KN: "Wir sind wieder da!"
THW gewinnt das zweite Nordderby in Folge
Derby Nummer 96, seit Monaten ist die Flens-Arena ausverkauft, los geht’s mit dem schleswig-holsteinischen Handball-Wahnsinn. (Kleine) Überraschung auf Seiten des THW: Nicht der famose Siebenmeterkiller Andreas Wolff, der die SG noch vor elf Tagen beim Kieler 33:30 in der Champions League zur Weißglut getrieben hatte, steht im Team von Alfred Gislason zwischen den Pfosten, sondern der Däne Niklas Landin. "Andi kam zuletzt immer stärker von der Bank", begründet der Coach seine Entscheidung. Kapitän Domagoj Duvnjak nimmt erst mal auf der Bank Platz. Ansonsten alles wie immer in der Hölle Nord: Pfeifkonzert gegen die Kieler, Schlachtgesänge für die Flensburger und dazu zwei Mannschaften, die sich das Harz unter den Fingernägeln nicht gönnen.
Alles wie immer, oder zumindest wie vor elf Tagen. Der THW deckt mit René Toft Hansen (mit neuer Derby-Gefechtsfrisur) und Patrick Wiencek im Mitelblock einer 6:0-Formation, vorne zieht Lukas Nilsson mit Christian Dissinger und Marko Vujin neben sich die Fäden. Never change a winning team. Am gegnerischen Kreis sorgt zusätzlich Linksaußen Rune Dahmke für Unruhe. Doch das Erfolgsrezept lautet: Tempo, Umschaltspiel, Konsequenz. Die Zebras laufen gegen verunsicherte Flensburger mit einem passiven Thomas Mogensen in der Mitte und einem indisponierten Rasmus Lauge auf Halblinks einen Gegenstoß nach dem anderen, setzen sich mit einem 8:0-Run auf 10:3 ab (14.). Kann mich mal einer kneifen? Ex-Zebra Lauge nennt das Rückzugsverhalten seiner Mannschaft "peinlich".
Am Kreis liefern sich Patrick Wiencek (Gislason: "Weltklasse") und Tobias Karlsson Kleinkriege. Der Kieler profitiert von genialen Anspielen Marko Vujins (achts Assists), vom Zusammenspiel Nilssons mit Vujin und Christian Dissinger. Schrecksekunde vor der Pause: Dissinger verdreht sich das Knie. Ausgerechnet Dissinger! "Ich hoffe, bete fast, dass es nichts Schlimmeres ist", sagt Gislason. Technische Fehler schleichen sich ein, zur Pause beträgt der Vorsprung nur noch drei Tore. Und dann? Gislason tauscht nach der Pause seinen kompletten Rückraumblock aus. Eishockey goes Flens-Arena. "Wir haben in der Woche mit Blöcken trainiert, das hat gut geklappt." So war es geplant, so wird es gemacht. Statt Nilsson/Dissinger/Vujin spielen jetzt Zarabec/Duvnjak/Weinhold. Das Trio braucht fünf Minuten, um in Fahrt zu kommen. Mit Lauge hat die Kieler Deckung insgesamt jetzt doch Probleme, steht ansonsten sattelfest. Kentin Mahé macht das SG-Spiel mittlerweile variabler, schneller. Beim 22:24 (42.) ist auf einmal alles wieder offen.
Doch in diesem (angesichts von nur vier Zeitstrafen fairen) Kraftgemetzel behalten die Kieler die Ruhe. Auseinanderfallen war gestern. Wenn es drauf ankommt, setzt der schnelle Zarabec Nadelstiche, schafft Räume oder spielt sein Können im Eins-gegen-Eins wunderbar aus (26:22/47.). Wenn es drauf ankommt, ist Duvnjak plötzlich ganz der Alte, verteilt feine Anspiele, glänzt mit Schlagwürfen, Übersicht, Charisma. "Wenn dieser Charakter auf dem Feld steht, hat der Gegner gleich noch mehr Respekt", sagt Rune Dahmke. Der Welthandballer von 2013 selbst stapelt tief: „Nicht ich, die Mannschaft war überragend heute.“ Die Mannschaft, die am Ende von einer starken Abwehr, von individueller Klasse und den Paraden Andreas Wolffs zum Sieg getragen wird. Wolff kauft Holger Glandorf entscheidende Bälle ab, die SG steht nun offensiver, packt die Brechstange aus und wird in eigener Halle „dramatisch“ (SG-Coach Maik Machulla) deklassiert. Kein Erbarmen: Zarabec, Duvnjak, Dahmke, Weinhold schrauben den Sieg mit einem 5:0-Lauf zum 34:25 (57.) in schwindelerregende Höhe. Die 140 Kieler in der Halle singen "Derbysieg! Derbysieg" und "Oh, wie ist das schön!" - und sehen so aus, als bauten sie Luftschlösser in die Hölle Nord.
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 11.12.2017, Foto: saschaklahn.com)