KN: Noch so ein Geniestreich, bitte!
2010 wurde Igor Anic in Köln zum Finalhelden
Der 28-jährige Franzose weiß, wovon er redet. Er war nicht nur Teil der Mannschaft, die 2010 ein verloren geglaubtes Finale in der Königsklasse gegen den FC Barcelona drehte (36:34) und den Zebras zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte die begehrteste Trophäe im Klubhandball bescherte. Er war vielleicht wichtigstes Element eines exzeptionellen Geniestreiches von THW-Trainer Alfred Gislason. Genau darum weiß Anic: "Wir werden in Köln jeden brauchen. Einige für zwei, einige für zehn, einige für 40 Minuten. Jeden!" So wie damals am 30. Mai 2010, als die Katalanen mit 25:19 führten (41.) und Alfred Gislason plötzlich ganz tief in die Trickkiste griff. Er brachte Anic für Marcus Ahlm und stellte ihn dem überragenden Siarhei Rutenka auf die Füße, bis dieser entnervt ausgewechselt wurde. Er ließ Henrik Lundström auf Außen Dominik Klein ersetzen, Börge Lund Ruhe ins Positionsspiel bringen. Der damals schon 41-Jährige Peter Gentzel wehrte einen Siebenmeter ab. Viele kleine Teile von einem großen Ganzen. So war es auch in Melsungen, weswegen das Gefühl einer verpatzten Generalprobe gar nicht erst aufkam. "Wir sollten uns keine Gedanken über die Niederlage machen. Vieles war gut, die Abwehr war richtig gut", sagt Anic. Ein einziges Ziel sei ihm und den Zebras noch geblieben, und - das betont der Kreisläufer - die letzten zwei Wochen mit drei Niederlagen in Folge seien nicht spurlos an den Spielern vorbeigegangen: "Niemand soll denken, dass es für uns nicht schwierig im Kopf ist. Wir leben für diesen Sport, geben immer alles, tun uns weh. Wir werden alles für den Erfolg tun." Wird sich 2010 wiederholen? War der Mini-Absturz in den Kasseler Bergen ein erstes Indiz? "Jeder muss gut spielen, alles muss passen", weiß Alfred Gislason. Er hat sein Puzzle bereits im Kopf, durfte sich in Kassel über Vieles freuen: elf Paraden von Nikolas Katsigiannis zum Beispiel, über die Leistung des zuletzt etwas ins Abseits geratenen Igor Anic ("Ich hatte ein gutes Gefühl, hatte einen guten Rhythmus"), über einen Marko Vujin in aufsteigender Form, unberechenbare Aktionen von dessen Ersatzmann Dener Jaanimaa. Gislason sah einen starken Christian Dissinger, und vielleicht wird Joan Cañellas der Börge Lund des Jahres 2016. Der Spanier hat das Vermögen, ein Spiel zu ordnen, im besten Sinne langsam zu machen, Verantwortung zu übernehmen. "Wir mögen in Köln Außenseiter sein", sagt Igor Anic. "Aber das macht uns keine Angst." Dass die Zebras Veszprem schlagen können, haben sie in dieser Saison in der Champions-League-Gruppenphase bewiesen. Paris habe zudem, so Anic, am Wochenende im französischen Pokalfinale gegen Montpellier verloren. Noch einmal will der Familienvater in Kiel, in Köln Teil eines ganz großen Ganzen werden. Vielleicht eines Geniestreiches? "Ich will ein gutes Final4 spielen, dem THW helfen, diesen Traum zu verwirklichen." Und Anic will auch für sich spielen, für sich siegen, die Trophäe an die Förde holen. Was könnte es für ein besseres Bewerbungsschreiben geben? Wohin es den bärtigen Kreisläufer mit dem feinen Gespür für Gefühle nach der Saison zieht, ist noch immer unklar. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 24.05.2016, Foto: Archiv/Sascha Klahn)