Interview mit Patrick Wiencek zum DHB-Abschied: „Ich bin ein Handball-Arbeiter“
Am Mittwoch wurde Patrick Wiencek nach dem WM-Play-off-Spiel gegen die Faröer aus dem Kreis der Handball-Nationalmannschaft verabschiedet. Mit Ovationen feierte das Kieler Publikum in der Wunderino Arena euphorisch den THW-Kapitän, der sich keinen besseren Ort für das Ende seiner Karriere im Nationalmannschafts-Trikot hätte wünschen können. Anfang März hatte der 33-Jährige seinen Abschied aus dem Nationalteam verkündet - nach 159 Länderspielen und der Olympischen Bronzemedaille von Rio. Im Interview für das Arena-Magazin zum Länderspiel zieht der Kreisläufer und Abwehrspezialist seine ganz persönliche Bilanz und blickt auf seine Karriere zurück.
Zweiter Zweitligaspieler im A-Nationalteam
Patrick Wiencek über …
seinen unglaublichen Start im Nationaltrikot: Ich war 2009 nicht einmal Mitglied der Junioren-Nationalmannschaft, hatte vorher für keine DHB-Nachwuchsmannschaft gespielt. Ich war bei drei Lehrgängen der Sportfördergruppe in Warendorf dabei - und weil sich jemand verletzte, kam ich auf den letzten Drücker ins Team für die U21-WM. Das war eine besondere Mannschaft, kurz zuvor war Mitspieler Sebastian Faißt bei einem Testspiel gestorben. Wir fahren zur WM, und alle wollten für Sebastian gewinnen. Wir verlieren das erste Spiel - und dachten schon: Das war es jetzt. Danach haben wir alle Spiele gewonnen, inklusive des Finales gegen Dänemark mit Niklas Landin und anderen späteren Topstars. So wurde ich unerwartet Junioren-Weltmeister und absolvierte nur wenige Monate später mein erstes A-Länderspiel in Hamm gegen Weißrussland. Ich war nach Christian Zeitz erst der zweite Zweitligaspieler, der es ins A-Team geschafft hatte, damals war ich noch bei TuSEM Essen unter Vertrag.
den wichtigsten Karriereschritt: 2010 sagte mir Stefan Hecker, der leider viel zu früh verstorbene damalige Manager von TuSEM, Alfred Gislason habe angerufen und sich für mich interessiert. Da habe ich gedacht, das sei ein Witz. Ich hatte gerade meinen ersten Profivertrag unterschrieben, hatte mein Hobby Handball zum Beruf gemacht, hatte mir durch Handball mein erstes Auto und meine erste Wohnung geleistet, trainierte nun zweimal am Tag, nachdem ich meine Ausbildung beendet hatte. Und da soll sich der große THW Kiel für mich interessieren? Niemals! Später, nach meinem Wechsel nach Gummersbach, meldete sich der damalige THW-Manager Klaus Elwardt dann wirklich bei mir, und ich ging nach Kiel. Das war der wichtigste Schritt für meine Karriere, definitiv.
"Etwas Besseres als den THW Kiel gibt es im Handball nicht"
die Anfangszeit beim THW: Das war nicht so einfach, das erste Jahr war ein echtes Lehrjahr. Ich kam als junger Spieler in diese Weltklassemannschaft, hatte nur wenige Spielanteile. Vielleicht war ich auch ein bisschen naiv darangegangen, ich hatte in Kiel eine ganz andere Rolle, als ich sie vorher in Essen und Gummersbach hatte. Aber ab der zweiten Saison startete ich dann durch, und habe - denke ich - bislang einen guten Job gemacht. Für mich war schon bei diesem Anruf aus Kiel klar: Etwas Besseres gibt es im Handball nicht als den THW Kiel, diese Chance musst du nutzen.
seine Einstellung zum Leistungssport: Ich komme aus dem Ruhrgebiet, und da lernst du von Kleinauf: Wenn du was erreichen willst, musst du hart arbeiten. Es war mein Traum, einmal Handballprofi zu werden, und dafür kämpfte ich. Und daher bin ich - ganz klar - ein Handball-Arbeiter, kein Handball-Künstler. Andere hatten vielleicht mehr Talent als ich, aber ich habe immer alles gegeben. Ich musste eben mehr arbeiten, um etwas zu erreichen. Und ich weiß, wo ich herkomme. Meine Eltern sind polnische Einwanderer, sie mussten für alles immer hart arbeiten. Diese Einstellung haben sie an uns weitergegeben, und das hat mich immer geprägt.
"Ich habe mich nie als Star gesehen"
seine Rolle im Nationalteam: Die EM 2012 in Serbien war mein erstes großes Turnier als A-Nationalspieler. Und seitdem war ich Teil der Mannschaft. Ich habe mich, auch dank meiner Champions-League-Erfahrung in Kiel, immer weiterentwickelt. Aber ich habe mich nie als Star gesehen, oder als die Nummer eins am Kreis. Das Schöne am Handball ist, dass alle 16 Spieler einer Mannschaft gebraucht werden. Und jeder bringt sich ein.
seine größten Enttäuschungen: Ich habe trotz der vielen Jahre im Nationalteam nie einen Titel im DHB-Trikot gewonnen. Das sitzt wirklich tief. 2016, als wir Europameister wurden, habe ich die Qualifikation noch gespielt, dann kam ein Kreuzbandriss und ich fehlte bei der EM.
sein größtes Turnier: Ganz klar: die WM 2019, da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Diese Atmosphäre, die vollen Hallen, diese Riesenbegeisterung und die Aufmerksamkeit, die wir als WM-Gastgeber genossen haben. Ich denke immer an die Spiele in Köln - da jubelten dir 20.000 Fans schon beim Warmmachen zu. Das war einzigartig - und wir haben auch viele tolle Spiele gezeigt. Nur leider hat es nicht mit der Medaille gereicht. Die hatte es für mich 2016 in Rio gegeben - leider nur Bronze, aber Edelmetall bei Olympia ist ja auch was Besonderes. Es blieb leider meine einzige Medaille mit dem Nationalteam, aber die hat natürlich riesigen Stellenwert. Somit zählt natürlich auch Rio zu dem größten Turnieren.
"Ohne Alfred wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin"
den legendären Innenblock mit Hendrik Pekeler: Wir waren super-eingespielt, speziell, als Hendrik nach Kiel kam. Jeder wusste genau, was der andere macht, wie er sich bewegt. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Aber es waren ja nicht nur wir zwei, da waren ja auch Finn Lemke oder Olli Roggisch, mit denen ich im Innenblock spielte. Und die Abwehr war immer unser Prunkstück. Grundsätzlich kann ja jeder Abwehr spielen, aber Hendrik und ich haben das immer mit Herz und Leidenschaft getan.
Alfred Gislason: Ohne Alfred wäre ich niemals da gelandet, wo ich heute bin. Er hat mich nach Kiel geholt, er hat mich entwickelt. Alfred ist der wichtigste Trainer meiner Karriere, und es war super, dass wir auch noch im Nationalteam zusammenarbeiten konnten. Leider konnte ich in Ägypten und in Tokio nicht dabei sein, dennoch war auch die Nationalmannschaftszeit unter Alfred ein ganz wichtiges Kapitel. Und im Verein habe ich unter ihm unzählige Pokale gewonnen, das vergisst man natürlich auch nie.
seinen Trophäenschrank: Da halte ich es wie Thierry Omeyer: Alles kommt in eine große Kiste - und wird erst wieder rausgeholt, wenn ich meine Karriere beendet habe. Da hat sich so einiges angesammelt, besondere Trikots, Medaillen, Erinnerungen an Olympia. Manchmal, wenn meine Kinder fragen, gehen wir an diese Behälter und ich zeige ihnen etwas und erzähle die Geschichte dazu. Aber während der Karriere hat man ja überhaupt keine Zeit, die Erfolge und Erlebnisse zu genießen. Das geht alles viel zu schnell. Daher freue ich mich nach meinem Karriereende drauf, das alles zu schauen.
"Ans Karriereende denke ich noch nicht"
seine Emotionen: Privat bin ich eher ein ruhiger Typ, aber auf dem Feld war ich manchmal schon zu emotional. Ich habe auch immer meine Meinung gesagt, wenn mir etwas nicht gepasst hat. Ich muss aber eben nicht jede Viertelstunde etwas sagen. Aber den Mund aufgemacht habe ich schon.
seinen Abschied aus der Nationalmannschaft: Das war natürlich keine Entscheidung von heute auf morgen, wobei ich im Januar, bei der EM im Hotelzimmer, natürlich viel Zeit hatte, um mir Gedanken zu machen. Irgendwann steht jeder Sportler vor solch' einer Entscheidung. Man muss seinen Körper ernst nehmen, ich bin ja keine 20 oder 25 mehr. Ich spüre meine Knochen. Früher habe ich Christian Sprenger immer ausgelacht, wenn er darüber gesprochen hat, dass ihm morgens beim Aufstehen alles wehtut. Jetzt bin ich 33 und merke, dass man seinen Körper viel mehr pflegen muss, mehr dehnen, mehr Kraftübungen, um die Knochen und Gelenke zu entlasten. Ich muss meinem Körper auch Ruhephasen gönnen und regenerieren. Und alles das führte dazu, dass ich Alfred anrief und meinen Abschied aus dem Nationalteam verkündete.
das Karriereende: Da denke ich noch gar nicht dran. Ich will noch ein paar Jahre spielen, solange es mein Körper mitmacht. Ich will meine Leistung bringen, solange ich gesund bin - und ich will nicht übers Feld schleichen. Wenn es so weit kommt, ist Schluss.
seine legendären handwerklichen Fähigkeiten: Ja ich mache immer noch viel selbst, und ich helfe auch meinen Mitspielern, wenn mal ein Schrank aufgebaut werden muss. Ab und zu kommen die Jungs sich noch Werkzeuge ausleihen. Aber ich glaube, die gehen mittlerweile auch zu Hendrik Pekeler, denn der ist ebenfalls unglaublich handwerklich begabt. Vielleicht machen wir zwei ja mal einen Hausmeisterservice auf...
Text: Björn Pazen / Fotos: Sascha Klahn