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KN: “Ein Trainer liebt seine Mannschaft”

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KN: "Ein Trainer liebt seine Mannschaft"

22 Jahre lang hat Alfred Gislason (59) in der Bundesliga gearbeitet, zuletzt elf Jahre als Trainer des THW Kiel. Mit den Zebras gewann der Isländer 20 Titel. Am Sonntag stand er beim 30:26 gegen Hannover-Burgdorf zum letzten Mal in Kiel an der Seitenlinie. Bis ins neue Jahr will Gislason Pause machen, dann eine Nationalmannschaft übernehmen. Im Interview spricht er über den Abschied aus Kiel, Nachfolger Filip Jicha und den Moment, in dem das Arbeitsamt bei ihm anrief.

Alfred Gislason blickt im Abschieds-Interview auf seine Zeit als Trainer des THW Kiel zurück und wagt eine Prognose

Herr Gislason, das letzte Training, das letzte Spiel. Wie fühlen Sie sich? 

Alfred Gislason: "Eigenartig. Ich habe das 4000. bis 5000. Video vor der Mannschaft präsentiert. Irgendwie ist es absurd, dass es zu Ende ist. Der einzige Unterschied war, dass die Spieler nach dem Training ein gemeinsames Mannschaftsfoto machen wollten. Erst war ich dagegen, dann habe ich aber doch mitgemacht. Ich bin berührt, wie die Fans nach dem Spiel reagiert haben. Das war ein schöner Abschluss." 

Sind Sie glücklich mit dieser letzten Saison? 

"Sie hat uns gutgetan. Wir konnten ohne Champions-League-Spiele mehr trainieren als sonst, hatten nicht so viele Verletzungen. Die Neuzugänge taten uns gut. Ich bin sehr zufrieden damit, wie die Mannschaft gearbeitet hat, mit der Zusammenarbeit mit Viktor (Szilagyi, Sportlicher Leiter des THW) und Filip (Jicha, Co-Trainer und ab 1. Juli Gislasons Nachfolger als Cheftrainer, d.Red.) und mit den beiden Titeln. Mit dem Meistertitel wäre es eine überragende Saison geworden, aber jetzt sind wir der beste Vizemeister aller Zeiten, haben nur sechs Minuspunkte. Klar kann man sagen, dass wir im September ein bisschen Pech hatten. Das Spiel in Flensburg hätten wir genauso gut gewinnen können. Und in der Woche mit dem Magdeburg-Spiel waren beide Torhüter verletzt. Das waren die entscheidenden zwei Minuspunkte." 

Ist die Mannschaft in dem Zustand, wie Sie sie übergeben wollten? 

"Ja. Auch das macht mich sehr glücklich. Ich hatte Reinhard Ziegenbein (ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender, d. Red.) damals versprochen, zu bleiben und eine Mannschaft in sehr gutem Zustand zu überlassen, die zukunftsfähig ist."  

Welche war die schwierigste Zeit für Sie beim THW? 

"Nach dem Wetzlar-Spiel (22:30-Niederlage, d. Red.) im September 2017. Schon davor hatten wir einige Fehler gemacht. Drei Tage später hatte ich eine Rücken-OP und konnte in Kielce nicht auf der Bank sitzen, aber wiederum zwei Tage später stand ich gegen Aalborg wieder an der Seitenlinie. Das war eine schwierige Zeit, weil die sportliche Krise mit einer gesundheitlichen zusammenkam, ich mit anderen Sachen als nur dem Handball zu kämpfen hatte. Ich konnte mich kaum bewegen und kaum sitzen, musste aber trotzdem herumreisen und meinen Job machen." 

Haben Sie in der Krise jemals ans Hinschmeißen gedacht? 

"Das wäre für mich Verrat an der Mannschaft gewesen. Ich wusste, was wir für Probleme hatten. Ich hatte noch nie vorher etwas aufgegeben. Man hätte mich also rausschmeißen müssen. Ein Trainer liebt seine Mannschaft, niemand macht das nur für die Kohle, es sei denn, er ist ein Söldner." 

Was fehlt der Mannschaft noch für die nächste Saison, wenn wieder das Hamsterrad mit der Champions League startet? 

"Sie braucht noch mehr Unterstützung. Wir haben eine sehr gute Fanbase und sehr gute Zuschauer. Aber die lautesten sind sie nicht. Die Mannschaft wird die Halle brauchen, wenn es schlecht läuft. Es kommen schwere Spiele und noch mehr Belastung auf sie zu. Die Mannschaft wird verstärkt. Ich glaube, sie ist - auch in der Breite - in einem Zustand, in dem sie wieder Champions League spielen und es zum Final Four nach Köln schaffen kann." 

Muss man Lehren aus der Vergangenheit ziehen und eventuell den Kader vergrößern, um die Verletzungsanfälligkeit zu minimieren? 

"Wir hatten letzte Saison das Problem, dass wir viele junge Leute hatten und die erfahrenen Spieler fast komplett ausgefallen sind. Da mussten wir in Wetzlar mit zwei 19-Jährigen auf Halblinks und Mitte spielen, hatten nur einen Kreisläufer und hinten Marko (Vujin, d. Red.), der nicht decken konnte. Das ist in der Bundesliga nicht einfach. Wenn man als deutscher Verein die Champions League gewinnen will, muss man 16 Mann mit Erfahrung im Kader haben. Das ist hier langsam so. Es ist gut, dass Filip und ich jetzt ein Jahr zusammengearbeitet haben. Er kann darauf aufbauen, wird sicherlich einiges ändern. Aber er muss keinen Kaltstart machen." 

Wie nehmen Sie ihn wahr? 

"Er hatte die Aufgabe, eine offensivere 6:0-Abwehr hinzukriegen. Am Anfang war die neue Linie manchmal zu offensiv. Diese Abwehr ist viel flexibler geworden. Mittlerweile können wir zwischen der alten und der neuen 6:0-Abwehr hin- und herwechseln, dazu kommt noch die 3:2:1. Filip wird jetzt nach und nach weitere Impulse geben. Und ich habe sehr viel Vertrauen, dass er das schlau macht." 

Was lassen Sie in Kiel zurück? 

"Meine Tochter Ada bleibt hier. Es war eine sehr schöne und interessante Zeit. Meine Kinder waren auch immer sehr zufrieden hier. Ich hoffe, dass ich auch handballerisch etwas hinterlassen habe." 

Ist für die Zeit unmittelbar nach Saisonende irgendetwas geplant? 

"Ich fliege für zwei Tage nach Island. Danach fahren wir Richtung Herzogenaurach. Dort haben wir mit der ganzen Familie eine Ferienwohnung gemietet und wollen die Kellerwirtschaften und Biergärten genießen. Mein ältester Sohn Elfar mit den vier Enkelkindern ist auch dort. Danach habe ich keinen Plan, außer das Rammstein-Konzert mit meinen Söhnen in Berlin am 22. Juni." 

Wie sieht ab sofort ein perfekter Tag in Wendgräben aus, wo Sie wohnen werden? 

"Wir haben 160 Obstbäume, alles seltene Sorten. Und einen Acker, darauf wird nur Bio angebaut. Es ist toll zu sehen, welche unglaubliche Vielfalt an Leben sich dort in den letzten 15 Jahren entwickelt hat. Außerdem habe ich ein Waldstück. Da liegt seit dem Tornado vor zwei Jahren alles kreuz und quer, und ich hatte seitdem noch keine Zeit. Damit fange ich jetzt an. Rumsitzen und nichts tun, das kann ich nicht." 

Wird die Zeit, bis Sie eine Nationalmannschaft übernehmen, komplett handballfrei? 

"Ich werde ein paar Mal vorbeikommen und Spiele schauen. Und auch zur Halle in Magdeburg ist es nicht weit. Aber wie gesagt: Plan Nummer eins ist, keinen Plan zu haben. Nach meiner Entlassung in Magdeburg (im Januar 2006, d. Red.) fand ich es großartig, Zeit zu haben. Irgendwann wurde ich ein bisschen unruhig. Dann kamen die Isländer auf mich zu und zwei Wochen später Gummersbach, wo der Trainer abgehauen war. Damals hatte ich zwei Monate lang alles am Haus fertig gemacht, was vorher nur halbfertig war. Und plötzlich hatte ich zwei Jobs. Das mache ich nie wieder." 

Was soll mehr Zeit in Ihrem Leben einnehmen? 

"Vielleicht mache ich eine Umschulung. Eine ganz lustige Geschichte: Ich musste mich ja arbeitslos melden, drei Monate vor Vertragsende. Das habe ich gemacht und bekam eine E-Mail mit einem Termin: 14 Uhr am Montag nach dem Final Four in Hamburg. Am Donnerstag vor dem Final Four rief eine Frau von der Arbeitsagentur an und sagte: 'Arbeitsagentur Kiel, wir können nichts für Sie tun. Sie sind nicht vermittelbar [lacht]. Wenn Sie aber einen Beratungstermin wahrnehmen wollen, können Sie gerne vorbeikommen - ansonsten viel Glück in Hamburg!' Weil ich ja umziehe, muss ich mich ab 1. Juli in Magdeburg arbeitslos melden. Jetzt überlege ich, dort zum Arbeitsamt zu gehen und mich zum Brennmeister fortbilden zu lassen. Das wäre witzig." 

(Von Merle Schaack und Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 13.06.2019, Foto: Sascha Klahn)

Das ganze Interview lesen Sie in der KN-Sonderbeilage zum Saisonabschluss, die am Sonnabend, dem 22. Juni, erscheint.