KN: Wer Reinkind foult, zahlt
Im Zeitalter der ständigen Rotation kann sich beim THW Kiel kein Spieler über mangelnde Einsatzzeiten beschweren. Aber nur einer ist im Dauereinsatz: Harald Reinkind. Durch die Verletzung von Steffen Weinhold reißt der Norweger ein Riesenpensum ab - und steht unter besonderem Schutz von Trainer Filip Jicha.
Viel Verantwortung, hohe Belastung: Der Norweger beim THW Kiel steht derzeit unter besonderem Schutz
Fünf Spiele sind vergangen, seitdem Steffen Weinhold sich beim Auswärtssieg des THW Kiel in Veszprém einen Anriss der Plantarfaszie an der linken Fußsohle zuzog. Mindestens zwei Monate soll der Linkshänder nach Prognosen der Mannschaftsärzte ausfallen. Mindestens neun weitere Partien ist sein Positionskollege Harald Reinkind damit auf sich allein gestellt. "Für mich bedeutet das eine größere Belastung und mehr Verantwortung", sagt Reinkind. Was das heißt? "Körperteile, die wehtun, tun ein bisschen länger weh als sonst", sagt er und lacht. "Aber ich freue mich, viel zu spielen. Diese Chance will ich nutzen."
In seinem zweiten Jahr beim THW Kiel hat der 27-Jährige ohnehin einen guten Start erwischt. Im Vergleich zum Vorjahr hat er einen größeren Zug zum Tor entwickelt, sucht oft erfolgreich Eins-gegen-Eins-Situationen. Auch ein Verdienst von THW-Trainer Filip Jicha. "Ich finde es gut, wie Filip seine Gedanken erklärt und vermittelt. Er gibt einem Selbstvertrauen", sagt Reinkind, dem zu seiner Zeit bei den Rhein-Neckar Löwen (2014 - 2018) der Ruf vorauseilte, ein bisschen zu nett zu seinen Gegenspielern zu sein.
"Früher habe ich mich oft etwas zurückgenommen, wenn ein, zwei Aktionen nicht so gut geklappt haben", gibt er selbst zu. "Aber Filip sagt mir oft: 'Geh einfach, mach das Tor'. Und ein weiteres Wort, das er oft sagt, ist 'Mut'. Ohne Mut kommt man nicht weit. Man muss Mut haben, zu zeigen, dass man gut ist. Inzwischen werfe ich einfach weiter, auch wenn ein, zwei Bälle nicht reingehen."
Das war zum Beispiel vergangene Woche beim 31:23-Sieg des THW Kiel über die HSG Nordhorn-Lingen der Fall, als Reinkind in der ersten Hälfte dreimal verwarf und schließlich mit Nikola Bilyk ein Rechtshänder seine Position im Rückraum übernahm. In der Pause ärgerte sich der Norweger über sich selbst. "In der Kabine hat Filip zu mir gesagt: 'Mach das, was du gut machst'." Fünf Tore in fünf Versuchen folgten.
Auch beim triumphalen 31:20-Sieg der Kieler am Wochenende in Skopje leistete Reinkind sich fünf Fahrkarten in Folge, erntete aber Verständnis von Filip Jicha. "Harald absolviert gerade ein Monster-Programm. Er muss viel Verantwortung übernehmen und macht das gut. Aber mit der Belastung macht man häufiger Fehler. Am Ende fehlte die Kraft", sagt der THW-Trainer. Um Reinkind zu entlasten, schickt Jicha in der Abwehr oft Pavel Horak aufs Feld, damit der einzig verbliebene Rückraum-Linkshänder kurz verschnaufen kann.
"Es gibt schon Spiele, in denen ich am Ende ziemlich platt bin", sagt Reinkind. Besonders wichtig ist für ihn deshalb, dass die Abwehr gut funktioniert. Denn jeder Tempogegenstoß über die Außen nach Ballgewinn bedeutet einen Weg weniger für ihn. "Wenn es aber die ganze Zeit eng ist und ich viel laufen muss, sind die letzten zehn Minuten hart. Da ist es dann gut, wenn ich in der Abwehr pausieren kann." Filip Jicha hat - auch dank der neuen Live-Tracking-Technologie, die in der Liga zum Einsatz kommt - ein gutes Auge für die Energiereserven seines Schützlings. "Er weiß, wann er mich runternehmen muss."
Auch im Training steht Reinkind derzeit unter besonderem Schutz des Trainers. "Wir haben schon überlegt, was es denjenigen kosten soll, der mich foult. Und wie viel mehr es kostet, wenn ich mich dabei verletze", erzählt Reinkind lachend. Anlass war das Fußballspiel zum Aufwärmen im Training vor der Partie in Skopje. "Da gab es eine Situation, die eigentlich gar nicht schlimm war - aber Filip ist sofort dazwischengegangen", sagt Reinkind. Gut für den Norweger und seinen Körper ist zudem die Fähigkeit, auf Reisen gut schlafen und somit regenerieren zu können. "Nur auf dem Rückflug aus Skopje ging das nicht - dafür war die Stimmung im Flieger zu gut." Er selbst macht sich über ein möglicherweise durch die Belastung höheres Verletzungsrisiko keine Gedanken. "Selbst wenn es so kommt - wir haben genug gute Spieler, um das trotzdem hinzukriegen."
 (Von Merle Schaack aus den Kieler Nachrichten vom 15.10.2019, Foto: Sascha Klahn)