KN: Zebra-Coach Jicha: Genießen verboten!
Kiel. Filip Jicha hat seinen Dienst als Cheftrainer des THW Kiel im Sommer mit einer Mission angetreten. "Ich will um das Maximale spielen", sagte der Tscheche schon im Trainingslager. Was das bedeutet, erlebte die Handball-Welt in den ersten Wochen der Saison. Die Zebras sind in der Liga mit 14:2 Punkten die Mannschaft mit den wenigsten Minuspunkten, führen ihre Champions-League-Gruppe ungeschlagen an, stehen im Viertelfinale des DHB-Pokals. Und nicht nur das: Zuletzt beeindruckten sie mit Blitzstart-Handball und Kämpferqualitäten auch auswärts bei Königsklassen-Schwergewichten wie Skopje oder Montpellier. Jichas Einstand ist geglückt. "Wir strahlen wieder etwas aus", sagt Geschäftsführer Viktor Szilagyi.
Und noch mehr Gründe für den THW-Erfolg
Nationalmannschaftspause, kurze Zeit zum Durchatmen für Filip Jicha, Gelegenheit für einen Rückblick auf die ersten 115 Tage in seiner Funktion als Cheftrainer des THW Kiel. "Dass wir nach 21 Pflichtspielen, darunter drei schwere Auswärtsspiele in der Champions League, so dastehen - das konnte keiner erwarten", sagt der 37-Jährige. Szilagyi ergänzt: "Es war unsere Hoffnung, so gut dazustehen. Aber wir sind positiv überrascht. Die Mannschaft ist schneller als erwartet sehr gut zusammengewachsen."
Die Gründe dafür sind vielfältig. Einen wichtigen sieht Szilagyi in Jichas Führungsstil. "Er hat einen Zugang zur Mannschaft, hat seine Ideen eingebracht, darauf aufgebaut. Er lebt den Siegeswillen vor und hat einen Plan, an den die Mannschaft zu 100 Prozent glaubt." Ein Teil dieses Plans ist das Rotationssystem, das nahezu allen Spielern - mit Ausnahme von Youngster Gisli Kristjánsson - ähnlich große Spielanteile verschafft und die Belastung auf möglichst viele Schultern verteilt. Gleichzeitig wird das THW-Spiel zusehends variantenreicher. Drei Abwehr-Formationen stehen den Kielern zur Verfügung. Skopje knackten sie mit der neuen "verschobenen 5:1"-Version, in Montpellier brachte beim Drei-Tore-Rückstand und trotz schwindender Kräfte in der zweiten Halbzeit die 3:2:1-Formation die Wende. "Das Spiel in Montpellier hat gezeigt, was die Mannschaft ausmacht. Ich sehe da eine große Moral, eine riesengroße Leistung, die nicht selbstverständlich ist", sagt Szilagyi. "Davor ziehe ich nach dem dritten 48-Stunden-Doppelspiel den Hut." Auch Jicha wird nicht müde, seine Mannschaft zu loben. "Ich bin extrem stolz auf sie", sagt er. "Vor allem darauf, wie sie in Montpellier gefightet hat. Sie wollte nicht als Opfer der Belastung dastehen."
Den Grundstein für das derzeitige Leistungs-Hoch, da sind sich Szilagyi und Jicha aber einig, habe man schon in der vergangenen Saison gelegt. In seiner letzten Spielzeit als THW-Trainer öffnete Alfred Gislason seinem designierten Nachfolger Jicha Tür und Tor, übergab ihm als Co-Trainer bereits viel Verantwortung. "Diese Kombination war ideal. Davon profitieren wir heute alle", sagt Szilagyi. Jicha selbst spricht von einem "riesengroßen Plus" und sagt: "Die Jungs konnten langsam lernen, wie ich denke und ticke. Das ist ein großer Verdienst von Alfred. Nicht nur als Trainer, sondern vor allem als Mensch." Und noch einen zweiten Grund für seinen erfolgreichen Einstand sieht der Tscheche: "Vielleicht hängt es auch mit meiner Vergangenheit zusammen, den Erfolgen, die ich mit dem Klub erlebt habe." Den Großteil seiner Zeit als THW-Spieler von 2007 bis 2015 erlebte Jicha unter Trainer Gislason.
Der Isländer, der in seinen elf Jahren beim THW 20 Titel feierte und selten jemanden so intensiv in seine Arbeit einbezog wie seinen Nachfolger, nimmt nach wie vor regen Anteil an der Entwicklung seines Ex-Klubs. Als die Zebras mit ihrem Auswärts-Sieg in Veszprém ein erstes Ausrufezeichen in der Champions League setzten, war der 60-Jährige der erste Gratulant, schrieb auf Instagram: "Überragend!!! Glückwunsch an alle!" Mit Szilagyi und dem Trainerteam um Jicha und Co-Trainer Christian Sprenger steht er in regelmäßigem Austausch. "Alfred weiß ganz genau, dass ich meinen eigenen Weg gehen will. Aber er ist immer da, ein Anruf genügt", sagt Jicha. "Aber auch wenn Tiefen kommen, weiß ich, dass ich jederzeit zum Handy greifen kann."
Derzeit sind die Kieler wettbewerbsübergreifend seit elf Spielen ungeschlagen, strahlen einen Erfolgshunger wie zu Zeiten des berüchtigten Kieler "Siegergens" und viel Spaß an der Arbeit aus. "Wir haben eine klare Hierarchie in der Mannschaft, die Führungsspieler sind - mit Ausnahme von Steffen Weinhold (Anriss der Plantarfaszie, d. Red.) - fit und in Form. Dazu zählt neben den drei Kapitänen Domagoj Duvnjak, Niklas Landin und Patrick Wiencek auch Top-Torschütze Niclas Ekberg und Hendrik Pekeler, der seine Nebenmänner gut steuert, auch eine hohe Spielintelligenz hat", erklärt Szilagyi. Wichtig für die derzeitige Erfolgswelle sei auch das Team ums Team: "Hinrich Brockmann als Athletiktrainer beispielsweise, der einen guten Zugang und viel Erfahrung hat, für Prävention und Reha gleichermaßen wichtig ist. Aber auch die Betreuer, Physios und Ärzte, Mattias Andersson als Torwarttrainer. Und natürlich die Mitarbeiter der Geschäftsstelle. Wir ziehen alle an einem Strang, haben alle die gleichen Ziele."
Denn für das Maximale ist ein guter Hinrunden-Start noch nicht genug. Bis zur EM-Pause im Januar warten weitere 18 Spiele auf die Zebras. "Da kommt jetzt eine harte Zeit", sagt Szilagyi. "Die Frage ist, wie wir da körperlich und mental durchkommen." Jicha ist sich sicher: "Der schwierigste Part ist die Motivation, dass man nie satt wird." Der Trainer mahnt: "Das ist eine schöne Zwischenbilanz. Aber wenn man genießt, wird man das nächste Spiel verlieren."
(Von Merle Schaack und Tamo Schwarz aus den Kieler Nachrichten vom 23.10.2019, Foto: Sascha Klahn)