
Viertelfinal-Hinspiel: Kämpfende Zebras drehen Fünf-Tore-Rückstand in ein Unentschieden
Es war unfassbar heiß, es war unfassbar hitzig: Das Viertelfinal-Hinspiel in der EHF European League wurde für die Kieler, die ihr fünftes Spiel in elf Tagen bestritten und eine Zwölf-Stunden-Busreise in den Knochen hatten, zu einem echten Abnutzungskampf. Mit fünf Toren lagen die Zebras vor 4798 Fans im ausverkauften Sauna-Hexenkessel von Limoges zwischenzeitlich bereits zurück, dann erwachte das Kämpferherz der Zebras: Am Ende holten sie sich ein 26:26-Unentschieden in Frankreich, das ihnen für das Rückspiel am kommenden Dienstag (18:45 Uhr, jetzt Tickets sichern!) in Kiel alle Möglichkeiten auf die Teilnahme am europäischen Final4 in Hamburg offen lässt.
Augelaugte Kieler holen wichtiges Remis
Der THW Kiel rackerte, spielte filigran, aber auch fehlerhaft, rettete sich durch schwierige Minuten - es war die erwartet schwere Aufgabe, die die Franzosen den ausgelaugten Zebras in ihrem fünften Spiel innerhalb von elf Tagen stellten. Am Ende sprangen Kapitän Domagoj Duvnjak und seine Mitspieler aber auch über diese hohe Hürde, verschafften sich für das Rückspiel am kommenden Dienstag in der Kieler Wunderino Arena allerbeste Aussichten für das Erreichen des zweiten Final Fours in dieser Handball-Spielzeit. Beste Kieler Torschützen waren Emil Madsen und Bence Imre, die jeweils fünf Tore erzielten. Dem jungen Ungar reichten dafür 40 Minuten, seine Tore waren letztlich ein wichtiger Baustein zum späteren Kieler Remis. Die Gastgeber hatten Kieler Unsicherheiten und Abschlussschwächen in der ersten Hälfte zu einem zwischenzeitlichen Fünf-Tore-Vorsprung genutzt. Bester Schütze in ihren Reihen war der zur kommenden Saison nach Barcelona wechselnde Yehia Elderaa, der sechs Bälle ins Kieler Netz wuchtete, fünf davon von der Siebenmeterlinie.
Schwierige Umstände in Limoges
Dabei kämpften die Kieler nicht nur mit der Hitze in der am Morgen noch kühlen Arena und ungewohnte Hektik, mit denen Hallensprecher, das Publikum mit Trillerpfeifen und dem Auszeit-Buzzer ähnlichen Tröten, Megaphonen und gegnerische Spieler den prominenten Gast zu verunsichern gedachten. Vielmehr mussten sie auch bei vielen fragwürdigen Entscheidungen des unsicheren Schiedsrichter-Duos aus Kroatien Ruhe bewahren. Cindric/Gonzurek urteilten über weite Strecken mit zweierlei Maß, pfiffen Stürmerfouls, Siebenmeter, unfaire Attacken bei Kieler Aktionen, während auf der anderen Seite ihre Pfeifen stumm blieben. Negativer Höhepunkt dieser langen Reihe war der Siebenmeter, der letztlich zum Ausgleich der Gastgeber führte. Nur gut, dass die Zebras ihre Nerven im Zaum behielten, sich weder vom frenetischen Publikum, Soundeffekten und den Unparteiischen noch durch andere fragwürdige Vorfälle sowie eine Anzeigetafel, auf der die Zeitstrafen nicht angezeigt wurden, aus dem Tritt bringen ließen. Am Ende traten die Zebras ihre lange Heimreise ins 1500 Kilometer entfernte Kiel mit einem hochverdienten Unentschieden an.
Johansson kassiert Volltreffer
Der Palais des Sport de Beaublanc platzte aus allen Nähten, war mit 4798 Zuschauern komplett ausverkauft. 10000 Karten hätten die Gastgeber absetzen können, hieß es vom Veranstalter. So groß war die Neugier der französischen Fans auf den deutschen Rekordmeister, der bekanntlich auch international ein riesiges Renommee genießt. Allerdings taten sich die Zebras, die erneut ohne ihre Rückraum-Strategen Harald Reinkind (Handbruch) und Nikola Bilyk (Oberschenkel) auskommen mussten, in den ersten 30 Minuten schwer. Die Kieler machten Fehler, fanden im Angriff nur schwer zu ihrem gewohnten Spiel. Hinzu kam, dass Rückraum-Ass Eric Johansson in der elften Minute den Ball von Faruk Yusuf mit voller Wucht ins Gesicht geworfen bekam, von Teamarzt Dr. Torsten Morschheuser in der Kabine behandelt werden musste und seinem Team einige Minuten fehlte.
Zebras mit schwierigem Start
So hatte Limoges von Beginn an die Nase vorn, lag durch Elderaa und Turchenko schnell 2:0 in Front. Kapitän Domagoj Duvnjak mühte sich, Ruhe in die eigenen Reihen zu bringen: Er verkürzte auch auf 1:2, nach zehn Minuten lagen die Gastgeber dennoch mit 5:2 vorn. Der junge Faruk Yusuf setzte sich mehrfach gut in Szene, außerdem warfen Kiels Angreifer den gegnerischen Schlussmann warm: Gauthier Ivah brachte nach 20 Minuten bereits acht Paraden auf sein Konto. Wie auch immer: Lukas Zerbe mit verwandeltem Strafwurf und Hendrik Pekeler, großartig von Duvnjak am Kreis in Szene gesetzt, verkürzten auf 4:6, nach 17 Minuten waren die Gastgeber mit dem Höllenlärm als Rückenwind dann wieder auf 9:5 enteilt.
Kieler bleiben in Schlagdistanz
Während es dem Kieler Angriff an Durchschlagskraft fehlte, mehrfach auch Pfosten und Latte im Wege standen, packte die THW-Abwehr um den Mittelblock Hendrik Pekeler/Patrick Wiencek gewohnt fest zu. Mit dem sich steigernden Andreas Wolff im THW-Kasten wurde die Defensive mehr und mehr zum Rückhalt, ließ sich auch durch das 9:14 nach 24 Minuten nicht aus dem Konzept bringen. Mit der soliden Abwehrarbeit im Rücken kämpften sich die Zebras in den letzten Minuten des ersten Abschnitts wieder heran. Rune Dahmke nutzte seine Chancen von Linksaußen zweimal eiskalt, Hendrik Pekeler knipste vom Kreis ein. Und fast mit dem Schlusspfiff der ersten 30 Minuten verkürzte Petter Överby auf 13:16: Der THW war wieder in Schlagdistanz, bereit in den zweiten 30 Minuten eine Aufholjagd zu starten.
THW Kiel gewinnt die Oberhand
Johansson drosch den Ball zu Beginn der zweiten Halbzeit zwar noch einmal über das gegnerische Torgebälk, doch dann war Bence Imre zweimal von Rechtsaußen erfolgreich. Emil Madsen legte seine Ladehemmung ebenfalls ab, wuchtete den Ball in der 37. Minute zum 16:17-Anschluss in die gegnerischen Maschen. Die Kieler operierten jetzt häufig mit ihrer Sieben-gegen-Sechs-Angriffsvariante. Guillaume erhöhte zwar auf 18:16, mit einem unwiderstehlichen 3:0-Lauf erkämpften sich die Zebras dann aber die erste Führung. Johansson, Imre und Pekeler verwandelten ihre Chancen eiskalt. Nach 41 Minuten lag der THW Kiel mit 19:18 vorn. Zweimal noch legten die Gastgeber unter dem Jubel ihres Anhangs eine Ein-Tore-Führung vor. Nach dem 22:21 durch Imre, dieses Mal großartig von Pekeler bedient, hielt der THW das Heft des Handelns dann bis zum Abpfiff fest in seinen Händen. Wolff glänzte mit seinen Paraden Nummer neun und zehn, vorne waren Wiencek und Madsen erfolgreich, brachten ihre Farben erstmals mit zwei Toren in Führung: 25:23 leuchtete es nach 51 Minuten auf der Anzeigentafel.
Zebra-Dominanz wird aus dem Gleichgewicht gebracht
Euphorie und Lautstärke in der Arena trudelten schon bald tief in den Keller, wurden nur noch durch Hallensprecher und die Lautsprecher am Leben gehalten. Hätte dann manch eigenartiger Schiedsrichterpfiff in dieser Phase die Kieler Dominanz nicht aus dem Gleichgewicht gebracht, so hätten die Zebras das Parkett wohl als klare Sieger verlassen. Pech hatte kurz vor dem Schlusspfiff dann auch noch Domagoj Duvnjak, der aus guter Position am Pfosten von Limoges Handball scheiterte. So blieb es beim Unentschieden und der Chance, den Sprung ins Halbfinale und damit zum Final4 in Hamburg zu schaffen. Das Rückspiel wird ein heißer Kampf - dann aber mit Unterstützung der "weißen Wand".
Die Entscheidung fällt am 29. April in Kiel
Die Zebras machten sich direkt nach der Partie und einem gemeinsamen Abendessen wieder auf Tour: Dieses Mal ging es mit dem Bus in die rund 400 Kilometer entfernte Hauptstadt Paris, von wo aus der Kieler Tross am Mittwochmorgen die Heimreise via Hamburg antrat. Nach zuletzt fünf Spielen in elf Tagen und 4100 Reise-Kilometern können sich die Schwarz-Weißen nun für die Entscheidung in Kiel vorbereiten: Das Rückspiel in der Wunderino Arena wird am kommenden Dienstag um 18:45 Uhr angepfiffen. Tickets für die "weiße Wand" gibt es bei CITTI, unter www.thw-tickets.de und in der THW-FANWELT. "Ich bin mir sicher, dass unsere Fans mindestens so leidenschaftlich wie die in Limoges sein werden. Unsere 'weiße Wand`spürt, dass wir sie brauchen werden", sagte Rune Dahmke. Weiter geht’s zu Hause gegen Limoges, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: EHF/Limoges Handball
EHF European League, Viertelfinal-Hinspiel: Limoges Handball (FRA) - THW Kiel 26:26 (16:13)
Limoges Handball: Slavic (1 Siebenmeter, keine Parade), Ivah (1.-60., 14 Paraden); Yusuf (4), Guillaume (1), Ivic (1), Ogando (3), Kusan (1), Tokic, Turchenko (3), Azkue Saizar (1), Nieto (2), Comte, Thuillier (1), Elderaa (6), Varela Monteiro (2), Petit (1); Trainer: Entrerrios
THW Kiel: Mrkva (2 Siebenmeter, keine Parade), Wolff (1.-60., 10 Paraden); Duvnjak (2), Landin (1/1), Överby (1), Wiencek (2), Pabst (n.e.), Johansson (1), Dahmke (3), Zerbe (2/2), Kutz (n.e.), Madsen (5), Pekeler (4), á Skipagötu, Imre (5/1); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Tomislav Cindric / Robert Gonzurek (CRO)
Zeitstrafen: Limoges: 2 (Elderaa (10.), Ogando (43.)) / THW: 1 (Imre (47.))
Siebenmeter: Limoges: 5/5 / THW: 4/4
Spielfilm: 1.Hz.: 2:0 (3.), 4:1 (7.), 6:3, 7:5 (14.), 9:5 (16.), 9:7 (18.), 10:8 (18.), 13:8 (23.), 14:9 (25.), 14:11 (27.), 16:13;
2. Hz: 17:14 (33.), 18:16 (38.), 18:19 (40.), 20:19, 21:20 (43.), 21:22, 23:23 (48.), 23:25 (52.), 25:25 (55.), 25:26 (56.), 26:26.
Zuschauer: 4798 (ausverkauft) (Palais des Sport de Beaublanc, Limoges (FRA))
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin super, super stolz auf meine Mannschaft und alles andere als unzufrieden. Das habe ich den Jungs in der Kabine auch gesagt. Es war das fünfte Spiel innerhalb von elf Tagen, die Jungs sind die ganzen Zeit zusammen. Es macht mich stolz, wie sie Moral bewiesen haben, wie sie gekämpft haben. Die zweite Halbzeit war purer Wille und mehr Wachsamkeit. Das war fantastisch, Chapeau für die Jungs. Toter als aktuell können sie nicht sein, sie sind nach dieser Tortur mental und physisch am Boden. Umso mehr schätze ich diese Leistung, es waren gefühlt 60 Grad in der Halle. Jetzt kommen wir endlich nach Hause, machen Krafttraining und dann gebe ich zwei Tage frei, damit die Jungs mentale Kräfte tanken können. Wir werden nächste Woche zu Hause ein Heimspiel haben. Dann werden wir bereit sein, Energie haben und uns mit unseren Fans den Traum von Hamburg erfüllen.
THW-Rechtsaußen Lukas Zerbe: Das war wirklich ein Kraftakt. In der ersten Halbzeit haben wir zu viele technische Fehler gemacht und zu viele freie Bälle verworfen. Aber ich bin stolz auf unser Team, wie wir das alles in den letzten elf Tagen gewuppt bekommen haben und wie wir heute in der zweiten Halbzeit zurückgekommen sind. Die Mentalität in unserer Mannschaft ist großartig. So können wir mit dem Unentschieden ganz gut leben. Jetzt freue wir uns auf ein paar Tage Pause und können dann mit einem halbwegs vollen Tank wieder dagegenhalten.
THW-Linksaußen Rune Dahmke: Das Spiel war extrem intensiv, die Halle war voll da. Man hat gemerkt, dass es für den Verein und die Menschen hier in Limoges ein ganz besonderes Spiel war. Man hat uns schon angemerkt, dass einige – gerade zu Beginn – nicht so spritzig waren wie in den letzten Spielen. Das ist menschlich, und das ist auch einfach mal so. Wir haben uns schwer getan in der ersten Hälfte, viele technische Fehler eingestreut. Das tat schon weh, in der zweiten Hälfte haben wir dann aber wieder eine unglaubliche Moral gezeigt. Ich glaube, wir hätten das Spiel sogar noch gewinnen können, aber auch so haben wir eine gute Ausgangslage für das Rückspiel. Wir wissen jetzt ganz genau, was wir in einer Woche machen müssen. Ich bin mir sicher, dass wir dann noch einmal ganz anders auftreten werden. Wir wissen, was unsere Zuschauer zu leisten imstande sind. Das brauchen wir, darauf setzen wir in dieser Phase der Saison. Dafür haben unsere Fans ein gutes Gespür und ich bin mir sicher, dass die Halle brennen wird.
THW-Rückraumspieler Eric Johansson: Es war ein wirklich schweres Auswärtsspiel in einer schweren Halle. Wir hätten besser spielen können, aber auch so haben wir mit dem Unentschieden noch alles in unseren Händen. Wir wollen nach Hamburg, und dabei werden uns die Fans helfen. Ich hoffe, die Halle wird voll – wir brauchen die „weiße Wand“ wie in Köln.
THW-Kreisläufer Petter Överby: Heute ist Halbzeit, und wir haben noch 60 Minuten, um uns mit unseren Fans unseren Traum von Hamburg zu erfüllen. In Limoges war es heiß in der Halle, und es war eine unglaubliche Atmosphäre für dieses Kampfspiel. Das wird es auch in der Wunderino Arena werden, dann mit unseren Fans im Rücken. Ich freue mich auf das Rückspiel!