
Fehlende Durchschlagskraft in der Crunchtime: Zebras verlieren bei der Heim-Macht Melsungen
50 Minuten lang zeigten die Zebras bei der zu Hause noch ungeschlagenen Heim-Macht MT Melsungen Zähne. Dann fehlten ihnen in der Crunchtime ohne ihren erkrankt fehlenden besten Torschützen Emil Madsen die Durchschlagskraft: Beim 22:27 (12:11) in der mit 4300 Fans ausverkauften Rothenbach-Halle in Kassel scheiterte der THW Kiel vor allem seiner Angriffsquote, auch weil Nebosja Simic im Kasten der Nordhessen das Torhüterduell mit 14 Paraden klar für sich entschied. Die Gastgeber behielten so in eigener Halle ihre weiße Weste, bester Torschütze beim Sieger war Elvar Örn Jonsson, der sechsmal ins Kieler Tor traf und nach seiner Verletzungspause wichtige Impulse ins Team brachte. Für den THW Kiel war Bence Imre bester Werfer, der junge Ungar erzielte sechs Tore.
Madsen und Wolff krank
Es war bereits das vierte Aufeinandertreffen der Bundesliga-Spitzenteams in der laufenden Handball-Saison: Nach der Kieler Punktspiel-Heimniederlage im Herbst triumphierten die Zebras in der European League, ließen dem Hinspiel-Unentschieden in Kassel im Rückspiel Anfang März einen Kantersieg über die Hessen folgen, qualifizierten sichso direkt für das Viertelfinale. Am Sonnabend ging's ein zweites Mal um Punkte im Titelrennen. THW-Trainer Filip Jicha musste dabei erneut auf Nikola Bilyk (Muskelverletzung Oberschenkel) verzichten. Krank aus dem Bus stieg Nationaltorhüter Andreas Wolff, während sich Emil Madsen noch vor dem Abschlusstraining abmelden musste: Kiels bester Liga-Torschütze mit allein 136 Treffern in der DAIKIN HBL hütete das Bett mit einem Infekt. Ein Verlust im Rückraum, den die Kieler kaum kompensieren konnten.
Zebras verpassen deutlichere Führung
Kieler Fehler und das Ausscheiden von Wiencek, der nach einem Bodycheck von Sipos auf die Bank ging und erst in der Schlussphase kurz zurückkehren konnte, luden die Gastgeber dann zu einem 3:0-Lauf ein. Enderleit, Jonsson und Barrufet erzielten bis zur 16. Minute den 6:6-Ausgleich. Aber die Zebras konterten, schockten den MT-Anhang mit eigenem 3:0-Lauf. Harald Reinkind, Pekeler und Imre überwanden Simic, brachten den Rekordmeister wieder mit 9:6 in Front. Kastening erzielte den Anschluss, doch nach den Treffern von Imre und á Skipagötu zog der THW Kiel in der 20. Minute auf 11:7 davon. Die Gäste lagen mit vier Treffern vorn, rissen das Spielgeschehen an sich. Allerdings verpassten sie es, die Partie noch mehr unter Kontrolle zu bringen. Zehn Minuten lang liefen sich die Zebras in der dichtgestaffelten MT-Abwehr fest, scheiterten an Simic, produzierten technische Fehler oder warfen über das Tor. Imre schaffte kurz vor dem Wechsel per Siebenmeter den zwölften THW-Treffer, ehe Melsungens wendiger "Riese", Dainis Kristopans, sein erstes Tor markierte, zum 11:12-Halbzeitstand einwarf. Der knappe Pausenvorsprung - aus schwarz-weißer Sicht ärgerlich nach einer über weite Strecken vom THW Kiel dominierten ersten Hälfte.
Melsungen prallt an Kieler Mittelblock ab
Dennoch starteten die Zebras ordentlich in die Partie. Bence Imre dankte für das Vertrauen seines Trainers, ihn in die Startaufstellung zu beordern, und steuerte in der ersten Halbzeit fünf Tore zum 12:11-Zwischenergebnis bei. Den Torreigen eröffnete aber der Kleinste auf dem Feld: Melsungens nur 168 Zentimeter messender Spanier, Erik Balenciaga, traf nach einem Solo zum 1:0. Doch dann übernahmen die Zebras das Kommando, antworteten mit einem 3:0-Lauf: Eric Johansson traf in den linken oberen Torwinkel, Elias Ellefsen á Skiagötu war zum 2:1 per Unterarmwurf erfolgreich, und Imre überwand MT-Schlussmann Simic mit frechem Wurf in die kurze Ecke. Moraes brachte die Gastgeber zwar heran, doch Kiel konterte über Johansson und "Skippy", der nach eigenem Steal zum 5:2 einnetzte. Imres Siebenmeter wurde fast zur Beute von Simic, dennoch rollte der Ball über die Linie: Der THW Kiel lag mit 6:3 Toren vorn. Auch ein Verdienst der bis guten Abwehrleistung. Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek stellten den gewohnt starken Mittelblock, an dem die MT-Angreifer in der Anfangsphase abprallten.
Blatt wendet sich nach 50 Minuten zu ungunsten der Zebras
Die Zebras starteten gut in den zweiten Durchgang: Harald Reinkind erhöhte über die zweite Welle auf 13:11, Barrufet und Svensson aber glichen schnell aus. Die Partie wogte jetzt hin und her. Kampf stand im Vordergrund, filigrane Handballkunst gab's kaum noch zu bewundern. Spektakulär sehenswert war der Ausgleichstreffer von Eric Johansson in der 41. Minute zum 17:17, erzielt in Zeitnot per Kempa mit einem überragenden Dreher. Reinkind brachte die Zebras in der Folge noch zweimal in Front, traf aus dem Rückraum zum 18:17 und 19:18. Dann übernahmen die Gastgeber zunehmend das Spiel, rührten in der Defensive Beton an und bestimmten das Tempo. Nach dem 20:20 in der 50. Minute durch Zerbes verwandelten Siebenmeter nagelte Simic seinen Kasten zu, Kristopans war nicht mehr zu stoppen, Ignatow und Jonsson bestraften der Reihe nach Kieler Fehler im Abschluss. Eine Zeitstrafe gegen Wiencek tat ihr übriges, Melsungen führte nach 55 Minuten mit 23:20. Und die Kieler? Haderten weiterhin mit ihrer schlechten Wurfquote. 47 Prozent Treffsicherheit waren letztlich einfach zu wenig, um Melsungen in der Schlussphase noch einmal in Bedrängnis zu bringen.
Gastgeber wie entfesselt
Filip Jicha schickte in der 48. Minute noch einmal Andreas Wolff ins Rennen, doch auch Deutschlands infektgeplagter Torhüter Nummer eins fand nicht mehr ins Spiel. Auch Wolff kassierte weitere Treffer von den jetzt entfesselt auftrumpfenden Gastgebern. Gefeiert wurde vor bei den Roten vor allen Dingen Torhüter Simic. Das Drehbuch dieser Top-Partie schenkte dem Montenegriner dann auch den abschließenden Triumph: Exakt mit dem Schlusspfiff traf der MT-Held zum 27:22-Endstand, ließ sich von Mitspielern und Fans ausgiebig feiern. Auf der anderen Seite war die Enttäuschung in den Kieler Reihen und bei den mitgereisten lautstarken Fans groß. "Das war sehr ärgerlich", zog Lukas Zerbe Bilanz, "wir hatten die erste Halbzeit gut unter Kontrolle, hätten mit einem höheren Vorsprung in die Kabinen gehen müssen. In der zweiten Halbzeit fehlte es an der richtigen Sieger-Mentalität. Wir waren zu hektisch, haben Melsungen mit unseren Fehlern zum Erfolg eingeladen."
Weiter geht’s mit einem Heimspiel: Samstag ist Gummersbach zu Gast
Der Topspiel-Marathon der Zebras geht weiter: Am kommenden Samstag (20 Uhr) ist der VfL Gummersbach zu Gast in der Wunderino Arena. Endlich kann der THW Kiel dann nach fast vier Wochen auf Auswärtstournee auf die Unterstützung seiner Fans setzen und will nach zuletzt zwei Auswärts-Niederlage mithilfe der eigenen Anhänger wieder zurück in die Erfolgsspur: Für das Traditionsduell gibt es noch Restkarten bei CITTI, in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de. Der VfL um seinen Weltklasse-Rückraum aus Miro Schluroff (94 Tore), Julian Köster (68). Ole Pregler (66) und Kentin Mahé (60) sitzt dem Spitzen-Sextett im Nacken und wartet nur darauf, die vor ihm stehenden Teams zu ärgern. Wie stark die Gummersbacher sind, bewiesen sie auch in den ersten beiden Aufeinandertreffen in dieser Spielzeit: Sowohl beim 30:24-Auswärtssieg in der Liga als auch beim 36:30 im Pokal-Viertelfinale leistete die Mannschaft von Ex-Zebra Gudjon Valur Sigurdsson den Kielern erbitterten Widerstand. Weiter geht’s gegen Gummersbach, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: MTM / Alibek Käsler
DAIKIN Handball-Bundesliga, 24. Spieltag: MT Melsungen – THW Kiel: 27:22 (11:12)
MT Melsungen: Morawski (3 Siebenmeter, 2/2 Paraden) , Simic (1.-60., 16 Paraden, 1 Tor); Enderleit (1), Balenciaga (4), Sipos, Kristopans (4), Ignatow (3), Moraes (2), Danner, Jonsson (6), Soler, Svensson (2), Kastening (1), Barrufet (3); Trainer: Parrondo
THW Kiel: Mrkva (1.-48., 54.-60., 9 Paraden), Wolff (48.-54., keine Parade); Duvnjak, Reinkind (4), Landin (1), Överby, Wiencek, Pabst, Johansson (5), Dahmke, Zerbe (1/1), Kutz (n.e.), Pekeler (1), á Skipagötu (4), Imre (6/2); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Ramesh Thiyagarajah / Suresh Thiyagarajah
Zeitstrafen: MT: 2 (Barrufet (17.), Ignatow (49.)) / THW: 4 (Reinkind (10., 25.), Överby (41.), Wiencek (50.))
Siebenmeter: MT: 1/0 (Barrufet an die Latte (25.)) / THW: 4/2 (Morawski hält Imre (47.) und Zerbe (58.))
Spielfilm: 1:0, 1:3 (6.), 2:3, 2:5 (8.), 3:6 (11.), 6:6 (15.),6:9 (19.), 7:11 (20.), 10:11 (27.), 11:12;
2. Hz: 11:13, 13:13 (33.), 13:15 (35.), 15:15 (38.), 15:16, 17:16 (41.), 17:18 (44.), 18:19, 20:19 (48.), 20:20, 23:20 (56.), 26:21 (58.), 27:22.
Zuschauer: 4.300 (ausverkauft) (Rothenbach-Halle, Kassel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Wir gehen mit 20:20 in die Crunchtime, danach haben wir uns zu wenig getraut. Da haben wir den nötigen Zug zum Tor vermissen lassen. Wir hatten allerdings auch wenig Wechselmöglichkeiten. Emil hat sich gestern krank abgemeldet, und Andi ist dann ebenfalls krank aus dem Bus gestieg. Das darf aber keine Ausrede sein. Meine Mannschaft und ich sind super enttäuscht, weil wir bis zum 20:20 eine gute Partie gespielt haben. Es war sehr intensiv, und ich wollte sehen, dass wir Mut zeigen. Leider konnten wir in der Crunchtime den Druck nicht halten. Wir hatten uns unglaublich viel vorgenommen, am Ende fehlte uns aber die nötige Qualität, um uns in die Situation zu bringen, das Spiel für uns zu entscheiden. Manche Angriffe waren gut ausgespielt, aber nicht erfolgreich. In anderen haben wir uns Würfe genommen, die nicht mit voller Überzeugung gespielt wurden, in der Schlussphase war es eine katastrophale Ausbeute im Abschluss. Nebojsa Simic hat da seine Qualitäten wieder unter Beweis gestellt. Die Niederlage schmerzt enorm, egal, mit welcher Mannschaft wir angereist sind. Glückwunsch an die MT und Roberto zu zwei verdienten Punkten, Melsungen hat das in der zweiten Halbzeit einfach sehr gut gemacht.
MT-Trainer Roberto Parrondo: Wir sind natürlich sehr zufrieden mit dem Sieg. Die letzten Wochen waren aufgrund der vielen verletzten Spieler sehr schwierig für uns. So eine Situation hatte ich noch nie in meiner Karriere. Ich möchte mich daher bei allen Spielern für alles, was sie heute gemacht haben, bedanken. Wir haben sehr gut gekämpft und einen sehr guten Handball gegen die Top-Mannschaft aus Kiel gespielt.
MT-Rückkehrer Elvar Örn Jonsson bei Dyn: Wir haben in der Crunchtime sehr gut gespielt. Unsere Abwehr war richtig stark, dann kamen noch einige Paraden von Simic hinzu. In der ersten Halbzeit hatten wir Probleme mit der Kieler Abwehr, in der zweiten Hälfte lief es besser für uns im Angriff. Was aber entscheidend war, war unsere Abwehr mit Simic dahinter, die hat 60 Minuten richtig gut funktioniert.
THW-Rückraumspieler Eric Johansson bei Dyn: Die letzten Momente vorn wie hinten haben in der zweiten Halbzeit nicht mehr gepasst. Wir stehen in der Abwehr lange gut, bekommen am Ende mit dem letzten Wurf aber doch noch das Gegentor. Wir waren 50 Minuten stark, am Ende war Melsungen besser. Wir wollten unbedingt als erste Mannschaft hie gewinnen, aber waren in der Crunchtime nicht konsequent genug. Wir machen jetzt weiter und sehen, was am Ende dabei herauskommt.
MT-Torhüter Nebojsa Simic bei Dyn: Wir haben heute unglaublich gut in der Abwehr gespielt, zuletzt hatten wir mit zweiter Welle und Gegenstoß Probleme. Heute bin ich sehr zufrieden mit der Abwehr, sie hat Kiel das Leben in der zweiten Halbzeit sehr, sehr schwer gemacht. Wir haben in dieser Saison gezeigt, dass wir mental stark sind und nach schwierigen Phasen zurückkommen. Jetzt kommen langsam die verletzten Spieler zurück, wir sind jetzt bereit für die schwierigen Aufgaben, die kommen.