KN: Der norwegische Gentleman
Herzogenaurach. In unbeobachteten Momenten im Training mutet Harald Reinkind an wie ein britischer Gentleman. Der Scheitel des 2,01-Meter-Mannes sitzt perfekt, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, aufrechte Haltung, wacher Blick, im Bedarfsfall ein Lächeln so herzlich wie der Geirangerfjord tief ist. Reinkind war ein Löwe, ist jetzt ein Kieler Zebra beim THW Kiel. Warum? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
Löwen-Import manchmal etwas zu brav
Lise, das ist Reinkinds Freundin seit fast zehn Jahren, seit der Schulzeit. Aus der Teenager-Romanze wurde Liebe, aus der Liebe eine kleine Familie, die nun mit dem einjährigen Tobias in Neu-Meimersdorf heimisch geworden ist. Natürlich war Lise nicht die einzige Ratgeberin. Da war auch der ehemalige Kieler Athletik-Trainer Ole Viken, der Reinkind in der norwegischen Nationalmannschaft betreut. Oder Ex-Zebra und Norwegens Co-Coach Børge Lund, der sich sicher ist: "Der THW wird viel Freude mit Harald haben." Nach all den Gesprächen wusste der Mann aus Bergen, der in seiner Heimatstadt mit Fyllingen Håndball 2010 Meister wurde, 2014 nach Mannheim wechselte und mit den Löwen zweimal die Meisterschaft und einmal den Pokalsieg feierte: "Ein Wechsel ist gut für mich."
Reinkind will Titel gewinnen
Linkshänder unter sich: Harald Reinkind und Niclas Ekberg
Schwierigkeiten bei der Umstellung? Überschaubar. Kollege Hendrik Pekeler ist schließlich mit gen Norden gekommen. Und Lise hatte sowieso leichtes Spiel. „Die Nähe nach Norwegen aus Kiel war auch ein Faktor. Demnächst gibt es einen Direktflug aus Hamburg nach Bergen, man kann auch gut die Fähre von Hirtshals nehmen.“ Das Training empfindet Reinkind bei Alfred Gislason als „härter und länger“, die Mischung in der Mannschaft stimme. „Ich will in Kiel Titel gewinnen. Das ist das Ziel Nummer eins. Wir müssen hart und aggressiv spielen. Haben eine starke Mannschaft mit vielen unterschiedlichen Spielertypen.“
Hart? Aggressiv? Versteckt sich da nicht ein Widerspruch? Reinkind ist ein eher ruhiger Spielertyp. "Vielleicht zu ruhig." Lise würde, so Reinkind, seine Geduld, seine Nettigkeit als positive Charaktereigenschaft nennen. Und als negative? Jetzt wird aus dem Lächeln des Gentleman ein breites Grinsen: „Manchmal stört es sie, dass ich nicht oft genug auch mal sauer werde.“ Natürlich nicht dem kleinen Tobias gegenüber, das ist ja auch noch ein wenig zu früh. Der profitiert allerdings sehr davon, dass Papa Harald - mittleres Kind von drei Geschwistern - ein ausgesprochener Familientyp ist. "Das Leben zu Hause hat sich durch die Geburt von Tobias ganz schön verändert. Ich verbringe gern viel Zeit mit der Familie, zum Beispiel mit Tobias auf dem Spielplatz. Wir können eben nicht mehr nur an uns denken, Serien gucken, rumhängen oder so." Serien, das wären wohl am eheste "Prison Break", "Sons of Anarchy" oder (im Trainingslager) "Fauda". Die Playstation indes liegt "seit zweieinhalb Jahren" in der Ecke. Wenn Manchester United spielt, wird die "Glotze" allerdings eingeschaltet. Oder beim Wintersport. "Dafür haben wir uns extra eine TV-Box mit norwegischem Fernsehen zugelegt." Norweger eben.
Tobias wird es gut haben in Kiel. Die Omas und Opas sind jetzt näher dran, können häufiger zu Besuch kommen. Nur mit dem Urlaub ist es so eine Sache. Reinkinds Familie hat ein Haus im Piemont in der Nähe von Asti ("Das waren aus Mannheim immer nur sieben Stunden Fahrt"), Lises Familie eine Ferienbleibe in Spanien in der Nähe von Alicante, wo Lise und Tobias auch die Ferien verbringen. Und für Harald liegt der Fokus sowieso erst einmal voll auf Kiel. Ist er nun der neue Halbrechte (Vertrag bis 2021), der sich mit Steffen Weinhold und Marko Vujin eine Position teilen muss, der sich aber bei den Löwen nicht durchsetzen konnte und in Kiel den Neuanfang startet? "Kritik motiviert mich, ich denke, ich hätte bei den Löwen mehr Spielanteile verdient gehabt. Irgendwann muss man dann an sich selbst denken." Sogar als echter Gentleman.
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 04.08.2018, Fotos: THW Kiel)