
Bitteres Halbfinal-Aus: Zebras verlieren in letzter Sekunde gegen Montpellier
Bitteres Ende eines grandiosen Spiels: Der THW Kiel unterlag nach einer packenden Partie am Sonnabendabend vor rund 11000 Zuschauern in der Hamburger Barclays Arena dem frischgebackenen französischen Pokalsieger Montpellier HB mit 31:32 (17:16). Die Entscheidung fiel Sekundenbruchteile vor der Schlusssirene: Mit einem abgefälschten Wurf traf MHB-Rückraum-Riese Ahmed Hesham die Zebras und ihre 3.000 mitgereisten Fans in der lautstarken "weißen Wand" mitten ins Herz. Montpellier jubelte über den Finaleinzug, in dem die französische Top-Mannschaft am Sonntag auf den Titelverteidiger trifft. Der THW Kiel spielt indes um 15 Uhr im "kleinen Finale" gegen die MT Melsungen um Bronze.
Last-Minute-Treffer zerstört Kieler Traum vom zweiten Titel
Das Herzschlag-Aus gegen Montpellier war eine bittere wie unglückliche Niederlage für den deutschen Pokalsieger. Die Zebras hatten sich nach schwierigen ersten Minuten zurück ins Spiel gekämpft, fortan über weite Strecken Partie und Gegner dominiert, scheiterten letztlich aber an der eigenen Chancenverwertung und den berühmten Kleinigkeiten, die ein Europapokal-Halbfinale entscheiden können. Heshams Treffer machte den Traum vom zweiten Kieler Titelgewinn in dieser Saison zunichte. Beste Kieler Torschützen waren Lukas Zerbe und Eric Johansson, die jeweils siebenmal trafen. Bei Montpellier glänzte Torhüter Charles Bolzinger, der in der 22. Minute nach einem Kieler 5:0-Lauf zwischen die Pfosten gerückt war, erfolgreichster Torschütze war Sebastian Karlsson mit acht Treffern.
Kieler Fehlstart folgt die Aufholjagd

Übernahm Verantwortung: Domagoj Duvnjak
Final-Four-Spiele sind nichts für schwache Nerven, das unterstrichen einmal mehr die beiden Handball-Krimis in den Halbfinals. Die Zebras, die neben ihrem Langzeit-Verletzten Harald Reinkind (Handbruch) auch auf Abwehrchef Hendrik Pekeler (Knieprobleme) verzichten mussten, kamen gegen das französische Spitzenteam schwer aus den Startblöcken. Die Schwarz-Weißen leisteten sich einen klassischen Fehlstart, lagen nach sieben Minuten mit 0:4 zurück. Dreimal Karlsson und Fernandez hatten Kieler Fehler und Fehlwürfe in den Anfangsminuten bestraft. THW-Trainer Filip Jicha drückte früh auf den Buzzer, nahm eine Auszeit, um seine Mannen neu zu fokussieren. Eine Maßnahme, die Früchte trug: Domagoj Duvnjak erzielte unter dem Jubel der "weißen Wand" den ersten Kieler Treffer. Montpellier hielt noch einmal dagegen, legte das 6:1 nach. Doch dann bliesen die Zebras zur Aufholjagd, kämpften in der Abwehr um jeden Ball, glänzten mit großartigem Rückzugsverhalten und kamen auch im Angriff auf Touren, boten Tempohandball vom Feinsten.
Zebras nehmen knappe Führung mit in die Pause

Emil Madsen erzielte fünf Tore
Johansson und Duvnjak glänzten als Anspieler, Lukas Zerbe war ein sicherer Vollstrecker. Er traf nach 13 Minuten zum 6:8 und mit seinem fünften Treffer in der 19. Minute zum 10:11-Anschluss. Der THW Kiel war zurück im Spiel, die Franzosen wankten. Nach einem 5:0-Lauf hatten die Zebras dann bald die Nase vorn, führten nach Ballklau und folgendem Tempogegenstoß von Elias Ellefsen á Skipagötu in der 26. Minute mit 17:14. Eine zweifelhafte Zeitstrafe gegen Patrick Wiencek nutzten die Franzosen dann kurz vor der Pause aber noch zu zwei Toren, waren mit dem Halbzeitpfiff auf 16:17 herangerückt. Johansson ließ die THW-Fans dann kurz nach dem Wechsel jubeln, traf entschlossen zum 18:16.
Kieler bleiben vorn

Petter Överby traf dreimal in Folge
Auch fortan hatten die Zebras das Heft in der Hand. Petter Överby traf dreimal in Folge vom Kreis, und als Tomas Mrkva - in der 39. Minute für Andreas Wolff zwischen die Pfosten gerückt - zweimal glänzend parierte, zogen die Kieler in der 43. Minute durch Johansson und den verwandelten Siebenmeter von Lukas Zerbe auf 23:20 davon. Montpellier aber kämpfte sich auch mit Unterstützung der Unparteiischen zurück, hatten in Bolzinger weiterhin einen starken Rückhalt. Duvnjak übernahm in dieser Phase die Verantwortung, aber auch der Kieler Kapitän scheiterte freistehend an dem französischen Schlussmann. Nach dem 22:23-Anschluss Montpelliers durch Fernandez drückte Filip Jicha erneut auf den Buzzer. In der Folge hielten die Kieler ihren Gegner stets ein, zwei Tore auf Abstand. Bis zur 53. Minute, in der die Kieler auch das Glück verließ: Lukas Zerbe traf per Siebenmeter nur Lattenunterkante, á Skipagötu ließ in Überzahl eine Großchance ungenutzt.
Am Ende entscheiden Kleinigkeiten

Pure Enttäuschung nach dem Herzschlag-Finale
So glich Kapitän Valentin Porte zum 26:26 aus. Die Partie wogte jetzt hin und her, hatte nun in Wiencek einen unermüdlichen Kieler Antreiber. Der Kapitän, der im Sommer seine herausragende Karriere beendet, traf zum 29:28 und brachte in der 57. Minute die Zebras eneut mit 30:29 in Führung. Dann ackerte die Abwehr, zwang Montpellier ins drohende Zeitspiel. Doch Hesham drosch den Ball nach dem letztmöglichen Pass zum Ausgleich in die Maschen, dann kaufte sich Bolzinger einen Johansson Wurf. Dem Kieler Schweden unterlief dann ein folgenschwerer Fehlpass, der zur ersten MHB-Führung nach der 21. Minute führte: Karslsson traf, Emil Madsen konterte 24 Sekunden vor dem Ende mit dem Ausgleich. Doch die Franzosen nutzten ihre letzte Chance: Hesham traf mit seinem abgefälschten Wurf und wurde von seinen Mitspielern in einer Jubeltraube begraben. Die Zebras sackten auf den Hallenboden und bedankten sich anschließend bei ihren großartigen Fans, die mit Sprechchören und viel Applaus direkt mit dem mentalen Aufbau ihrer Pokalhelden begannen.
Spiel um Bronze gegen Melsungen

Lukas Zerbe traf sieben Mal
Im Spiel um Bronze trifft der THW Kiel am Sonntag um 15 Uhr zum ingesamt sechsten Mal in dieser Spielzeit auf den Meisterschaftsfavoriten MT Melsungen, der im ersten Halbfinale dem Titelverteidiger aus Flensburg mit 34:35 nach Verlängerung unterlag. Das Finale wird um 18 Uhr angepfiffen, zuvor wollen die Zebras aber gegen die MT noch einmal alles geben, verspricht Lukas Zerbe: "Es war eben sehr still in der Kabine. Wir alle sind super enttäuscht", sagte der Rechtsaußen nach der Partie, "aber wir haben uns direkt gesagt, dass wir morgen im Spiel um Bronze alles reinwerfen wollen für unsere Fans. Die weiße Wand war einmal mehr grandios."
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
EHF European League, Halbfinale: THW Kiel – Montpellier HB (FRA) 31:32 (17:16)
THW Kiel: Mrkva (39.-60., 3 Paraden), Wolff (1.-39. 1 Siebenmeter, 5/1 Paraden); Duvnjak (2), Landin (1), Överby (3), Wiencek (3), Pabst, Johansson (7), Dahmke, Zerbe (7/1), Kutz (n.e.), Madsen (5), Bilyk (n.e.), á Skipagötu (3), Imre (n.e.); Trainer: Jicha
Montpellier Handball: Bolzinger (22.-60., 11 Paraden), Desbonnet (1.-22., 2 Paraden); Karlsson (8/2,) Gautason, Simonet (2), Jelicic, Hesham (7), Fernandez (6/2), Lenne (1), Skube (2), Konan, Guigon, Monte, Aho, Porte (4), Nacinovic (2); Trainer: Mathé
Schiedsrichter: Ivan Pavicevic / Milos Raznatovic (MNE)
Zeitstrafen: THW: 2 (Landin (15.), Wiencek (27.)) / MHB: 2 (Nacinovic (18.), Lenne (51.))
Siebenmeter: THW: 2/1 (Zerbe an die Latte (51.)) / MHB: 5/4 (Wolff hält Karlsson (15.))
Spielfilm: 1.Hz.: 0:4 (7.), 1:4 (8.), 1:6 (8.), 3:6, 4:8 (12.), 6:8 (13.), 6:10, 8:10 (17.), 10:11, 12:14 (21.), 17:14 (26.), 17:16;
2. Hz 18:16 (34.), 19:17, 19:19 (37.), 20:20., 23:20 (43.), 23:22 (44.), 26:24 (50.), 26:26 (53.), 27:27, 30:29 (56.), 30:31 (59.), 31:32.
Zuschauer: 11.000 (Barclays Arena, Hamburg)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Glückwunsch an Montpellier zum Finaleinzug. Diese Niederlage ist schwer zu schlucken. Es tut weh, mit dem letzten Wurf so zu verlieren. Meine Jungs haben alles auf dem Platz gelassen, wird sind nach dem schlechten Start zurückgekommen, haben das schnelle MHB-Spiel besser unterbunden und haben selbst besser gespielt. Im Angriff hatten wir in der ersten Halbzeit eine großartige Effizienz. Die zweite Halbzeit war dann ein Kampf um jeden Zentimeter, am Ende verwandeln wir einen Wurf nicht, machen einen Technischen Fehler und Montpellier trifft. Das war das unglückliche Ende dieses Spiels für uns, während MHB glücklich ist.
MHB-Trainer Erick Mathé: Es war ein verrückter Start in dieses Spiel, wir hatten gedacht, dass es schwieriger wird. Nach unserem guten Beginn wurde es dann aber dieses enge, hart umkämpfte Spiel, das wir erwartet hatten – und von dessen Sorte wir am vergangenen Sonntag gegen Paris und auch schon zuvor so viele bereits gespielt haben. Diese Erfahrung aus diesen vielen, engen Matches hat uns heute am Ende sicherlich geholfen.
THW-Rückraumspieler Eric Johansson: Glückwunsch an Montpellier zum Sieg, esfällt mir direkt nach dieser Niederlage schwer, schon auf morgen zu blicken. Aber wir haben noch ein Spiel bei diesem Turnier, müssen uns jetzt möglichst gut erholen. Denn wir wollen dieses Spiel um Bronze gewinnen, und wir wollen unseren großartigen Fans zeigen, dass wir dieses Spiel unbedingt gewinnen wollen.
THW-Rechtsaußen Lukas Zerbe: Wir kommen schlecht ins Spiel, kämpfen uns dann mit einer brutalen Teamleistung zurück. Dann verpassen wir es aber, unsere Führung auszubauen. Ich verwerfe einen Siebenmeter, dann spielen wir die Überzahl nicht gut aus – das waren die Kleinigkeiten, die das Spiel entschieden haben. Situationen, in denen wir vielleicht nicht den kühlen Kopf bewahrt haben, den es in solch einem Spiel gegen solch einen Gegner braucht. Es war eben sehr still in der Kabine. Wir alle sind super enttäuscht, haben uns aber direkt gesagt, dass wir morgen im Spiel um Bronze alles reinwerfen wollen für unsere Fans, die einmal mehr grandios waren. Deshalb wollen und müssen wir die Akkus jetzt schnell aufladen.