EM 2018: "Sind dem Trainer nicht in den Rücken gefallen"
Zagreb. Beim Deutschen Handballbund (DHB) und Bundestrainer Christian Prokop kehrt nach dem desolaten Abschneiden bei der Handball-Europameisterschaft in Kroatien (Platz neun) keine Ruhe ein. Offenbar ist die Mannschaft in Lager gespalten, war die Rückendeckung für den Chefcoach schon während des Turniers gebröckelt. So hatte die "Bild" am Freitag als erstes von einem "Trainings-Eklat" vor dem entscheidenden Spiel gegen Spanien (27:31) berichtet. Demnach sei der 39-jährige Prokop bei der Einheit am Morgen vor dem Spiel mit einigen Akteuren nicht zufrieden gewesen und habe die Halle wutentbrannt verlassen. Wenig später dementierte der DHB den Bericht. Die Einheit vor der Partie habe "in der üblichen Art und Weise" stattgefunden, heißt es in einer knappen Stellungnahme. "Anderen Darstellungen widersprechen wir."
Unruhe wegen "Trainings-Eklat"
Nach Informationen unserer Zeitung hat sich im Kreis der Bad Boys eine Fraktion formiert, die mit großer Unzufriedenheit auf das System und die taktischen Anforderungen des Bundestrainers sowie besonders auf die Nichtnominierung von Abwehrchef Finn Lemke reagierte. So soll es in der Tat zu Unstimmigkeiten im Abschlusstraining gekommen sein, doch offenbar wolle man jetzt erst einmal die anberaumte Analyse abwarten. Erste Gespräche sollen am Rande des All-Star-Games am 2. Februar in Leipzig geführt werden. Selbstkritisch, aber dem Bundestrainer gegenüber loyal äußerten sich die Spieler des THW Kiel nach dem Ausscheiden in Varaždin. "Wir müssen jetzt die Spiele aufarbeiten. Es gab zu viele Schwankungen, die Konstanz hat gefehlt. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen und Fortschritte verzeichnen für das nächste Turnier, müssen wir uns alle selbst fragen, was wir besser machen können", sagte Führungsspieler Steffen Weinhold.
Der nachnominierte Linksaußen Rune Dahmke beantwortete die Frage, ob sich auf dem ersten gemeinsamen Turnier mit Christian Prokop als Bundestrainer aufbauen lasse und man mit dem 39-Jährigen auch in die Heim-Weltmeisterschaft im Januar 2019 gehen könne, mit einem entschiedenen: "Ja!" Dahmke ergänzte darüber hinaus: "Man hat im Turnier gesehen, dass es nicht komplett rund lief, das Gesamtkonzept nicht aufgegangen ist im Kopf. Aber es sind gute Jungs, gute Spieler, die bloß ihr Potenzial nicht abgerufen haben." Immer wieder hatte es im Turnierverlauf Gerüchte über Unstimmigkeiten im Kreis der Mannschaft gegeben. Nach dem Slowenien-Spiel hatten Äußerungen vom künftigen THW-Spieler Hendrik Pekeler für Aufsehen gesorgt, wonach er und der Kieler Patrick Wiencek sich über das taktische Defensivkonzept des Bundestrainers hinweggesetzt und den "Aufstand der Abwehr" geprobt hatten. Dazu bezog der 28-jährige Wiencek, einer der stabilsten deutschen Spieler bei der EM, gegenüber unserer Zeitung klar Stellung: "Wir sind dem Trainer nicht in den Rücken gefallen."
Wiencek hatte nach dem Spanien-Spiel und auch zuvor nach der knappen Niederlage gegen Dänemark emotionale Reaktionen auf dem Feld gezeigt. Der blonde Kieler Abwehr-Garant zeigte sich auch nach seiner Abreise noch zerknirscht: "Die Stimmung war von verschiedenen Seiten schlecht, aber ich würde nicht sagen, dass der Trainer keine Autorität hatte. Wir müssen über alles reden, Frankreich und die EM waren Rückschläge, nachdem wir mit dem EM-Titel und Olympia-Bronze auf einem guten Weg waren. Jetzt bin ich ein paar Tage traurig, aber dann haben wir ein Jahr Vorbereitung auf die Heim-WM. Ich denke schon, dass Christian Prokop dann Trainer sein wird, er hat ja noch lange Vertrag."
Prokop kehrte am Donnerstagabend zu seiner Frau Sabrina und seinen Kindern Anna und Luca zurück. In seiner sächsischen Heimat sucht der vom Misserfolg schwer gezeichnete Coach Erholung vom Turnierstress. Die Verbandsspitze machte am Freitag deutlich, dass dem 39-Jährigen die Zukunft gehören soll. DHB-Präsident Andreas Michelmann unterstrich aber auch, dass Prokop spätestens am Abschneiden bei den nächsten Großturnieren gemessen wird. "Liefern muss er bei der Heim-WM 2019 und den Olympischen Spielen 2020", sagte Michelmann. Die Gründe für das Ausscheiden sieht der DHB-Boss weniger beim Trainer als vielmehr bei der Mannschaft, die er in Teilen für überschätzt hält. "Wir waren 2016 Europameister und Olympia-Dritter, also gefühlt eine der besten Mannschaften der Welt", sagte der 58-Jährige. "Wenn du aber Position für Position durchgehst, gibt es immer drei, vier Mannschaften, die besser sind als wir."
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2017, Foto: Sascha Klahn)