Kieler Mentalitätszebras liefern den ausgeruhten Füchsen beim 34:36 einen Riesen-Kampf

Bundesliga

Kieler Mentalitätszebras liefern den ausgeruhten Füchsen beim 34:36 einen Riesen-Kampf

Was für eine Energieleistung, was für ein Kampf, was für eine heiße "weiße Wand", die bedingungslos ihre Mannschaft nach vorn peitschte: Drei Tage nach dem Pokaltriumph von Köln hatte die ausgepumpte Zebraherde den seit zehn Tagen spielfreien Tabellenführer der DAIKIN Handball-Bundesliga am Rande des Punktverlusts. Am Ende aber entschieden auch die Kräfte: Der THW Kiel verlor unglücklich mit 34:36 (14:18) gegen den Titelfavoriten Füchse Berlin. Beste Torschützen für die Gastgeber waren Emil Madsen und Eric Johansson, die jeweils sechs Treffer erzielten. Bei den Gästen überragte Kreisläufer Mijajlo Marsenic, der zehnmal ins Kieler Tor traf.

Zeitrafen-Hagel in und nach der ersten Halbzeit

Vor 10.285 Fans, die die Wunderino-Arena in einen lautstarken Hexenkessel verwandelten, warfen die Zebras zwar alles in die Waage, scheiterten am Ende aber an wenigen kleinen Unzulänglichkeiten im Abschluss, um die Berliner doch noch abzufangen. Eine unglückliche Rolle spielte obendrein das Schiedsrichtergespann Hanspeter Brodbeck/Simon Reich, das mit mehreren fragwürdigen Entscheidungen und der unterschiedlichen Bewertung ähnlicher Szenen Kieler Spieler und Fans gegen sich aufbrachte. Nicht nachvollziehbar war unter anderem die Vier-Minute-Zeitstrafe gegen Emil Madsen, der nach einer eh schon harten Zeitstrafe nach einem Foul an Mathias Gidsel für Anfeuerungs-Gesten ins Publikum noch einmal mit zwei Minuten extra bestraft wurde. Weit nach dem Halbzeitpfiff wurde auch Trainer Filip Jicha von dem Gespann mit einer Zwei-Minuten-Strafe bedacht, weil er sich über die unterschiedliche Regelauslegung auf beiden Seiten des Feldes beschwert hatte. 

Zebras mit Willen und Emotionen gegen den Kraftverlust

Eine Analogie übrigens zum Auswärtsspiel in Lemgo am zweiten Weihnachtsfeiertag: Auch damals hatten Madsen und Jicha von Brodbeck/Reich jeweils Zeitrafen wegen "Meckerns" erhalten. Am Mittwochabend standen auf dem Parkett zwei großartige Mannschaften. Eine, die ausgeruht und mit viel spielerischer Klasse die Tabellenführung verteidigen wollte und eine, die mit purem Willen und Emotionen den immensen Kraftverlust nach dem erfolgreichen Pokalwochenende wettmachen wollte. Am Ende fehlte den Kielern auch die mentale Frische und die letzten Prozente an Kraft, um in der packenden Crunchtime dieses Spitzenduell für sich zu entscheiden. "Wir haben richtig Gas gegeben, am Ende haben wir es bei einigen guten Chancen ein wenig an Kaltschnäuzigkeit fehlten lassen", analysierte Rechtsaußen Lukas Zerbe. "Aber ich bin unheimlich stolz auf die Mannschaft. Wir haben eine große Emotionalität auf die Platte gebracht, aber nach den kräfteraubenden Spielen in Köln waren die Akkus bei uns leider nicht ganz bei 100 Prozent."

Berliner erwischen den besseren Start

Der DHB-Pokal ist zu Hause

Die Zebra Rückraum-Asse Nikola Bilyk (Oberschenkel) und Harald Reinkind (Handbruch) saßen verletzungsbedingt erneut nur auf der Tribüne, drückten ihren Mitspielern die Daumen - und feierten mit den 10.000 Kieler Fans euphorisch den Einzug des DHB-Pokals in die Wunderino Arena, den Kapitän Domagoj Duvnjak dann an Kult-Makottchen Hein Daddel weiterreichte. Vor den Augen von Ministerpräsident Daniel Günther, HBL-Präsident Uwe Schwenker und Bundestrainer Alfred Gislason erwischten die Berliner den besseren Start, legten durch den rechtzeitig zum Spitzenspiel fit gewordenen Tim Freihöfer und "Welthandballer" Mathias Gidsel die 2:0-Führung vor. Auf Kieler Seite waren Patrick Wiencek und Johansson zuvor am guten Füchse-Schlussmann Dejan Milosavljev gescheitert. Dann war Andreas Wolff, von der "weißen Wand" euphorisch für seine Weltklasse-Leistung in Köln gefeiert, zur Stelle: Der THW-Torhüter parierte gegen Freihöfer, und im Gegenzug netzte Elias Ellefsen á Skipagötu zum 1:2 ein. Die Gäste konterten durch Kreisläufer Marsenic, der in beiden Halbzeiten torgefährlichster Berliner Angreifer war.

Kieler finden in die Partie

Madsen verkürzte auf 2:3, war wenig später auch zum 3:4 erfolgreich. Mit dem Rückenwind des Pokalsieges und der lautstarken Fanunterstützung fanden die Kieler immer besser in die Partie:  Johansson und Duvnjak nutzten ihre Chancen, glichen nach sieben Minuten zum 5:5 aus und trieben den Lautstärkepegel damit in immer neue Höhen. Allerdings drückte Berlin extrem aufs Tempo, spielte immer wieder den Kreisläufer frei, und die Zebra-Abwehr bekam Marcenic nicht in den Griff. Die einzige schwarz-weiße Führung in der gesamten Partie glückte Eric Johansson mit einem Kracher unters Torgebälk. Der Schwede traf nach neun Minuten zum 7:6 für den THW. Ein gutes Spiel lieferte erneut auch Madsen ab: Der Alleinunterhalter im rechten Rückraum war nicht nur torgefährlich, sondern auch ein großartiger Passgeber. Das glänzende Anspiel in der zwölften Minute auf Johansson verwerte der Schwede zum letzten Remis für die Gastgeber. 8:8 hieß es nach zwölf Minuten, in der Folge zauberten die Füchse einen 3:0-Lauf aufs Parkett. 

Vier-Tore-Hypothek zur Pause

Wolff parierte seinen ersten Siebenmeter gegen Freihöfer, doch die Gäste blieben gelassen, drückten dem Spiel jetzt zunehmend ihren Stempel auf. Auch ein zweiter gehaltener Strafwurf von Wolff gegen Freihöfer änderte nichts am Spielgeschehen, was allerdings auch an etlichen schwierigen Entscheidungen gegen die Zebras gelegen haben könnte. Große Aufregung gab es dann in der 22. Minute wegen der Vier-Minuten-Zeitstrafe gegen Emil Madsen. Vier Minuten Unterzahl, die angesichts des "Akkustandes" bei den Zebras richtig weh taten. Aber Patrick Wiencek traf kurz vor dem Wechsel zweimal sehenswert vom Kreis, doch Freihöfer und Marsenic erzielten Berlins Treffer 17 und 18. So nahmen die Zebras vier Tore Rückstand als Hypothek mit in die Halbzeitpause.

Zebras lassen sich nicht abschütteln

In die zweiten 30 Minuten starteten die Kieler wegen Jichas Zeitstrafe beim Gang in die Kabinen erneut in Unterzahl. Als Marsenic wenig später zum 15:20 an Tomas Mrkva vorbei ins Kieler Netz traf, waren die Füchse zwischenzeitlich auf fünf Treffer enteilt - und niemand glaubte angesichts der Wochenend-Strapazen der Zebras noch an ein Comeback - außer die Zebras selbst. Und so kam der THW Kiel einmal mehr zurück: Emil Madsen traf nach Tempogegenstoß, "Skippy" netzte nach einem Solo ein und Madsen war wenig später aus dem Rückraum zum 18:20 erfolgreich. Das setzte Energien frei - auf dem Feld, aber auch auf den Rängen. Die Zebras und ihre Fans waren den Füchsen wieder auf den Fersen, nach dem Treffer von á Skipagötu in der 39. Minute sogar auf einen Treffer herangerückt. 20:21 leuchtete es auf dem Arena-Würfel. Berlin hatte zwar stets Anworten parat, so traf Gidsel, zumeist gut abgeschirmt von der THW-Deckung, aus dem Rückraum. Doch richtig abschütteln konnten die ausgeruhten Berliner die Kieler nicht. Auch nicht nach Marsenics Tor, auch nicht nach Gidsels Tempogegenstoß zum 22:25 (44.). 

THW-Fans mit Ovationen für die Zebras

Doch die Zebras stemmten sich weiterhin mit Hilfe der fantastischen "weißen Wand" energisch gegen die drohende Niederlage. Patrick Wiencek verkürzte in der 55. Minute auf 31:32, zum Unentschieden oder gar einer Führung reichte es aber nicht mehr. Ausgerechnet Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler ließen jetzt Riesenmöglichkeiten vom Kreis ungenutzt. Die Chancen zum Punktgewinn waren trotzdem da, auch nach dem erneuten Anschlusstreffer zum 33:34 durch Lukas Zerbe 90 Sekunden vor dem Abpfiff. Langhoff erhöhte auf 33:35, Duvnjak verpasste allerdings mit einem nicht im Tor untergebrachten Kempa-Trick den frühzeitigen Anschluss. So blieb nach dem 34:35 von Zerbe nur wenig Zeit. Gegen die jetzt offene Manndeckung in den letzten Sekunden der Partie machte Marsenic mit der Schlusssekunde alles klar. Die THW-Fans feierten ihre Pokalhelden dennoch. Sie wussten und spürten, dass die Zebras alles auf der Platte gelassen hatten, was nach dem Titelgewinn von Köln noch in den Körpern steckte.

Nächste Aufgabe am Samstag in Göppingen

Auch nach dem Spiel gegen Berlin bleibt den Kielern keine Zeit zum Innehalten, selbst wenn ihnen Trainer Filip Jicha am Donnerstag einen traningsfreien Tag schenkte. Denn die nächste große Herausforderung steht schon im Startblock: Karfreitag reisen die Zebras ins knapp 800 Kilometer entfernte Göppingen. Dort will am Samstagabend in der hitzigen Atmosphäre der EWS Arena Altmeister Frisch Auf! den Schwarz-Weißen ein Bein stellen - so wie jüngst beim Heim-Unentschieden den Flensburgern und zuletzt auswärts den Hannoveranern. Durch fünf Punkte in den letzten vier Partien haben sich die Süddeutschen beinahe aller Abstiegssorgen entledigt und können nun befreit aufspielen. Anpfiff ist um 19 Uhr, Dyn überträgt live. Weiter geht’s in Göppingen, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn

DAIKIN Handball-Bundesliga, 27. Spieltag: THW Kiel – Füchse Berlin 34:36 (14:18)

THW Kiel: Mrkva (31.-60., 5 Paraden), Wolff (1.-31., 5/2 Paraden); Duvnjak (3), Landin (2), Överby, Wiencek (4), Pabst, Johansson (6), Dahmke (2), Zerbe (5/1), Kutz (n.e.), Madsen (6), Pekeler (2), á Skipagötu (4), Imre; Trainer: Jicha
Füchse Berlin: Milosavljev (1.-38., 52.-60., 7 Paraden), Ludwig (38.-52., 2 Paraden); Darj (1), Prantner, Strlek (1), Andersson (4), Lichtlein (4), Gidsel (5), Freihöfer (4), Langhoff (3), Beneke (1), Herburger, av Teigum (1), Marsenic (10); Trainer: Siewert

Schiedsrichter: Hanspeter Brodbeck / Simon Reich
Zeitstrafen: THW: 5 (Pekeler (20.), 2+2 Madsen (22.), Jicha (30.), Wiencek (50.)) / Berlin: 4 (Herburger (17.), Marsenic (40.), Darj (47.), Beneke (48.))
Siebenmeter: THW: 1/1 / Berlin: 3/1 (Wolff hält 2x Freihöfer (3., 16.))
Spielfilm: 1.Hz.: 0:2, 1:3 (4.), 3:5 (6.), 5:5 (8.), 5:6, 7:6 (9.), 7:8 (11.), 8:8. 8:11 (19.), 10:13 (23.), 12:15 (27.), 14:16 (30.), 14:18;
2. Hz.: 14:19 (31.), 15:20, 18:20 (35.), 20:21 (37.), 22:23 (39.), 22:25 (43.), 23:27 (45.), 25:29 (48.), 27:29 (50.), 29:32 (53.), 31:32 (54.), 31:34 (57.), 33:34 (59.), 33:35, 34:35 (60.), 34:36.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Wunderino Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Der Bundesliga-Alltag hat uns drei Tage nach dem Pokalsieg voll erwischt. Es war ein intensives, ein geiles Spiel. Ich möchte meiner Mannschaft einen Riesen-Respekt zollen für die Leidenschaft, die Bereitschaft sich zu opfern und zu wehren. Meine Jungs haben das fantastisch gemacht, es war der pure Wille zu spüren. Leider war gegen Ende beider Halbzeiten nicht mehr im Tank: Wir gehen mit minus vier in die Pause, obwohl wir die Chance haben, auf minus 2 zu verkürzen. Das tat weh. Aber wir kämpfen uns zurück und spielen am Ende sogar super Chancen heraus, bei denen man aber sehen konnte, dass wir zu diesem Zeitpunkt nur noch mit Willen unterwegs waren. Aber die Art und Weise, wie die Jungs sich heute aufgeopfert haben, macht mich sehr stolz. Das hilft meinen Jungs aktuell nicht. Sie sitzen leer, ausgepumpt und enttäuscht in der Kabine, weil sie das Momentum aus Köln bei sich behalten wollten. So nehmen die Füchse jetzt die Punkte mit.
Füchse-Trainer Jaron Siewert:
Erst einmal möchte ich dem THW Kiel zum Pokalsieg gratulieren. Am Wochenende hat der THW seine Qualität unter Beweis gestellt und dass er das Siegergen in sich trägt. Uns war klar, dass die Kieler die Stimmung vom Wochenende mit in dieses Spiel nehmen wollten. Das haben sie in den ersten zwanzig Minuten auch dank ihres Tempospiels sehr gut gemacht. Dennoch nehmen wir eine Vier-Tore-Führung in die Pause, die wir danach auf fünf erhöhen. Doch die Freude darüber war nur von kurzer Dauer, wir holen den THW Kiel wieder zurück ins Spiel, der das mit dem Sieben-gegen-Sechs auch routiniert und stark macht. Auf einmal steht die Partie Spitz auf Knopf und Kleinigkeiten entscheiden. Dann setzt Lichtlein Akzente und wir gehen als glückliche, aber über 60 Minuten gesehen verdiente Sieger vom Feld.
Zu den Zwei-Minutenstrafen gegen Madsen und Jicha: Emotionen gehören zum Spiel dazu. Ich verstehe den Ansatz, die Stimmung herunterregeln zu wollen. Aber genau das Gegenteil wurde damit bewirkt, danach war die Halle noch heißer. Insgesamt ist die Kommunikation mit den Bänken in dieser Saison ein Thema für sich, da fehlt mir oft das Fingerspitzengefühl und das Verständnis.
Das ist erst mein zweiter Sieg in Kiel überhaupt. Das bedeutet uns extrem viel. Hier zu bestehen, war eine Bärenaufgabe, die wir zum Glück bewältigt haben. Sonntag wartet gegen Hannover die nächste Bärenaufgabe.
THW-Linksaußen Rune Dahmke:
Wir haben wirklich alles reingeworfen, was wir noch hatten. Aber es tut weh, dass wir uns dafür nicht belohnen konnten.