KN: Eingezogen: THW-Kreisläufer Igor Anic und sein zweiter Start
Zurück in die Zukunft
Alles ging ganz schnell vor zwei Wochen: die Verletzung von Patrick Wiencek, der Anruf von Alfred Gislason in Nantes bei dem 28-Jährigen, das Bauchgefühl, der Umzug. Jetzt ist die kleine Familie so langsam angekommen in ihrer Neubauwohnung in Kronshagen. Alles ist noch etwas kahl, in der Ecke die Einzelteile eines Ikea-Stuhls. "Die Schrauben fehlten", sagt Ehefrau Anja Anic und lacht. Der Fotograf tummelt sich mit dem zweijährigen Zack in der Duplo-Spielecke, der vier Monate alte Mark sitzt bei Mama auf dem Schoß, und Papa Igor erzählt, ermahnt zwischendurch die aufbrausende französische Bulldogge Tyson. Familie, authentisch, fühlt sich wie Heimat an. "Ich bin nicht derselbe, der ich 2007 war", sagt Anic. "Ich bin acht Jahre älter geworden, bin ein Ehemann, ein Vater, ein besserer Handballer mit mehr Erfahrung." Anic verfolgt einen Plan: "Ich will den Moment genießen und mich auf Handball konzentrieren." Aber er hat ein Ziel: "Gut spielen, mich zeigen, auch in der Champions League. Dann wird es hier gut für mich und auch für meine Karriere in der Nationalmannschaft." Das sagt ein Europameister (2014) und Weltmeister (2015), der zuletzt beim HBC Nantes runter war von der großen Bühne, sein Niveau nicht fand, zwei Schritte zurück machte. Jetzt ist die kleine Familie zurück. Igor sagt: "Jetzt in diesem Moment gehöre ich nach Kiel." Anja sagt: "Ich fühle mich hier wohl, die deutsche Lebensweise ist der slowenischen sehr ähnlich." Die Slowenin steht vor ihrem Master in Management, beschreibt in einem Blog (www.cnw.si) das Leben von Spielerfrauen: das Umziehen, das Alleinsein mit den Kindern, die emotionalen Herausforderungen. Im Sommer 2014 haben Igor und Anja geheiratet. Vorher kam Zack, in diesem Jahr Mark. Auf seinem rechten Unterarm trägt der Handball-Profi ein Portrait seines ersten Sohnes als Tattoo. Der zweite soll irgendwann folgen. In Kiel? Schon einmal, von 2007 bis 2010 war Anic ein Zebra. Dann wechselte er zum VfL Gummersbach, hatte ausgerechnet Patrick Wiencek als Konkurrenten vor sich, dessen Verletzung ihm jetzt die Tür zurück nach Deutschland öffnete. Doch heute hat er andere im Blick: Luka Karabatic (Paris St. Germain), Cedric Sorhaindo (FC Barcelona), Ludovic Fabregas (Montpellier HB), die alle in der Champions League auftreten, im Blickfeld von Nationaltrainer Claude Onesta stehen. In Anic’ Blickfeld: die Europameisterschaft im Januar in Polen. Anic, dieser bullige Kreisläufer mit dem guten Auge, sagt von sich selbst: "Ich bin wie ein Schweizer Messer." Er malt, zeichnet Karikaturen von Mitspielern, baut seinen Kindern ein kleines Picknick-Tischchen mit eingebauter Sandkiste, liebt Technik und elektronische Medien. "Ich mache gern alles mit den Händen." Besonders wichtig ist ihm dann noch dieser eine Satz: "Aber ich will nicht der sein, der gut zeichnet. Sondern der, der gut spielt, der Mannschaft etwas gibt." Anic will seine Leistung bringen, vielleicht so gut spielen, dass er bleiben darf. Und auch das ist ihm wichtig: "Nicht weil einer der beiden anderen (Wiencek und René Toft Hansen, d. Red) geht, sondern weil ich bei dem immer anstrengenderen Geschäft zusätzlich gebraucht werde." Die Familie Anic: angekommen. "Ich fühlte mich hier schon damals so wohl, war sehr traurig, als ich ging", sagt der 1,96 Meter große Franzose. In Nantes habe er seine „Zukunft nicht mehr gesehen“. Darum kam er zurück. Zurück nach Kiel. Zurück in die Zukunft. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 24.10.2015)