Ein Spitzenspiel-Sieg mit Gänsehaut-Faktor
Mit einer unglaublichen Energieleistung hat der THW Kiel das Spitzenspiel der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga gegen starke Rhein-Neckar Löwen für sich entschieden. Nach einem 13:15-Pausenrückstand waren Niklas Landin und die THW-Defensive die Schlüssel zu zwei ganz wichtigen Punkten: Mit einem 5:0-Lauf nach Wiederanpfiff drehten die Schwarz-Weißen die Partie, verwandelten die Sparkassen-Arena in einen Hexenkessel und ließen sich von ihrem Weg auch nicht abbringen, als die Löwen eine Viertelstunde vor Schluss noch einmal auf den Ausgleich drängten. Am Ende feierten die Zebras mit der "La Ola" einen 27:21-Sieg, zu dem Domagoj Duvnjak sechs Treffer beisteuerte.
Ein unfassbar emotionaler Nachmittag
Viel Applaus für Reinhard Ziegenbein: Die Gedenkminute war der emotionalste Moment eines emotionalen Tages
Dieser Handball-Nachmittag in der Sparkassen-Arena war einer mit unzähligen Gänsehaut-Momenten. Gänsehaut beim Warmmachen, als die "weiße Wand" bereits für dieses besondere Prickeln sorgte. Gänsehaut beim Einlaufen der "Zebras", das die Arena schon in den Grundfesten erschütterte. Gänsehaut bei der Gedenkminute für den verstorbenen ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Reinhard Ziegenbein, bei der die Fans des Rekordmeisters mit feinem Gespür und einer Mischung aus andächtigem Schweigen und lang anhaltendem Applaus "Reini" die letzte Ehre erwiesen. Gänsehaut in der zweiten Hälfte, in der die Zebras mit einer unfassbaren Defensivleistung die Arena in einen Hexenkessel auf höchster Betriebstemperatur verwandelten. Und Gänsehaut nach dem Schlusspfiff, als die Einheit aus THW-Spielern und schwarz-weißen Fans den wichtigen Erfolg mit der "La Ola" gemeinsam feierten.
Löwen cool zur Pausenführung
Vier Treffer vor der Pause: Harald Reinkind
Doch der Reihe nach: Der THW Kiel begann stark, war sofort drin in der Partie. Das lag zum einen am unbedingten Willen von Duvnjak, zum anderen am treffsicheren Harald Reinkind. Doch absetzen konnten sich die Schwarz-Weißen nicht. Weil Kirkelökke zu großer Form auflieg, fünf Treffer vor der Pause erzielte. Weil Andy Schmid, aus dem Spiel heraus nicht so auffällig wie zuletzt, sicher von der Strafwurflinie agierte. Weil die Löwen mit kühlem Kopf den bisweilen zu ungestüm agierenden Zebras zusetzten, weil die zweiten Bälle zumeist direkt in den Armen der Mannheimer landeten. Und weil die Mannheimer jede Schwäche der Kieler eiskalt bestraften. Die Folge: Beim 6:5 waren die Gäste erstmals in Führung, bauten diese beim 11:8 (19) auf drei Tore aus und ließen sich auch durch den zwischenzeitlichen 11:11-Ausgleich durch Magnus Landin nicht von ihrem Weg abbringen. Nach Nikoly Bilyks 13:13 waren es Schmid, Groetzki und Appelgren mit einer Parade gegen Bilyk, die den 15:13-Pausenvorsprung für die Gäste herauswarfen.
5:0-Lauf nach der Pause
Anführer: Domagoj Duvnjak erzielte sechs Treffer
Auch nach Wiederanpfiff mussten die Kieler kämpfen, gerieten gleich mit dem ersten Angriff gegen die bewegliche Löwen-Abwehr ins drohende Zeitspiel. Mit einem krachenden Wurf und dem 14:15 setzte Duvnjak das erste Signal zur Attacke, das zweite folgte kurz darauf: Niklas Landin hielt einen Siebenmeter von Schmid und parierte auch den Nachwurf des Schweizers - eine emotionale Explosion auf den Rängen war die Folge. Duvnjak traf in Unterzahl zum Ausgleich, Landin hielt gegen den frei vor ihm auftauchenden Tollbring, Duvnjak fand Wiencek am Kreis: 16:15 - der THW Kiel war zurück im Spiel. Und wie: Schmid leistete sich in Unterzahl einen Fehlpass, Ekberg traf ins leere Tor. Duvnjak klaute hinten den Ball und traf vorne zum 18:15 (38.) - Ekstase auf den Rängen, ein Wechsel der Körpersprache bei den Zebras auf dem Feld.
Packende Partie
Löwen-Bändiger: Niklas Landin
Fortan wurde jeder Block wie ein Tor gefeiert, wurde jedes Stoppfoul bejubelt, wurde Landin immer mehr zum Faktor. Und doch war dieses Spitzenspiel auch nach Duvnjaks Energieleistung zum 20:16 weit von einer Vorentscheidung entfernt. Auch, weil Niklas Landin wegen angeblichen Meckerns nach einer starken Parade gegen Tollbring eine Zeitstrafe aufgebrummt bekam, die Löwen so in Überzahl wieder in Ballbesitz kamen und diesem zum 17:20 nutzten. Zwei technische Fehler der Kieler weiter waren die Gäste nach zwei Gegenstößen beim 19:20 wieder in Schlagdistanz, hatten gleich mehrfach den Ausgleich vor Augen. Doch die Zebras waren wach: Miha Zarabec fand bei drohendem Zeitspiel mit dem letzten Pass den an den Kreis eingelaufenen Magnus Landin - 21:19. Hendrik Pekeler holte einen Siebenmeter heraus, den Ekberg zum 22:19 verwandelte. Doch die Löwen blieben dran, verkürzten durch Tollbring und hatten durch Schmid die Möglichkeit, weiter Druck auszuüben - Niklas Landin hielt für diese Bemühungen ein ganz großes Stoppschild in der Hand.
Letzte Nadelstiche vor der Sieges-Feier
Drei Treffer erzielte Patrick Wiencek
Und dann war da ja auch noch Magnus Landin. Längst waren die Löwen "all in " gegangen, setzten auf den siebten Feldspieler im Angriff. Mit zwei Kreisläufern gingen die Löwen in die Schlussphase, Kohlbacher sollte sich so aus der engen Bewachung des Kieler Mittelblocks Pekeler/Wiencek befreien. Doch er hatte die Rechnung ohne Landin gemacht: Der Linksaußen stiebitzte mit langen Armen und schnellen Händen die eigentlich kaum zu verteidigenden Anspiele von Schmid auf Kohlbacher, ermöglichte so Zarabec Kracher zum 24:21 (55.). Belohnte sich für dieselbe Aktion mit einem Konter zum 25:21 - und stellte damit vier Minuten vor dem Ende die Zeichen endgültig auf Sieg. Die Kieler Abwehr - unbezingbar. Block Bilyk, Block Pekeler, Block Wiencek, Steal Landin - das sendete weitere Signale aus. Auf den Rängen wurde gefeiert, und auf dem Feld belohnten sich die Zebras noch mit den Treffern 26 und 27 - ehe sie gemeinsam mit der "weißen Wand" einen ganz wichtigen Sieg feierten. Der letzte Gänsehaut-Moment eines emotionalen Nachmittags.
Nationalmannschafts-Pause
Ausgelassen feierten die Zebras mit ihren Fans den wichtigen Sieg
Die Zebras verabschiedeten sich nach der Partie erst einmal in eine kurze Verschnaufpause: Bundestrainer Alfred Gislason wird ab Montag die deutsche Nationalmannschaf zum Lehrgang in Aschersleben versammeln. Von THW-Seite mit dabei: Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Steffen Weinhold. Höhepunt des Vorbereitungs-Lehrgangs auf die Olympia-Qualifikation Mitte April ist das Testspiel gegen die Niederlande (Freitag, 13. März, 18 Uhr live in der ARD Sportschau). Währenddessen werden alle anderen Zebras sich in Kiel auf die nächste Herausforderung in der stärksten Liga der Welt vorbereiten: Am Donnerstag, 19. März, ist der THW Kiel bei den Eulen in Ludwigshafen gefordert. Die Eulen kämpfen einmal mehr verbissen um den Klassenerhalt und sind so etwas wie die Mannschaft der Stunde in der unteren Tabellenregion: Neun Punkte aus den vergangenen neun Spielen ließen sie auf Rang 16 emporklettern. Stark sind die Ludwigshafener vor allen Dingen in der kleinen "Ebert-Hölle": In der nur etwas mehr als 2250 Zuschauer fassenden Friedrich-Ebert-Halle besiegten die Eulen in dieser Spielzeit bereits den Titelverteidiger aus Flensburg und holten ein Unentschieden gegen Melsungen. Weiter geht's in Ludwigshafen, Kiel!
LIQUI MOLY HBL, 27. Spieltag, 08.03.2020: THW Kiel - Rhein-Neckar Löwen: 27:21 (13:15)
THW Kiel: N. Landin (1.44., 46.-60., 14/1 Paraden), Quenstedt (44.-46. und 1 Siebenmeter, keine Parade); Duvnjak (6), Reinkind (4), M. Landin (4), Weinhold, Wiencek (3), Ekberg (5/3), Rahmel (n.e.), Dahmke, Zarabec (1), Horak (n.e.), Bilyk (3), Pekeler, Nilsson (1); Trainer: Jicha
Rhein-Neckar Löwen: Appelgren (1.-30., 38.-60., 12/1 Paraden), Palicka (30.-38. und 1 Siebenmeter, keine Parade); Schmid (6/4), Kirkeløkke (6), Lagarde, Tollbring (2), Abutovic, Mensah (1), Fäth, Groetzki (2), Guardiola (1), Petersson, Ganz, Kohlbacher (2), Gislason, Kessler; Trainer: Schwalb
Schiedsrichter: Nils Blümel / Jörg Loppaschewski
Strafzeiten: THW: 3 (Wiencek (23.), Pekeler (33.), N. Landin (44.)) / Löwen: 4 (Tollbring (7.), Mensah (19.), Kohlbacher (28.), Kirkeløkke (34.))
Siebenmeter: THW: 4/3 (Appelgren hält Ekberg (4.)) / Löwen: 5/4 (Landin hält Schmid und den Nachwurf (33.))
Spielfilm: 1:0, 2:1, 4:3 (6.), 5:4, 5:6 (10.), 6:6, 6:8 (12.), 8:9 (17.), 8:11 (19.), 11:11 (22.), 13:13 (27.), 13:15;
18:15 (38.), 18:16 (38.), 20:16 (44.), 20:19 (47.), 22:19 (51.), 23:21 (54.), 27:21.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Sparkassen-Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Wir sind enorm zufrieden mit diesem Erfolg. Wir haben in den ersten zehn Minuten richtig gut gespielt, aber auf der Anzeigetafel stand nur ein 4:4. Dann wurden die Löwen selbstbewusster, zumal einige Abpraller direkt auch bei ihnen landeten. Das haben sie eiskalt ausgenutzt, sodass wir mit zwei Toren Rückstand in die Kabine gegangen sind. Dort habe ich eine gewisse Verunsicherung gespürt, unser Motto: Einfach durchziehen und mit viel Mut spielen. Mit dem 5-0-Lauf nach der Pause konnte niemand rechnen, wir haben gut vorbereitete Angriffe gespielt, die Abwehr und Landin haben hervorragend funktioniert. Teilweise waren wir wie im Rausch. Gegen den siebten Feldspieler waren wir unfassbar fleißig, wollten das unbedingt gut verteidigen. Da hat jeder meiner Spieler nochmal 10, 20 Prozent draufgepackt. Das war ungeachtet der Tabellensituation ein Spitzenspiel mit allem Drum & Dran und einer grandiosen Stimmung. Gefreut habe ich mich darüber, dass die Gedenkminute für Reini (Reinhard Ziegenbein) nicht sillschweigend war, sondern applaudiert wurde. Für mich war das sehr emotional, und ich habe in der Kabine gesagt, dass wir heute nicht nur für uns und unsere Fans, sondern vor allem auch für Reini spielen.
Löwen-Coach Martin Schwalb: Glückwunsch an den THW Kiel zu einem letztlich hochverdienten Sieg. Um das Spiel zu analysieren, braucht man sich nur die Ergebnisse nach 30 und 60 Minuten ansehen. Die erste Hälfte war à la bonheur, wir haben gute Lösungen gewunfen und die Abwehr hat die nötige Zusammenarbeit gehabt. Um dann in Kiel etwas zu holen, benötigt man Erfolgserlebnisse. Die haben wir uns zu Beginn der zweiten Halbzeit selber geklaut. Wir haben unsere Chancen nicht genutzt und viele Würfe verworfen, Niklas Landin hat viele freie Würfe weggenommen, die uns wehgetan haben. Dann waren wir wieder auf ein Tor dran, und ich hatte das Gefühl, dass das Spiel kippen kann. Aber dafür braucht man ein, zwei "leichte" Tore, die wir nicht gemacht haben. Das ist schade, auch wenn ich finde, dass das Ergebnis etwas zu hoch ausgefallen ist. Wir waren keine sechs Tore schlechter.
Oliver Roggisch, Sportlicher Leiter der Löwen: Das war ein verdienter Kieler Sieg, aber wir müssen uns auch an die eigenen Nase fassen. Uns war klar, dass der THW Kiel bei dieser Kulisse noch etwas draufpacken wird, dass dann Stress aufkommt. Da sind wir einfach nicht cool genug geblieben. Aber wir waren besser, als es das Ergebnis letztlich aussagt.
THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi: Das war ein echtes Topspiel, taktisch und vom Einsatz her ein echtes Spitzenspiel. Respekt davor, was "Schwalbe" in so kurzer Zeit erreicht hat. Wir hatten gefühlt heute mehr zu verlieren, das hat man uns angemerkt. Die Löwen haben mit ihrer Körpersprache, ihrem Mut in den Zweikämpfen sehr viel Selbstvertrauen ausgestrahlt. Die zweite Halbzeit war dann so emotional, wie man es sich wünscht. Wir hatten dieses berühmte "Momentum" auf unserer Seite, haben den langen ersten Angriff erfolgreich abgeschlossen, dann hält Landin den Siebenmeter und den Nachwurf. Daran haben wir uns aufgerichtet, und letztlich war es im Zusammenspiel mit den Fans in der Halle ein perfektes Spiel. Reini wäre stolz auf uns gewesen.
Löwen-Spielmacher Andy Schmid bei Sky: Die ersten zehn Minuten in der zweiten Halbzeit waren die entscheidenden Minuten. Wir haben zu viele Chancen liegen gelassen, und auch ich habe dann einen Siebenmeter verworfen. Zur Pause haben wir geführt und nach den zehn Minuten der zweiten Hälfte lagen wir mit drei Treffern hinten. Das war der Knackpunkt, weil ich finde, dass wir in der ersten Hälfte sehr abgezockt gespielt und immer die Ruhe bewahrt haben. Wir sind wieder auf dem richtigen Weg und haben eine Halbzeit Kiel dominiert.
THW-Kapitän Niklas Landin bei Sky: Filip Jicha ist sehr stolz auf uns, weil wir gewonnen haben und über das Wie wir in der zweiten Halbzeit aufgetreten sind. Wir standen im zweiten Durchgang dichter in der Abwehr. Dann hilft es auch, wenn die Halle uns noch mehr unterstützt. Durch diese Emotionen bekommen wir einen Schub, und dann ist es für jede Auswärtsmannschaft schwer, in Kiel zu spielen. Die Stimmung steigt natürlich bei besonderen Paraden - das gibt mir ein unglaubliches Gefühl.
THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler bei Sky: Wir waren mit unserer ersten Halbzeit nicht zufrieden, niemand war am Optimum. Das haben wir angesprochen und wollten mehr Bewegung ins Spiel bringen. Jeder einzelne Spieler hat dann im zweiten Durchgang 20 Prozent auf seine Leistung draufgepackt. Die Löwen waren sehr stark und haben uns teilweise überrascht. Wir haben aber an unsere Stärke geglaubt. Wenn man dann in den Rhythmus kommt, wird die Halle unglaublich laut. Wir haben nun noch acht Spieltage und spielen noch gegen viele Top-Mannschaften. Wir schauen immer auf das nächste Spiel und wollen dieses dann auch immer gewinnen.