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Nach Aufholjagd: Der THW Kiel holt sich Bronze im EHF Final4

Champions League

Nach Aufholjagd: Der THW Kiel holt sich Bronze im EHF Final4

Dramatik pur, Spannung bis zum Siedepunkt: Im allerletzten Saisonspiel trieben der THW Kiel und Telekom Veszprem die Nerven der Zuschauer, ja, aller Beteiligten auf die Spitze, machten das Spiel um Platz drei der EHF Champions League in der Kölner Lanxess-Arena zu einem Krimi allererster Güte, in dem die Kieler am Ende die glücklichen Sieger waren. Diese hatten zwischenzeitlich schon mit vier Treffern zurückgelegen und schienen am Ende ihrer Kräfte. Doch in der Schlussphase drehten die Zebras mit der Unterstützung eines Großteils der 19.750 Zuschauer die Partie: 34:34 (14:18) hieß es nach 60 Minuten Handball voller Tempo, Tricks und Leidenschaft. Unentschieden. Das Siebenmeterwerfen musste entscheiden.

Landin hält die Bronzemedaille fest

Niklas Landin wurde im Siebenmeterwerfen zum Matchwinner.

Die Zebras wissen Niklas Landin zwischen ihren Pfosten, der nach einem verhaltenen Halbfinal-Tag in der Schlussphase gegen Veszprem voll da war und im Siebenmeterwerfen die Schützen der Ungarn verunsicherte: Der coole Däne parierte gegen Marguc, dann half die Latte, schließlich stand sein Landsmann und Ex-Zebra Rasmus Lauge vor ihm an der Linie, warf nach rechts oben - Niklas Landin parierte, reaktionsschnell: 37:35, Sieg, Jubel und Glückseligkeit über Rang drei bei Spielern und Fans! Der THW hatte Bronze nach mehr als 60 dramatischen und kräftezehrenden Minuten sicher, Niklas Landin nur noch eine schwere Aufgabe zu meistern: den Ansturm seiner Mannschaftskollegen. Aber auch das gelang dem schweißüberströmten THW-Helden in dem leuchtend blauen Trikot mit großer Bravour.  

Abschiede und Wiedersehen

Das wirklich allerletzte Saisonspiel vor der Traumkulisse von 19.750 Zuschauern in der Kölner Lanxess-Arena war zugleich der Abschied vom Trikot des deutschen Rekordmeisters für Dario Quenstedt, Pavel Horak und auch Bjarte Myrhol, der dem THW in den letzten Begegnungen nach dem verletzungsbedingten Ausscheiden von Hendrik Pekeler und Sander Sagosen als Aushilfe über die Runden geholfen hatte. Und es gab ein Wiedersehen mit Momir Ilic. Der serbische Rückraumspieler, der von 2009 bis 2013 das THW-Trikot getragen hatte, sportlich wie menschlich vier Jahre eine Bereicherung des Kieler Mannschaft war, saß am Sonntagnachmittag auf der anderen Seite, ist inzwischen Trainer des ungarischen Topklubs. Ein erfolgreicher dazu.

 

Veszprem macht Tempo

Sechs Tore: Miha Zarabec

Die Enttäuschung über die Halbfinalniederlagen im Kampf um die Krone des europäischen Handballs war vor der Partie erster Gegner der beiden Kontrahenten, die Ungarn lösten sich als erste von dem Trauma, zündeten ein spielerisches Feuerwerk, zogen ein starkes Tempospiel auf und machten es den THW-Angreifern auch mit ihrer Abwehr schwer, allen voran Torhüter Rodrigo Corrales, der in den ersten 30 Minuten zwölf Bälle abwehrte. So hatten die Zebras Mühe, ihren wendigen Gegenspielern auf den Fersen zu blieben.

Rasanter Spielbeginn

Yahia Omar eröffnete das Scheibenschießen der ersten Hälfte, Kiels Kapitän Domagoj Duvnjak antwortete mit einem Hammer aus der Hüfte, und der junge Sven Ehrig brachte den THW in der dritten Minute mit 2:1 in Führung. Die Tore fielen im Minutentakt, Veszprem löste sich auf 4:6, Duvnjak und Miha Zarabec zogen nach 13 Minuten gleich. 6:6. So ging es hin und her, ehe die Ungarn mit einem 4:0-Lauf aus dem 11:12 eine 15:12-Führung vorlegten. Patrick Wiencek, erneut Vorbild an Einsatz und Kampfeswillen, verkürzte in der 24. Minute auf 13:15, die neuerliche Drei-Tore-Führung der Ungarn beantwortete Miha Zarabec mit sehenswertem Solo, doch Veszprems kräftiger, aber wendiger Kreisläufer Andreas Nilsson sorgte für den Halbzeitstand: Mit 18:14 waren die Ungarn zum Pausenpfiff enteilt, auch, weil Kiels Abwehr den schwedischen Bären am Kreis (sieben Tore) über die gesamte Partie nur schwer in den Griff bekam.

Zebras liegen lange zurück

Nikola Bilyk war mit sieben Treffern bester Schütze der Zebras.

Dass der THW Kiel seinen Gegner nicht aus den Augen verlor, daran hatte auch Kiels siebenfacher Torschütze Nikola Bilyk gehörigen Anteil. Der Österreicher, im Halbfinale gegen Barcelona blass geblieben und früh ausgewechselt, wurde von Trainer Filip Jicha nach 13 Minuten ins Rennen geschickt und zur wirkungsvollen Alternative im linken Rückraum. Vor der Pause traf Bilyk dreimal selbst, hatte seine Hände bei vielen großartigen Pässen im Spiel und entwickelte sich auch in Halbzeit zwei zum Schrecken für die ungarische Abwehrreihe. Der zweite Durchgang startete mit dem 15:18 von Patrick Wiencek in ihre unvergesslichen 30 Minuten. Veszprem biss sich zunächst fest an seinem Vorsprung von drei, vier Toren. Wiencek und Niclas Ekberg (per Siebenmeter) verkürzten in der 41. Minute auf 22:24, doch dank Omar und Mahe legte Veszprem nach: 28:24 in der 45. Minute.

Krimi in den Schlussminuten

Emotionaler Leader: Patrick Wiencek.

 Der sechsfache Torschütze Patrick Wiencek war es schließlich, der per Doppelschlag zum 26:28 einnetzte, neue Emotionen im Team freisetzte und die dramatische Schlussphase einläutete. Noch einmal hielt Veszprem dagegen: 26:29 durch Marguc, 27:30 von Omar. Längst aber war Niklas Landin im Kieler Tor zum Faktor geworden, seine Paraden und der unermüdliche Einsatz in der Abwehr stoppten die Angriffe der Ungarn, deren Kräfte jetzt nachließen. Patrick Wiencek, Domagoj Duvnjak und Miha Zarabec veredelten die Landin-Paraden: 30:30, die Zebras hatten sich zurückgemeldet, rissen ihre Fans mit dieser grandiosen Aufholjagd trotz leerer "Tanks" von den Sitzen. Nilsson konterte zum 31:30, doch der junge Sven Ehrig behielt nach Anspielen von Bilyk die Nerven, traf per Doppelschlag zur ersten Kieler Führung in Halbzeit zwei. Die Arena stand Kopf, alle Spieler warfen ihre letzten Körner in die Waagschale, der Krimi in den Schlussminuten nahm seinen Lauf.

Unentschieden nach der regulären Spielzeit

Landin parierte einen weiteren Siebenmeter von Nenadic, Nilsson erzielte das 33:32, Ekberg konterte per Siebenmeter, und als Nilsson die vermeintliche Führung erzielte, hagelte es Proteste von Kiels Torhüter und der Bank: Der Schwede war vor seinem Wurf aus dem Kreis gekommen. Nach dem Blick in den Videobeweis bestätigten die Schiedsrichter diese Sichtweise - der Treffer wurde annulliert.

Der Jubel nach der letzten Parade war groß.

Dann Siebenmeter für den THW, Steffen Weinhold wurde fast auf der Linksaußenposition gefoult, 28 Sekunden vor der Schlusssirene verwandelt Ekberg den fälligen Siebenmeter eiskalt zum 34:33. Doch das war noch nicht das Ende. Kentin Mahe verwandelte einen weiteren Strafwurf ebenso nervenstark zum 34:34. Abpfiff und Anpfiff zum Siebenmeterwerfen: Kiels Niclas Ekberg, Steffen Weinhold und Magnus Landin trafen, Niklas Landin wurde zum Helden.

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Marco Wolf / EHF/Kollektiv

EHF Champions League, Spiel um Platz 3: THW Kiel – Telekom Veszprem: 37:35 (34:34, 14:18) n.S.

THW Kiel: N. Landin (1.-43., 47.-60., 13/4 Paraden) Quenstedt (43.-47., keine Parade); Ehrig (5), Duvnjak (4), Reinkind (1), M. Landin, Myrhol, Weinhold, Wiencek (6), Ekberg (3/3), Ciudad, Dahmke (2), Zarabec (6), Horak, Bilyk (7); Trainer: Jicha Telekom Veszprem: Corrales (1.-52., 13/1 Paraden), Cupara (52.-60., 1/1 Paraden); Omar (8/1), Nenadic (1), Maqueda (2), Nilsson (7), Ligetvari, Marguc (3), Lauge (2), Strlek, Lukacs (1), Blagotinsek, Mahé (6/1), Z. Ilic (1), Lekai (3), Sipos; Trainer: M. Ilic
 
Schiedsrichter: Karim Gasmi / Raouf Gasmi (FRA)
Zeitstrafen: THW: 2 (Wiencek (32.), Dahmke (60.)) / Veszprem: 4 (Blagotinsek (9.), Maqueda (25.), Ligetvari (28.), Nilsson (41.))
Siebenmeter: THW: 4/3 (Corrales hält M. Landin (24.)) / Veszprem: 5/2 (Landin hält Marguc (7.) und Nenadic (56.), Mahé an die Latte (11.))
Spielfilm: 0:1, 2:1 (3.), 3:2, 3:4 (8.), 3:5 (11.), 4:6, 6:6 (13.), 9:9 (17.), 12:11 (20.), 12:15 (23.), 14:16 (25.), 14:18 (28.); 15:18 (31.), 17:21 (34.), 19:21, 20:22, 20:24 (39.), 22:24 (41.), 23:25, 23:27 (44.), 24:28, 26:28 (46.), 28:30, 30:30 (50.), 30:31 (51.), 32:21 (53.), 32:33 (58.), 34:33 (60.), 34:34.
Siebenmeterwerfen: 35:34 Ekberg, Landin hält Marguc, 36:34 Weinhold, Omar an die Latte, Cupara hält Zarabec, Nenadic 36:35, M. Landin 37:35, N. Landin hält Lauge
Zuschauer: 19.750 (Lanxess Arena, Köln)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Meine Gefühle nach diesem verrückten Spiel zu beschreiben, ist hart. Ich muss zugeben, dass ich keine Idee habe, wie meine Mannschaft das gemacht hat. Nach 15 Minuten waren wir tot, nur noch müde, Veszprem war schneller, wendiger. In der Halbzeit habe ich mich mit Christian Sprenger gefragt, wie wir überhaupt die letzten 30 Minuten noch spielen können. Und dann zeigen meine Spieler eine solche Energie und einen solchen Willen. Das war Werbung für den Handball, und ich bin sehr, sehr stolz auf meine Jungs. Jetzt wollen wir mit unseren Fans auf der Kieler Woche noch die Saison feiern, und dann geht es in den verdienten Urlaub.

Veszprems Trainer Momir Ilic: Ich möchte beiden Teams für diesen grandiosen Fight gratulieren. Keiner hatte so etwas wohl im Spiel um Platz drei erwartet. Alle haben alles gegeben, das war großartiger, moderner Handball mit unglaublich viel Tempo. Ich bin auch stolz auf meine Spieler, wir haben eine gute Saison gespielt, unglücklicherweise aber am Ende was liegen gelassen.

THW-Kreisläufer Bjarte Myrhol: Es war ein großartiges Spiel. Vor zwei Wochen saß ich noch im Büro und war auf dem Weg zu einem Golfplatz, jetzt durfte ich vor 20.000 Zuschauern meine Karriere erneut beenden, die eigentlich im Sommer 2021 vor null Zuschauern in Tokio geendet war. Als Teenager habe ich davon geträumt, einmal für den THW Kiel spielen zu dürfen – es kam aber kein Angebot. Jetzt habe ich mir diesen Traum mit 40 Jahren doch noch erfüllen können. Aber jetzt werde ich die Handballschuhe aber wirklich in die Mülltonne werfen.

Veszprems Rückraumspieler Yahia Khaled Fathy Omar: Kiel hatte auf einmal das Momentum, aber wir müssen vor allen Dingen lernen, in den letzten 15 Minuten den Ball besser laufen zu lassen.