phase der Saison. Das Match war genauso – unglaublich intensiv. Wir haben eine Riesen-Leistung gezeigt, und ich bin sehr froh darüber, wie wir diese Herausforderung angenommen haben. Aber wir waren heute auch die glücklichere Mannschaft.
Szegeds Trainer Krisztian Karpati: Es ist sehr schwer, das Match zu analysieren. Beide Mannschaften haben einen sehr guten Kampf abgeliefert. Wir wissen, dass der THW Kiel eine der besten Mannschaften der Welt ist und die Kieler immer in der Lage sind, einen super Angriff gegen unsere strukturierte Abwehr zu spielen. Aber ich bin ebenso stolz auf meine Mannschaft. Ich denke, ein Unentschieden wäre nach diesem Spiel auch ok gewesen. Wir hatten allerdings auf dem Feld nicht das Glück, um diesen Punkt zu holen. Diese Niederlage bedeutet leider auch, dass wir unser Ziel nicht mehr in den eigenen Händen haben – wir sind jetzt auf Schützenhilfe angewiesen.
THW-Rückraumspieler Eric Johansson: Danke auch an Szeged für ein großartiges Match. Beide Mannschaften haben unglaublich um diese Punkte gekämpft. Daher bin stolz und glücklich, dass wir mit einem Sieg aus diesem Spiel gehen konnten.
Szegeds Außen Sebastian Frimmel: Ich bin frustriert und enttäuscht über das Ergebnis, aber das ist Handball. Man kann nicht jeden Tag gewinnen. Wir haben in vielen engen Spielen beide Punkte geholt – heute nicht. Es ist beeindruckend, wie der THW Kiel immer auf einem Top-Level in der Königsklasse spielt. Und das in einem so schwierigen Jahr, in dem es in der Bundesliga nicht so gut läuft.