KN: Vom Jäger zum Gejagten
Leipzig. Im März trat Christian Prokop die Nachfolge von Dagur Sigurdsson als Handball-Bundestrainer an. Ehefrau Sabrina, Tochter Anna (4) und Sohn Luca (1) freuen sich seitdem häufiger über ein gemeinsames Abendbrot mit dem Familienvater, der an Heiligabend 39 Jahre alt wird. Heute in genau einem Monat beginnt für die Bad Boys die Europameisterschaft in Kroatien. Die Mannschaft des Deutschen Handballbundes geht als Titelverteidiger ins Rennen. "Wird es wieder mit Gold klappen, Christian Prokop?", fragen die Kieler Nachrichten in einem ausführlichen Interview mit dem Bundestrainer.
Christian Prokop über Druck, Ziele und vier Kieler Zebras
Plötzlich Bundestrainer - Herr Prokop, wie hat sich Ihr Leben in den vergangenen neun Monaten verändert
Christian Prokop: Es gibt natürlich deutliche Unterschiede in der alltäglichen Arbeit. Ich habe nicht immer alle Erkenntnisse aus der direkten Arbeit mit meiner Mannschaft, bin abhängig von den Vereinen. Aber die Arbeit ist sehr vielschichtig, ich reise durch die Hallen, führe viele Gespräche vor Ort, sitze aber auch häufig am Computer, um den nationalen und internationalen Überblick zu behalten und uns auf die EM vorzubereiten. Ein Riesenplus im Vergleich zu vorher ist, dass ich an den meisten Tagen mit am Abendbrottisch sitze und meine Kinder ins Bett bringen kann.
In einem Monat beginnt die Europameisterschaft. Spüren Sie schon Druck?
Nein, noch nicht. Aber wir als Mannschaft und ich als Trainer haben natürlich eine Erwartungshaltung an uns selbst und haben den Ehrgeiz, diese auch zu erfüllen.
Wie sehen denn diese Erwartungen aus?
Wir gehören zum Favoritenkreis, aber die Titelverteidigung ist keine Selbstverständlichkeit. Wir stecken uns hohe Etappenziele - sinnvoll und anspruchsvoll. Erinnern wir uns mal an die EM 2016 in Polen: Wenige hatten damals dieses Team auf der Rechnung, das von Triumph zu Triumph stürmte. Unser Anspruch ist es, weit zu kommen, aber demütig zu sein. Sieben, acht Nationen sind im Stande, Europameister zu werden.
In Kroatien wird die Arena dreimal ihr Gegner sein, denn es geht in der Vorrunde gegen drei Teams vom Balkan: Mazedonien, Montenegro und Slowenien. Wird das Mentale darum in der Vorbereitung einen besonderen Raum einnehmen?
Es wird mit Sicherheit ein ausschlaggebender Punkt sein, wie wir es schaffen, uns trotz der äußeren Einflüsse an unseren Plan zu halten und geschlossen aufzutreten. Das wird eine andere Hausnummer als ein Heimspiel.
Umso mehr bedarf es stabiler Leitwölfe. Wen haben Sie für die Titelkämpfe 2018 ausgemacht?
Wir haben eine Mischung aus jungen, aufstrebenden Spielern, die der Bundesliga gerade ihren Stempel aufdrücken, und international erfahrenen Leuten. Taktische Disziplin wird gefordert sein. Ich möchte jetzt keine Namen nennen, mich noch nicht festlegen, auch wenn sich aus dem 28er Kader natürlich Spieler herauskristallisiert haben. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass Uwe Gensheimer als Kapitän mit seiner Effektivität, Ausstrahlung, Körpersprache eine wichtige Rolle spielt. Er kann eine Halle ruhigstellen. Allerdings spielt er als Linksaußen auch auf einer Position, die immer erst letzter Abnehmer ist.
Wie sehen Sie die Chancen der vier Kieler - Andreas Wolff, Steffen Weinhold, Rune Dahmke und Patrick Wiencek - auf eine EM-Teilnahme?
Sie sind wichtige Bausteine. Andreas Wolff kann ein entscheidender Faktor sein. Dass er in Kiel zwischenzeitlich wenig gespielt hat, macht mir keine Sorgen, weil er ein extrem ehrgeiziger Mensch ist, der sich in den acht Tagen, die wir vor der EM zusammen sein werden, voll fokussieren kann. Mit ihm, Heinevetter, Lichtlein und Bitter stehen die aktuell vier besten deutschen Keeper im 28er Kader. Andi begeistert mich immer wieder, und natürlich sehe ich es gern, wenn er so spielt wie in Flensburg.
Und Wiencek, Weinhold, Dahmke?
Patrick Wiencek ist ein aggressive Leader, ergänzt sich wunderbar mit Hendrik Pekeler. Patrick ist emotional, interpretiert seine Rolle offensiv und glänzt im Angriff. Hendrik arbeitet ruhig und konzentriert. Beide sind spielintelligent. Hier wird es keine Überraschung im Kader geben. Steffen Weinhold ist der erfahrenste Spieler in einem sehr jungen Rückraum, unheimlich vielseitig, deckt sehr gut, ist mental stark und hat einen hohen Stellenwert innerhalb unseres Teams. Rune wurde für die Länderspiele gegen Spanien im Oktober - genau wie auch Tobias Reichmann - nicht berücksichtigt. Beide haben danach eine gute Antwort gegeben. Mir gefällt seine Form und Vielseitigkeit. Ich denke da an das Final Four im DHB-Pokal, als er sogar über die Mitte kam.
Sie sind in einer komfortablen Situation, was die Auswahl an Spielern angeht. Wie sieht es hinter dem 28er Kader aus, beispielsweise bei Christian Dissinger oder Ole Rahmel?
In der Tat ist es schön zu sehen, welch hohe Qualität wir in der Breite haben. Ich glaube nicht, dass Ausfälle nicht kompensierbar wären. Wichtig wird sein, als Einheit zu funktionieren. Dissinger und Rahmel habe ich weiter auf dem Zettel, beobachte sie, genau wie alle anderen Bundesliga-Spieler.
Wie sehen Sie die Krise beim THW Kiel in dieser Saison?
Ich hoffe, dass der THW wieder zu konstanten Leistungen findet. Die Ausschläge nach oben und unten waren schon sehr groß.
Wie sieht der Fahrplan bis zur EM aus?
Ich werde um den 15. Dezember herum den Kader auf 20 Spieler reduzieren und mit diesem Kreis in die Lehrgänge ab dem 28. Dezember in Kamen-Kaiserau und ab dem 2. Januar in Stuttgart gehen. Dann werden wir höchstwahrscheinlich mit 18 Spielern in den Flieger nach Zagreb steigen. Den finalen 16er Kader muss ich am 12. Januar, einen Tag vor unserem Auftaktspiel, nominieren.
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 13.12.2017, Foto: Archiv/Sascha Klahn)